SMS-Dichter Tomáš Kafka: Reimen hilft, die Dinge festzuhalten

Tomáš Kafka

Das Kulturleben in Prag war in der vergangenen Woche durch eine ungewöhnlich hohe Konzentration von Schriftstellern und Dichtern gekennzeichnet. Bereits zum 21. Mal wurde nämlich das Prague Writers Festival – das Prager Schriftstellerfestival - an der Moldau ausgetragen. Einer der Gäste war auch der tschechische Dichter und Diplomat Tomáš Kafka. Bevor der heutige Botschafter in Irland nach Dublin abgeordnet wurde, engagierte er sich lange Zeit in den deutsch-tschechischen Beziehungen, unter anderem als Ko-Geschäftsführer des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds. Daneben gab er vier Gedichtbände heraus, veröffentlichte seine Gedichtglossen in der Presse und widmete sich der Übersetzung deutschsprachiger Literatur. Er hat unter anderen die Gegenwartsautoren Hans Magnus Enzensberger und Bernard Schlink, aber auch Klassiker des 19. Jahrhunderts wie Wilhelm Busch und Heinrich Hoffman den tschechischen Lesern vermittelt. Radio Prag hat Tomáš Kafka vor das Mikrophon geladen, um mit ihm über seine Gedichte, aber auch über seine Übersetzungen der deutschen Literatur zu sprechen.

Tomáš Kafka
Tomáš Kafka, wir treffen uns anlässlich des Schriftstellerfestivals in Prag. Womit kommen Sie hierher? Höchstwahrscheinlich mit Gedichten; handelt es sich aber um Gedichte aus der jüngsten Zeit oder um Verse, die bereits publiziert worden sind?

„Es ist für mich ein bisschen absurd, denn ich habe schon lange Zeit nichts mehr veröffentlicht. Dadurch, dass ich jetzt die letzten zweieinhalb Jahre in Irland lebe, habe ich versucht, ein bisschen chameleonartig auch die Sprache zu ändern, und habe ziemlich dreist angefangen, eine Art von Tagebuchgedichten auf Englisch zu schreiben. Ich bin in meiner Auffassung ein Dichter, der mit Hilfe von Gedichten mit seinen Freunden in Irland oder in Tschechien kommunizierte. Mit den Freunden, die es interessant fanden oder es als eine Chance verstanden, mir direkt auch eine Antwort zu schicken. Es war quasi ein Spiel.“

Also, am Anfang steht ein Thema, ein Ereignis, zu dem Sie sich äußern wollen. Sie nutzen dazu die Verse und möglichst auch einen Sprachwitz…

„Das Reimen ist für mich ein Moment, wo ich versuche, die Dinge festzuhalten, um sie nicht wieder aufzugeben und nicht wieder so schnell zu vergessen.“

Sie sind jetzt aus Irland, wo Sie als tschechischer Botschafter wirken, nach Prag gekommen, und zwar in einer Zeit, in der die politische Szene eine hektische Phase erlebt. Haben Sie schon Bedürfnis gehabt, dies in Versen zu glossieren?

„Ja, aber auf der anderen Seite, ich habe auch ziemlich schnell kapiert, dass es für mich viel einfacher ist, die irische oder globalisierte Wirklichkeit zusammenzureimen, weil ich einen besseren Abstand dazu bewahren kann. Wenn ich in Prag oder in der Tschechischen Republik bin, dann bin ich vielleicht zu exponiert und brauche längere Zeit, um die Anspannung runterzukurbeln und einen kühleren Blick zu erheischen. Denn sonst könnte es zu satirisch, zu sarkastisch werden. Und das ist jetzt in Prag die normale Art und Weise, wie die Dinge reflektiert werden, weil sie höchstwahrscheinlich in der normalen Sprachweise kaum erfassbar sind.“

Günter Eich  (Foto: Open Library)
Sie haben gesagt, dass Ihre Gedichte vor allem für Sie selbst oder für Ihre Freunde bestimmt sind. Sie haben also Ihre Gedichte aus der letzten Zeit Ihren Freunden geschickt und dann auf Reaktionen gewartet?

„Ich bin wohl heutzutage schon ein bisschen altmodisch, weil ich weder Facebook noch Twitter akzeptiere oder mir aneigne, also das sind für mich fremde Planeten. Ich habe ganz bewusst den Entscheid gefasst, dass ich nicht in diese Sphären eintreten möchte. Für mich sind die SMS und vielleicht auch noch die Briefe - aber meistens die Short Messages - das Medium, wo ich diese Quasi-Intimität und Quasi-Öffentlichkeit am besten verspüren kann. Deswegen habe ich eine Liste, wo meine Freunde eingespeichert sind und denen schicke ich gelegentlich etwas. Es ist eine kunterbunte Mischung aus Diplomaten, Schulfreunden, Journalisten etc. und einige schreiben gelegentlich zurück, einige nicht… Günter Eich wurde mal in den 50-er oder 60-er Jahren gefragt, ob er nicht depressiv ist, weil er zu wenige Leser hat. Und er sagte, wieso zu wenige, er habe einen in Marburg und den anderen in Hamburg und das reiche schon. Das war für mich irgendwie auch ausschlaggebend. Ich habe keine Probleme damit, dass ich jetzt zehn oder zwanzig Leser habe. Für mich sind es sehr werte Freunde und ich habe jetzt nicht das Bedürfnis, unbedingt Bücher zu veröffentlichen. Für mich ist es eine nette Überraschung, dass diese zehn, zwanzig oder wie viele Leser mir diese Einladung nach Prag quasi ´vermittelt´ haben, und jetzt staune ich ein bisschen darüber, aber ich bin glücklich.“

