Verfechter der tschechischen Schriftsprache: Zum 250. Geburtstag von Josef Jungmann
Josef Jungmann war die führende Persönlichkeit der tschechischen Nationalbewegung im 19. Jahrhundert. Er gilt als einer der Schöpfer der modernen tschechischen Sprache. In diesem Jahr wird der 250. Geburtstag Jungmanns gefeiert.
Josef Jungmann (1773–1847) war ein tschechischer Sprachwissenschaftler, Dichter, Übersetzer und Publizist. Er wurde zum Symbol einer ganzen Generation und des Prozesses, der traditionell als tschechische nationale Wiedergeburt oder moderner als Emanzipation der tschechischen Nation bezeichnet wird. Der Literaturhistoriker Dalibor Dobiáš vom Institut für tschechische Literatur der Akademie der Wissenschaften erläutert den Hintergrund:
„Für den mitteleuropäischen Nationalismus des 19. Jahrhunderts waren die Sprache und die Geschichte grundlegende Werte. Die Pflege dieser Werte ermöglichte eine Einbindung breiterer Schichten der Gesellschaft in die Modernisierung, ihren Aufstieg und im Prinzip auch ihre Gleichstellung. Jungmann ist ein Hauptvertreter dieses Prozesses in der tschechischen Sprache, die mit Deutsch und Latein konkurrierte.“
Die Sprache und die Geschichte – die wichtigsten Merkmale einer Nation
Jungmann war das sechste Kind eines Schusters aus Mittelböhmen. Er studierte Philosophie und Rechtswissenschaften und wirkte ab 1799 als Lehrer am Gymnasium der Stadt Litoměřice / Leitmeritz. Die Unterrichtssprache war in jener Zeit Deutsch, Jungmann bot aber auch Stunden in tschechischer Sprache an. 1815 zog er nach Prag um, promovierte zum Doktor der Philosophie und war Lehrer der tschechischen Sprache am Akademischen Gymnasium. Später erhielt er einen Lehrauftrag an der Prager Karlsuniversität, wurde Professor, Dekan der Philosophischen Fakultät und schließlich Rektor dieser Universität.
Jungmann ist in vielerlei Hinsicht ein Prototyp der tschechischen Nationalbewegung im 19. Jahrhundert.
„Jungmann ist in vielerlei Hinsicht ein Prototyp der tschechischen Nationalbewegung im 19. Jahrhundert: ein zweisprachiger Staatsbeamter, genauer gesagt Lehrer, der aus einfachen ländlichen Verhältnissen stammte. Nach einer kurzen Episode in Litoměřice / Leitmeritz verbrachte er sein ganzes Leben in dem entstehenden Zentrum der Nationalbewegung, also in Prag. Neben seiner Lehrtätigkeit war er ein fleißiger Publizist, Übersetzer und Sprachwissenschaftler. Er stützte sich auf seine Ausbildung, auf Zeitschriften und war praktisch ein Autodidakt. Im Unterschied zu den Aristokraten seiner Zeit ist er zum Beispiel fast nie außerhalb der böhmischen Länder gereist.“
Jungmanns Interesse an der tschechischen Sprache wurde vor allem nach seiner Ankunft zum Studium in Prag geweckt:
„Jungmann kam in den 1790er Jahren aus Mittelböhmen nach Prag, also in einer Zeit, in der sich die böhmischen Länder von den zentralisierenden Maßnahmen Josephs II., die mit der Durchsetzung der deutschen Sprache verbunden waren, erholten. Die klassische kultivierte Sprache, Tschechisch, wurde zu einem wichtigen kulturellen Symbol. In dieser Zeit wurde auch zum Beispiel die erste Universitätsprofessur für Tschechisch in Prag gegründet. Jungmann nahm die Impulse der Zeit auf, er zeigte sein literarisches Talent als Übersetzer und Dichter. Diese Fähigkeiten hat er in einer Art Dialog und Auseinandersetzung mit dem deutschen Nationalismus weiterentwickelt.“
Grundlagen für tschechische Schriftsprache und Wortschatz
Jungmann war ein konsequenter Verfechter der Erneuerung der tschechischen Schriftsprache. Anders als etwa sein Lehrer Josef Dobrovský schrieb er seine meisten Publikationen auf Tschechisch. Er betrachtete die Sprache als das wichtigste Merkmal einer Nation, und ein Tscheche war für ihn jemand, der Tschechisch sprach…
