„Havel blieb immer Havel“ – Martin Krafl über den Ex-Präsidenten

Václav Havel

Martin Krafl war von 1996 bis 2003 ein enger Mitarbeiter von Václav Havel. Er leitete die Presseabteilung der Präsidentenkanzlei. Danach ist er über mehrere weitere Posten als Pressesprecher zum Tschechischen Zentrum in Berlin gekommen, das er in den letzten Jahren geleitet hat. Von dort wird er demnächst an die Spitze des Tschechischen Zentrums in Wien wechseln. Doch Havels Tod am vergangenen Sonntag hat bei ihm viele Erinnerungen wieder wachgerufen. Die schildert Martin Krafl in einem Interview über den ehemaligen tschechischen Staatspräsidenten.

Martin Krafl
Herr Krafl, Sie haben mehrere Jahre für Václav Havel gearbeitet. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit ihm?

„Ganz, ganz viele. Aber gerade in den letzten Jahren, als ich schon nicht mehr mit Václav Havel zusammengearbeitet habe und ich viel im Ausland war, habe ich eines festgestellt: Václav Havel ist im Ausland der beste Botschafter der Tschechischen Republik. Ich glaube, das wird auch so bleiben. Für mich persönlich war Václav Havel ein Mensch auf der Suche nach Wahrheit und dem richtigen Leben, ein Moralist, auch als Politiker. Nachdem ich erfahren habe, dass er gestorben ist, musste ich an einen Satz denken: Man kann jeden ersetzen. Das habe ich schon oft gesagt, und ich habe den Satz auch schon oft von Havel gehört. Heute weiß ich aber, dass es eine Ausnahme gibt: Diese Ausnahme war und ist Václav Havel. Ich finde, er ist unersetzlich.“

Wie würden Sie denn Havel im Wendejahr 1989 beschreiben? Wer war er damals? Was wollte er erreichen?

„Ich würde sagen, dass er damals gar nicht Präsident werden wollte. Er hat einfach geglaubt, es wäre nur für ein paar Wochen, und er wollte dem Land helfen. Als Václav Havel im November 1989 auf dem Balkon am Prager Wenzelsplatz stand, wusste niemand, wie die Sache enden würde. Ich vermute, dass er es auch nicht wusste. Damals war ich übrigens 17 Jahre alt und auch auf dem Wenzelsplatz. Ich glaube, wir haben damals alle befürchtet, die kommunistischen Machthaber könnten doch noch gewaltsam gegen den Aufstand des Volkes vorgehen. Gott sei Dank ist das nicht passiert. Danach folgte ein märchenhafter, fast surrealer Aufstieg. Er selbst als Dramatiker hätte wahrscheinlich Mühe gehabt, daraus eines seiner wunderbaren, absurden Theaterstücke zu machen: der Staatsfeind als Staatspräsident – was für ein Rollenwechsel! Aber kein Wechsel im Charakter, das kann ich selbst bestätigen. Ich war ja sieben Jahre lang neben ihm auf der Prager Burg als sein Mitarbeiter.“

Hat das Präsidentenamt Václav Havel denn überhaupt nicht verändert?

„Doch, aber nur gewisse Dinge. Am Anfang war er beispielsweise sehr unformell, er dachte, man könne über alles ganz locker sprechen. Er ist dann viel professioneller geworden, das muss man schon zugeben. Als ich 1996 auf die Prager Burg gekommen bin, war er schon wirklich professionalisiert. Aber auch der Profi Václav Havel ist so geblieben, wie er war. Für mich als Medienspezialist war es nicht einfach ihm zu erklären, wie er sich zum Beispiel bei einem Fernsehgespräch äußern sollte, wie er sich verhalten sollte. Er war einfach immer Václav Havel geblieben. Eines hat mich aber tief beeindruckt: Je länger er seine Präsidentenrolle ausgefüllt hat, desto verantwortungsbewusster hat er seine Entscheidungen getroffen. Ich finde, das ist bewundernswert, weil ich dieses Verantwortungsbewusstsein bei vielen Politikern heutzutage überhaupt nicht mehr sehe. Außerdem habe ich immer sehr geschätzt, dass er gut zuhören kann, auch jungen Menschen. Das ist auch etwas, was ich bei den jungen Politikern heute vermisse.“

Havel wird ja auch in Deutschland geehrt: vor allem oder unter anderem für seinen Beitrag zur europäischen Einigung. Aber er hat auch in den tschechisch-deutschen Beziehungen einiges geleistet…

„In meinen Augen haben die Deutschen Václav Havel viel zu verdanken. Er hat von Anfang an alle persönlichen Anstrengungen unternommen, um das Verhältnis unserer beiden Länder zu entkrampfen. Nur wenige Tage nach seinem Amtsantritt reiste Havel beispielsweise nach Deutschland. Und zwar nicht irgendwohin nach Deutschland, sondern nach München, an den Ort, an dem Hitler 1938 mit der Hilfe der Westmächte das Ende der Tschechoslowakei eingeläutet hat. Danach lud er Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum Gegenbesuch auf die Prager Burg ein. Dafür wählte er auch keinen beliebigen Tag, sondern den 15. März. Das war das Datum, an dem Hitler 1939 in Prag den Hradschin und die Burg in Besitz genommen hatte. Bei diesem Besuch hielt Havel jene Rede, die man durchaus als Wendepunkt der deutsch-tschechischen Beziehungen in den letzten Jahrzehnten bezeichnen könnte. Er fand klare Worte, auch für das Schicksal der Vertriebenen und das Leid und Unrecht, das ihnen angetan wurde. Ich glaube, mit Gesten wie dieser wurde Havel zum Architekten der deutsch-tschechischen Aussöhnung.“