Und bei den Büchern, die Sie doch veröffentlicht haben oder bei Versen, die in Zeitungen erschienen sind, war das vom Anfang an anders?

„Es war anders. Bevor ich die SMS und das Handy entdeckt habe, musste ich die Dinge schon zu Papier bringen. Wenn es einmal schon auf dem Papier stand, war es naheliegend, dass es schön wäre, wenn es jemand multiplizieren würde. Aber von diesem Zwang habe ich gewissermaßen schon Ende der 90-er Jahre Abschied genommen, als ich meinen zweiten Gedichtband herausgebracht habe. Und dann habe ich angefangen, mehr zu übersetzen. Das war dann für mich auch viel mehr eine freundliche oder freundschaftliche Geste gegenüber dem Autor. Ich versuchte, ihm quasi die tschechische Leserschaft zu verschaffen, egal ob er irgendwie darauf brannte oder nicht. Aber für mich war es etwas, wo ich es übernommen habe, den Lesern einen interessanten Menschen zu vermitteln. Ich verstand mich als ein Vermittler, der die Menschen zusammenbringt.“

Sie haben Ihre übersetzerische Tätigkeit erwähnt. Das ist ein weiteres Thema, nach dem ich fragen möchte. Wie hat sich eigentlich Ihre Beziehung zur deutschen Sprache entwickelt, aus der Sie übersetzen?

„Die war geerbt. Mein Vater war ein wichtiger Vermittler und Übersetzer in den 60-er Jahren, 1970 ist er gestorben. Ich und mein Bruder haben eine riesengroße Bibliothek geerbt, aber nicht nur die Bibliothek im Sinne der Exemplare, sondern auch in Bezug auf die Autoren und die Geschehnisse um die Bücher herum. In den 80-er Jahren war es vielleicht noch zu früh, aber in den 90-er Jahren, also nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, fügte es sich alles sehr gut. Ich war schon reifer und fitter, mit den Autoren aus den 60-er Jahren persönlich in Kontakt zu treten. Nicht nur als Sohn meines geschätzten Vaters, sondern irgendwie als sein Quasi-Nachfolger. Das war zum Beispiel eine schöne, nahezu intime Ebene meiner Übersetzung von Hans Magnus Enzensberger, denn er und mein Vater kannten sich sehr gut in den Sechzigern. Sein Hofübersetzer war Josef Hiršal, der auch unser Familienfreund war. Und nachdem Josef Hiršal in den Neunzigern gestorben war, war es für mich eine riesengroße Ehre, als nächstes Glied in diese Beziehungskette selbst einbezogen zu werden. Es war für mich immer sehr persönlich. Ich muss eingestehen, ich mag es nicht besonders, diese übersetzerische Tätigkeit. Ich staune, wenn andere Übersetzer sagen, wie sehr sie es lieben, die Arbeit mit den Worten etc. Es ist alles andere als Genuss für mich, zu übersetzen. Genuss ist es aber, wenn das Werk abgeschlossen ist und es jemanden bereichert oder glücklich macht. Das ist für mich der Sinn der übersetzerischen Tätigkeit.

´Struwelpeter´
Das war auch der Auslöser, als ich 2004, 2005 schon irgendwie spürte, dass es mit meinem Engagement in den deutsch-tschechischen Beziehungen unmittelbar zu Ende geht. Ich dachte mir, es wäre schön, den deutsch-tschechischen Beziehungen ein kleines Geschenk zu machen, bevor ich vom Ministerium verschlungen werde. Und der Zufall hat es gewollt, dass mich Freunde vom Verlagshaus Kalich angesprochen haben. Sie sagten, sie suchten nach jemandem, der den ´Struwelpeter´ übersetzen könnte. Ein Jahr später hat mich derselbe Verlag angesprochen, noch ´Max und Moritz´ ins Tschechische zu übersetzen. Und das war dann mein letztes Geschenk jetzt ist Schluss damit; beide Bücher sind jetzt hier in einem protestantischen Verlagshaus zu erwerben. Jetzt stehe ich mehr im irischen Kontext, bin von anderen Dingen fa sziniert. Aber wer weiß, vielleicht werde ich eines Tages zu den deutsch-tschechischen Dingen zurückfinden.“