Biograph von Palacký: der Historiker Jiří Kořalka feiert 80. Geburtstag
Archivar und Historiker im Dienst von František Palacký - so bezeichnet sich Jiří Kořalka im Scherz gerne selbst. Im Prinzip hat er Recht, denn den Großteil seiner wissenschaftlichen Arbeit hat er diesem bedeutendsten tschechischen Historiker, Philosophen und Politiker des 19. Jahrhunderts gewidmet. Im Mai dieses Jahres jährt sich Palackýs Todestag zum 135. Mal. Vor kurzem ist außerdem Kořalka 80 Jahre alt geworden. Gleich ein doppelter Grund, um den Mann kennen zu lernen, der von 1990 bis 1995 Sekretär der Tschechisch-Österreichischen Historikerkommission war. Der 1992 den deutschen Herder-Preis erhielt und 2007 den österreichischen Anton-Gindely-Preis für Kultur und Geschichte Mittel-, Ost- und Südosteuropa. 2007 erschien im Übrigen auch Kořalkas ursprünglich auf Tschechisch verfasste Monografie „František Palacký (1798-1876): der Historiker der Tschechen im österreichischen Vielvölkerstaat“ als deutschsprachige Neuausgabe. Über die Arbeit an diesem 660 Seiten umfassenden Buch und über František Palacký erzählt Kořalka in einem Gespräch mit Jitka Mládková:
Herr Doktor Kořalka, welches waren Ihre Beweggründe, um sich so intensiv in ihrem Berufsleben mit František Palacký auseinanderzusetzen?
„Ich habe mich mit dem Thema ´Deutschland und die tschechische Nationalbewegung im 19. Jahrhundert´ befasst. Es war eine große Überraschung für mich, dass Palacký noch in den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts in Deutschland, insbesondere in protestantischen Teilen Deutschlands, hoch geschätzt wurde. Dies zur gleichen Zeit, als er zum Beispiel unter den deutschen Böhmen als Nationalist und Gegner wahrgenommen wurde. Zum Beispiel ist in den Preußischen Jahrbüchern 1871 ein umfassender biografischer Aufsatz über Palacký erschienen, mit dem Titel ´Ein deutscher Historiker wieder Willen´. Dort steht, Palacký sei so gut, dass er sogar für einen deutschen Historiker gehalten werden könnte, wenn er das zuließe. Gerade diese hohe Anerkennung hat mich zu Palacký sozusagen von der internationalen Ebene aus gebracht. Das war in der Zeit, als ich mich im südböhmischen Tábor mit dem Neo-Hussitismus und der Hussitentradition im 19. Jahrhundert befasste. Palacký spielte damals eine bedeutende Rolle. Meine Freunde in Deutschland haben mir seine Briefe an deutsche Historiker zugeschickt, diese Briefe sind in verschiedenen Bibliotheken - zum Beispiel in Heidelberg, Hamburg, Stuttgart, Leipzig, Berlin oder München - archiviert und waren bis dahin noch nie publiziert worden. Durch sie konnte ich breitere Zusammenhänge seines Lebens und Wirkens aufdecken.“
Sie haben gesagt, dass Palacký rege Kontakte zum deutschen Milieu gepflegt hat. Wie war also sein Verhältnis zu den Deutschen, zur Habsburger Monarchie und zu den Tschechen, zu seinem Heimatland?„Wissen Sie, das ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Eine durchaus positive Beziehung hatte er zu seinen Kollegen in Sachsen - zu Herrnhut und der dortigen ´Brüdergemeinde´. Aber auch zu Georg Heinrich Pertz, dem Archivar und Bibliothekar in Hannover und später in Berlin, wie auch zum Institut ´Monumenta Germaniae Historica´. Palacký hat von Anfang an gesagt, dass sich Deutschland als ein kulturell und politisch hoch entwickeltes Land zu einem Ganzen vereinigen sollte, jedoch ohne Österreich. Er war wirklich ein guter Freund, sogar im politischen Sinne, von einigen Befürwortern der so genannten ´kleindeutschen Lösung´. Den österreichischen Deutschen hingegen hat er eincesky leve wichtige Aufgabe im Rahmen des Vielvölkerstaates zugeschrieben. Sie sollten verschiedene Nationalitäten und Religionen auf dem Territorium zwischen Deutschland, Russland und der moslemischen Herrschaft auf dem Balkan vereinigen. Wien war für Palacký keine deutsche Stadt, sondern eine Stadt, die diesen ganzen Raum einschließlich des Balkans beeinflussen sollte. Deutschland und das multinationale Österreich wollte