Tschechische Weihnachten 1918 – 1989: seit der Gründung der Republik bis zur Samtenen Revolution
Der Christbaum mit strahlenden Kerzen, die Weihnachtskrippen, die Bescherung zu Heiligabend, der Karpfen, hausgemachtes Gebäck - dies und vieles mehr sind heutzutage Symbole, die in unseren Breiten für Weihnachten stehen. Im Prinzip ein Fest in Hülle und Fülle in einer friedlichen Atmosphäre. Und vor allem im engen Kreis der Familie. Für viele Tschechen kommen noch die vergangenen 22 Jahre hinzu, das heißt das Leben in Freiheit als bedeutender Faktor. Dass aber die Zeichen der Weihnachtszeit in der Vergangenheit oft anders standen, davon erzählt ein vor Jahresfrist erschienenes Buch mit dem Titel „Tschechische Weihnachten 1918 – 1989: seit der Gründung der Republik bis zur Samtenen Revolution“. Kurz vor Weihnachten haben die Tschechischen Zentren in München, Düsseldorf und Berlin Präsentationen dieses Buches in Deutschland veranstaltet. Geschrieben wurde das Werk vom Historikerehepaar Petr Koura und Pavlína Kourová. Jitka Mládková hat mit der männlichen Hälfte des Autorenduos gesprochen. Sie hören eine Sonderausgabe unseres Kapitels aus der tschechischen Geschichte.
Der Grund, warum ihre „tschechische Weihnachtsgeschichte “ ausgerechnet im Jahr 1918 beginnen sollte, lag für Pavlína Kourová und Petr Koura auf der Hand: Die damalige Presse sei buchstäblich vor Euphorie geplatzt. Es ging um das bevorstehende erste Weihnachtsfest im neu gegründeten Staat. Petr Koura:
„Man darf sich nicht wundern, dass damals im Zusammenhang mit der Feier der Geburt Christi auch verschiedene nationale Symbole zu tragen kamen. Am 20. Dezember 1918 zum Beispiel fand in Prag die Premiere eines tschechoslowakischen Spielfilms statt, mit dem Titel ´Das tschechoslowakische Christkind´. Der Streifen wurde mit zeitlichem Vorsprung gedreht, denn er handelte von der Rückkehr eines Angehörigen der hoch geschätzten tschechoslowakischen Legionen aus dem Ersten Weltkrieg gerade zur ersten Weihnachtsfeier im neuen Staat. Auf der Welle der Euphorie befand sich auch die Presse. So schrieb zum Beispiel am 25. Dezember die ´Národní politika´, ´Die Nationalpolitik´, damals eine der bekanntesten Tageszeitungen: ´Der Tag ist wieder gekommen und geradezu rechtzeitig, damit wir erneut unsere herrlichen Weihnachten in Freiheit feiern können. Es darf nie mehr passieren, dass das tschechoslowakische Volk von seinem direkten und ruhmreichen Weg abgeleitet wird, auf den es glücklicherweise vom guten Schicksal an der Schwelle der Weihnachtszeit gebracht wurde - den Weg der ersten freien tschechoslowakischen Weihnachtszeit!´“ Mehr Euphorie über die Zukunft des Landes kann man sich heute nur schwer vorstellen. Bekanntermaßen war die Entwicklung des tschechoslowakischen Staates in den kommenden Jahrzehnten aber nicht gerade idyllisch. Die Bevölkerung musste mit dem jungen Staat vielmehr durch Dick und Dünn gehen.In der Zwischenkriegs-Tschechoslowakei wurden nach wie vor besonders christliche Weihnachtstraditionen gepflegt. Einige Elemente kamen aber neu hinzu, wie Petr Koura schildert:
