Tschechen regeln ihr Verhältnis zum kommunistischen Widerstand
Der antikommunistische Widerstandskämpfer Ctirad Mašín ist am Samstag in den Vereinigten Staaten gestorben. Sein Tod hat erneut die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Verhältnis der Tschechen zu ihrer kommunistischen Vergangenheit gerichtet. Zuvor war erst vor kurzem, von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, nach vielen Jahren politischen Tauziehens ein Gesetz verabschiedet worden, das den so genannten „Dritten Widerstand“, also den Widerstand gegen das kommunistische Regime, definiert. Demnach werden die Teilnehmer des kommunistischen Widerstands auf eine Stufe mit Kriegsveteranen gestellt. Mehr zum Umgang mit der kommunistischen Vergangenheit in Tschechien im folgenden Schauplatz.
Es gibt wohl keine Begebenheit der jüngeren Geschichte, welche die tschechische Gesellschaft mehr spaltet, als die Tätigkeit der so genannten Mašín-Gruppe in den ersten Jahren nach der kommunistischen Machtergreifung in der Tschechoslowakei. Diese fünfköpfige Widerstandsgruppe, an deren Spitze die Brüder Josef und Ctirad Mašín standen, kämpfte sich in den Jahren 1951 bis 1953 durch die Tschechoslowakei und die damalige DDR bis nach West-Berlin durch. Dabei kamen insgesamt sieben Menschen uns Leben – in den meisten Fällen waren es Angehörige des Sicherheitsapparats.
Die Kommunisten und ein überwiegender Teil der Sozialdemokraten halten die Mašíns daher für kaltblütige Mörder, die meisten konservativen Politiker wiederum für Freiheitshelden, denen das Land nun Anerkennung schuldet. So versuchten in der Vergangenheit bürgerliche Senatoren mehrere Male Mitglieder dieser Widerstandsgruppe für die höchsten Orden des Staates zu nominieren, allerdings ohne Erfolg.
Als dann im Sommer vergangenen Jahres mit Milan Paumer ein weiteres prominentes Mitglied der Mašín-Gruppe verstarb, nahmen an der Trauerfeier die Chefs aller drei Regierungsparteien, einschließlich Premier Petr Nečas teil. Auch jetzt beim geplanten Begräbnis mit militärischen Ehren für Ctirad Mašín in den USA wird wohl jemand von der Regierungsspitze daran teilnehmen.Aber nicht nur die Politiker sind in der Beurteilung gespalten. Der Bruch geht auch quer durch die Historikergemeinde. So sagte anlässlich des Todes von Ctirad Mašín der Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Akademie der Wissenschaften, Oldřich Tůma:
„Ihre Tätigkeit war natürlich in vielerlei Hinsicht bewundernswert, dass sie so tapfer, so entschlossen waren und dass sie gegen das kommunistische Regime kämpften. Aber die Methoden, die sie zur Erreichung ihrer Ziele angewandt haben, waren wenig effizient und werfen in einigen Fällen sogar die moralische Frage auf, was noch akzeptabel ist, und wo die Mašín-Gruppe bereits eine Grenze überschritten hat.“
Vor allem Geschichtsforscher aus dem Umfeld der tschechischen Armee halten die Tätigkeit der Widerstandsgruppe hoch. So sagte etwa Eduard Stehlík vom Militärhistorischen Institut in Prag über Ctirad Mašín:„Er war eine außergewöhnliche Persönlichkeit und das bereits im Widerstand gegen die Nazis. Er folgte dem Beispiel seines Vaters, des Nationalhelden Josef Mašín. Die Familientradition, die bis in den Zweiten Weltkrieg zurückreicht, muss bei ihm irgendwelche Spuren hinterlassen haben. Er war jemand, der moralisch stark war, und in dieser Hinsicht kann man angesichts seines Todes wirklich von einem sehr großen Verlust sprechen, auch wenn alle, die die Familien näher kannten, wussten, dass es in den letzten Jahren um seine Gesundheit sehr schlecht bestellt war.“
Die Kontroverse um die Tätigkeit der Mašín-Gruppe steht seit Jahren stellvertretend für das generelle Verhältnis der tschechischen Gesellschaft zum so genannten „Dritten Widerstand“. Praktisch seit der Wende blieb die Frage unbeantwortet, wie der Staat und die Gesellschaft mit aktiven Gegnern des kommunistischen Regimes umgehen sollen? Und natürlich ist das auch eine Definitionsfrage: Gilt erst als Widerstand, wenn man – wie zum Beispiel die Mašíns – die Waffe gegen die Vertreter des Regimes erhob? Oder sind das Verteilen von Flugblättern und kleinere Sabotageakte auf die gleiche Ebene zu stellen?
Vor wenigen Wochen hat das tschechische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das in diesem Bereich erstmals Klarheit schaffen will. Es muss formal noch von Präsident Václav Klaus unterzeichnet werden, doch steht bereits fest, wann es in Kraft treten soll: symbolisch am 17. November 2011, dem Jahrestag des Beginns der so genannten Samtenen Revolution, die zum Fall des kommunistischen Regimes führte.
Natürlich wurde auch dieses Gesetz stark kritisiert, unter anderem weil es angeblich eine verdeckte „Lex Mašín“ sei mit dem Ziel, auch schwere Vergehen gegen die allgemeinen Menschenrechte zu entschuldigen. Und ein weiterer, oft geäußerter Vorwurf lautete, das Gesetz würde versuchen, eine einzig mögliche Interpretation der kommunistischen Epoche festzuschreiben.Einer der Autoren dieses Gesetzes war der Senator Jaromír Štětina. Gegenüber dem Tschechischen Rundfunk erklärt er in Bezug auf die Vorbehalte:
„Ich denke nicht, dass dieses Gesetz deshalb verfasst wurde, um ein einzig zulässiges Interpretationsmuster für die Geschichte zu schaffen. Aber vielleicht wäre das nicht schlecht, damit ein für allemal festgehalten wird, dass dieses System verbrecherisch war. Das Motiv hinter diesem Gesetz war tatsächlich zu gewährleisten, dass die wenigen rund Tausend Überlebenden würdige Bedingungen erhalten, um einen besseren Lebensabend verbringen zu können. Im Gegensatz zu ihren früheren Peinigern aus den Reihen der kommunistischen Staatssicherheit leben sie oft in Armut. Würden wir das Gesetz nicht schnell verabschieden, könnte es leicht passieren, dass es niemanden mehr gibt, dem wir auf diese Weise unsere Anerkennung zollen könnten.“
Das nun beschlossene Gesetz sieht vor, dass direkte Teilnehmer am Widerstand gegen die Kommunisten 100.000 Kronen (4100 Euro) erhalten werden. Sollte es sich herausstellen, dass sich ihre Renten unter dem Durchschnitt befinden, werden diese dann bis auf die Höhe der durchschnittlichen Rente aufgestockt.Naturgemäß anders beurteilt dieses Gesetz die kommunistische Senatorin Marta Bayerová, wenn sie im Gespräch mit dem Tschechischen Rundfunk meint:
„Ich kann mir nicht vorstellen, wie das Gesetz in der Praxis funktioniert und wie viele Personen auf einmal behaupten werden, dass sie gegen den Kommunismus gekämpft haben. Dabei gab es ja bei uns im Grunde genommen keinen Kommunismus, denn wir waren ein sozialistischer Staat. Ich habe kein gutes Gefühl dabei. Ich will nicht erleben, dass uns in einigen Jahren unsere Nachfolger in der Politik per Gesetz dafür kritisieren und beurteilen werden, was wir jetzt tun.“