er nebeneinander haben. Sein ganzes Leben und Wirken war von dem Gedanken durchdrungen, dass die Tschechen eine eigenständige Nation in der Vergangenheit waren und auch in der Zukunft werden sollten. Entweder in einem autonomen oder einem selbständigen Staat. Für den letzteren gab es damals allerdings noch keine entsprechenden Bedingungen. Palacký war aber gleichzeitig tolerant zu anderen Völkern und Nationen, vor allem zu den Nachbarnationen. Er plädierte für eine Zusammenarbeit auf einer breiteren Ebene in Mitteleuropa. Die Eigenständigkeit der Tschechen war aber für ihn die Vorbedingung. Diesem Ziel hat er auch viel geholfen - durch seine wissenschaftliche Arbeit, durch Kontakte zum einflussreichen Adel sowie durch seine organisatorische Tätigkeit.“
Sein Verhältnis zu der realen Habsburger Monarchie war offenbar nicht absolut positiv, viel mehr aber zum Bild eines föderativen österreichischen Staatsgebildes…
„Sein Verhältnis zur Habsburger Monarchie war keine Herzenssache, sondern eine Sache der reinen Vernunft. Er glaubte, wenn es schon einen Staat gibt, in dem verschiedene Völkerschaften, Nationalitäten und Religionen zusammenleben, ist dies eine historisch geschaffene Grundlage, die man ausnutzen sollte. Allerdings im Sinne einer föderativen Idee. Er war überzeugt, dass gleichberechtigte Nationalitäten und Religionen nebeneinander und miteinander leben können und der österreichische Staat als eine uninteressierte Kraft mehr oder weniger eine Ordnungsfunktion haben kann. Jedoch mit Berücksichtigung aller Rechte und Möglichkeiten zur weiteren Entwicklung für alle Nationalitäten.“
Kann man sagen, dass Palacký zwei Heimaten hatte? Die engere Heimat Böhmen und im breiteren Sinne ein Gesamtvaterland?„Das stimmt, doch die engere Heimat - wie bereits gesagt - war für ihn der Ausgangspunkt.“
Palacký wird allerdings vorgeworfen, dass er Nationalist war.
„Meiner Meinung nach ist das nicht berechtigt. Wenn man ihn mit anderen politischen Denkern und Nationalisten seiner Zeit vergleicht, war Palacký zwar ein Befürworter der nationalen Konstituierung, doch ein Nationalist im Verhältnis zu anderen Völkern, namentlich zu den Nachbarvölkern, war er nicht. Er behauptete, dass gerade die nationale Differenzierung der Kulturen und Gesellschaften für Europa ein starkes Mittel ist, um seinen Vorrang in der Welt zu sichern. Die nationale Entwicklung betrachtete er als ein Gegengewicht zur Globalisierung. Dieses Wort kannte man Mitte des 19. Jahrhundert natürlich noch nicht, aber der Gedanke war schon da.“
Welche Bedeutung ist Palacký in seiner Zeit und welche in unserer heutigen Zeit beizumessen?„In seiner Zeit war er einer der größten politischen Denker, viel mehr als praktischer Politiker. In der praktischen Politik war er nicht so erfolgreich. Aus der heutigen Sicht ist seine Toleranz sowie seine Akzentuierung der Verschiedenartigkeit und der Zusammenarbeit auf der Ebene der Toleranz schon eine große Sache. In dieser Hinsicht ist Palacký meiner Ansicht nach ein großer Europäer des 19. Jahrhunderts.“
Als Sie ihr Buch über Palacký geschrieben haben, haben Sie da mehr an die Fachkreise gedacht oder an einen normalen Leser, der seine Wissenslücken zum Thema „Palacký“ füllen will?„Mein Buch ist auf keinen Fall ausschließlich für Fachleute geschrieben. Ich habe versucht, den Schreibstil so anzupassen, dass er gut lesbar ist. Ich weiß aber nicht, wie das in der deutschen Bearbeitung ausgefallen ist. Man sagt mir, dass mein Deutsch etwas veraltet sei. Ich bin nämlich durch die Akten des 19. Jahrhunderts beeinflusst. Ein guter Freund hat mir sagt, mein Deutsch sei ein gutes Deutsch des österreichischen Bezirkshauptmanns vom Ende des 19. Jahrhunderts. Ich weiß also nicht, inwieweit meine Bearbeitung für die heutige Zeit annehmbar ist. Das müssen Andere beurteilen.“
František Palacký wurde unter anderem auch durch folgenden Spruch bekannt: „Wäre Österreich nicht, so müssten wir uns bemühen, es sobald als möglich zu schaffen.“