„Die bedeutendste Tradition, die in der Ersten Republik entstand, war das Aufstellen des so genannten ´Weihnachtsbaums der Republik´. An ihrer Wiege stand der Schriftsteller und Journalist Rudolf Těsnohlídek, der heute vor allem als Autor des Librettos zur bekannten Oper ´Liška Bystrouška´, ´Das Schlaue Füchslein´, von Leoš Janáček bekannt ist. Bei einem Spaziergang durch den Wald in der Umgebung des südmährischen Brünn fand er gemeinsam mit seiner Freundin ein kleines Baby, das dort ausgesetzt worden war. Hätten sie das Kind nicht gefunden, wäre es erfroren. Seine Mutter, wie später von der Polizei ermittelt wurde, soll das Kind wegen sozialer Not im Wald zurückgelassen haben. Těsnohlídek schrieb darüber ein rührendes Feuilleton, und mit dem Gedanken, Ähnliches in Zukunft zu verhindern, organisierte er 1924 eine Geldsammlung unter dem Weihnachtsbaum im Stadtzentrum von Brünn.“
Seine Inspiration hatte Těsnohlídek aus Dänemark. Doch nicht nur diese Geschichte allein deutet an, dass das Leben in der damaligen Tschechoslowakei auch seine Schattenseiten hatte. Auch weitere Informationen sowie Zitate aus Dokumenten der Zeit, die Koura und Kourová zusammengetragen haben, sprechen eine klare Sprache: Die Wirtschaftslage des Landes war auch von Engpässen in der Versorgung der Bevölkerung gekennzeichnet. Und das besonders in den Jahren ab der Weltwirtschaftskrise von 1929. Kein Wunder also, dass „der Weihnachtsbaum der Republik“, der wohltätigen Zwecken diente, sich schnell im ganzen Land verbreitete:„In den folgenden Jahren standen die Weihnachtsbäume der Republik dann bereits in vielen Städten. Die im Rahmen der Weihnachtssammlungen organisierten Geldspenden wurden als Ausdruck des Patriotismus deklariert. In den jeweils am Weihnachtsbaum befestigten Sparbüchsen wurde das Geld für arme und verlassene Kinder oder Kinderheime gesammelt. Als Vorsitzende des Tschechischen Roten Kreuzes unterstützte auch die Tochter des ersten tschechoslowakischen Präsidenten Masaryk, Alice Masaryková, diese Aktion.“
Und nicht nur sie: Ihrem Beispiel folgte später auch Hana Benešová, die Gattin von Masaryks Nachfolger Edvard Beneš. Und selbst die Frau des ersten tschechoslowakischen Arbeiterpräsidenten, Marta Gottwaldová, ließ sich nach 1948 vom Vorbild der beiden Damen inspirieren. Allerdings war dies nur von kurzer Dauer, denn offiziell gab es in dem sozialistischen Staat keine Armut. Und so wurde die in den 1920er Jahren begründete Tradition des Weihnachtsbaumes der Republik in der tschechoslowakischen Geschichte dreimal für längere Zeit unterbrochen.
„Erstmals von den Nazis im Jahr 1939. Für sie galt als Grund die enge Verbundenheit dieser Weihnachtsbaumtradition mit der Ersten Republik und ihrem Präsidenten Masaryk. Praktisch aus demselben Grund geschah es 1952 unter den Kommunisten. Auf den zentralen Plätzen tschechischer Städte erschienen die ´Weihnachtsbäume der Republik´ erst wieder im Jahr 1968.“Doch ein Jahr später waren sie auch schon wieder verboten. Bis auf die erwähnten Ausnahmen dauerte dieses Verbot der Kommunisten, die 1948 ans Ruder kamen, fast 40 Jahre. Aber auch das Christkind passte ihnen überhaupt nicht ins Konzept:
„Das kommunistische Regime war bemüht, nicht nur die alten Weihnachtstraditionen auszulöschen, sondern auch neue ins Leben zu rufen. Dazu gehörte auch die Propagation der russischen Märchengestalt - Děda Mráz oder Väterchen Frost. Seine ´Ankuft´ wurde 1951 zum ersten Mal landesweit organisiert.“
Bereits ein Jahr zuvor, Ende November 1950 also, gab es zunächst eine Durchsage aus den Lautsprechern in der ostböhmischen Stadt Jičín zu hören:„Achtung, Achtung, eine Sondersendung für die Kinder! Vom Kap Tscheljuskin haben wir gerade die Meldung erhalten, dass Väterchen Frost eine russische Troika bestiegen hat, um schon am 2. Dezember den großen Kinderkarneval in unserer Turnhalle zu besuchen.“
Die Idee, in den Köpfen der Kinder anstelle des Christkinds, aber auch des Heiligen Nikolaus, Väterchen Frost zu verankern, stammte von Anna Jirásková, der Geschäftsführerin des Verbandes für die tschechoslowakisch-sowjetische Freundschaft im ostböhmischen Jičín. Die Geschichte von der russischen Märchengestalt, die eine mühselige Reise vom nördlichsten Punkt Sibiriens in Richtung Tschechoslowakei antritt, passte den tschechoslowakischen Machthabern aber auch gut für die landesweite Propaganda. Sie wurde sogar zum Tagesordnungspunkt bei den Sitzungen des Zentralkomitees der kommunistischen Partei (KPTsch) und war bis ins Detail durchdacht:
„Die Schlittenfahrt von Väterchen Frost von Tschuktschen-Halbinsel wurde in den Schulen hierzulande auf einer speziellen Landkarte mitverfolgt. Die Stationen, die Väterchen Frost unterwegs machte, nutzte man für politische Vorträge. Als er zum Beispiel in Stalins Geburtsort Gori in Georgien kam, sollte die tschechoslowakische Schülerschaft über Stalin belehrt werden. Die vorgefertigten Reportagen über die Väterchen-Frost-Reise wurden auch in den Zeitungen abgedruckt und im Rundfunk gesendet. Die ganze Kampagne verfolgte einen klaren Anti-Christkind-Aspekt. Das ist unter anderem auch aus dem Tagebuch eines sechsjährigen Jungen zu entnehmen. Er liebe Väterchen Frost, weil er von ihm kostenlose Geschenke bekomme, steht dort.“
Ganz anders die Geschenke vom Christkind, diese müssten die Eltern bezahlen. Ein Höhepunkt der Absurdität war bestimmt die inzwischen „legendäre“ Rundfunkansprache von Ministerpräsident Antonín Zápotocký. In der Rede versuchte der tschechoslowakische Regierungschef vor Weihnachten 1952 den Kindern die angebliche Umwandlung des Christkinds zum Väterchen Frost nahezubringen:
„Auch das Jesuskind ist groß geworden, ein Bart ist ihm gewachsen und es ist zu Väterchen Frost geworden. Der ist nicht mehr nackt und in Lumpen gewickelt, sondern warm gekleidet, so wie auch unsere Arbeiter und ihre Kinder heute nicht mehr nackt und zerlumpt sind. Väterchen Frost kommt aus dem Osten, und auch ihm leuchten Sterne den Weg - nicht nur der eine über Bethlehem, sondern eine ganze Reihe roter Sterne über unsern Kohlengruben, Hüttenwerken und Fabriken.“Väterchen Frost ist es aber letztlich nicht gelungen, das Christkind zu verdrängen. Auch die Versuche, Weihnachten nicht zum traditionellen Termin zu feiern, sondern das Fest nach dem sowjetischen Vorbild auf den Neujahrstag zu legen, sind nicht geglückt.
Im Buch „Tschechisches Weihnachten 1918 bis 1989“ befassen sich die Autoren Pavlína Kourová und Petr Koura auch damit, wie es in der Weihnachtszeit im von der deutschen Besatzungsmacht errichteten Protektorats Böhmen und Mähren während des Zweiten Weltkrieges ausgesehen hat. Ihr Augenmerk haben sie insbesondere auf das Schicksal derer gerichtet, die Weihnachten in den KZs und später in kommunistischen Gefängnissen und Arbeitslagern verbringen mussten. Für diese Kapitel aus der tschechischen Geschichte wollen wir aber eine andere Sendung reservieren, die sie sicherlich verdienen.