„In einem gewissen Streit mit Palacký hat er einmal behauptet, dass man nur dann für die Nation arbeite, wenn man in ihrer Sprache arbeite, schreibe, denke und spreche.“
Zudem sei Josef Jungmann ein sehr fähiger Organisator gewesen, betont Dalibor Dobiáš weiter:
„Er trug zur Gründung der ersten tschechischen wissenschaftlichen Zeitschrift ‚Krok‘ und zur Entwicklung der tschechischen wissenschaftlichen Terminologie bei. Er widerlegte damit die Einwände, dass das Tschechische als Volkssprache dies nicht leisten kann. Natürlich konnte er das nicht allein schaffen, sondern nur im Dialog mit seinen oft sehr fähigen Mitarbeitern, die häufig hervorragende Wissenschaftler waren.“
Zur Entwicklung der tschechischen Sprache trug Jungman auch durch eigene Übertragungen bei. Er wollte damit beweisen, dass die tschechische Sprache auch zur Wiedergabe anspruchsvoller künstlerischer Texte geeignet ist. Er übersetzte unter anderem aus dem Englischen, Französischen und Deutschen ins Tschechische…
Obwohl Jungmanns Übersetzungen heute manchmal veraltet erscheinen, gehören sie neben seinem Wörterbuch zu den Kulturdenkmälern seiner Zeit.
„Auch bei der Profilierung der modernen deutschen Sprache waren ja Übersetzungen, sowohl von Shakespeare als auch von anderen Autoren, von großer Bedeutung. Jungmann war auch nicht der erste Übersetzer ins Tschechische am Ende des 18. Jahrhunderts, er hat aber tatsächlich eine wichtige Rolle gespielt. So konzentrierte er sich nicht so sehr auf die klassische antike Literatur, sondern auf moderne europäische Werke, wie zum Beispiel Miltons ‚Paradise lost‘ oder Chateaubriands ‚Atala‘. Und mit seiner Übersetzung des russischen ‚Igor-Lieds‘ hat er auch einen slawischen Kulturkodex ins Tschechische eingeführt. Eine entwickelte Literatursprache war für die nationale Identifizierung unerlässlich. Obwohl Jungmanns Übersetzungen heute manchmal veraltet erscheinen, gehören sie neben seinem Wörterbuch zu den Kulturdenkmälern seiner Zeit.“
Einen großen Verdienst hatte Josef Jungmann als Sprachwissenschaftler:
„Was die Grammatik betrifft, konnte Jungmann an seinen Vorgänger und späteren Kritiker Josef Dobrovský anknüpfen, beziehungsweise an die geschliffene humanistische tschechische Sprache. Wenn auch um den Preis, dass die Sprache in seiner Zeit bereits ein bisschen künstlich wirkte. Schwierigkeiten gab es mit dem Wortschatz, weil sich die Gesellschaft im Laufe der Zeit weiterentwickelt hatte, und einige wissenschaftliche, poetische und andere Ausdrücke in Vergessenheit geraten waren und durch nichttschechische Wörter ersetzt wurden. Jungmann und seine Mitarbeiter haben an einem tschechischen Wörterbuch gearbeitet, für das sie sich auf die Vergangenheit, auf verschiedene Varietäten der Sprache und andere slawische Sprachen stützten. Das Ergebnis dieser Arbeit war auch eine stilistische Differenzierung der Sprache und die Entstehung einer anspruchsvollen modernen Literatur.“
Das fünfbändige tschechisch-deutsche Wörterbuch
Das bedeutendste Werk Josef Jungmanns ist das tschechisch-deutsche Wörterbuch mit 120.000 Einträgen, in dem er die Grundlage für den modernen tschechischen Wortschatz legte. Dreißig Jahre lang sammelte Jungmann Wort für Wort, Satz für Satz, Beispiel für Beispiel, um schließlich ein fünfbändiges Monument zu verfassen. Aber er war dabei nicht allein:
„Am Anfang dieses Wörterbuchs steht zwar ein Porträt von Jungmann, aber es gibt da auch ein Vorwort, in dem Jungmann an seine Mitarbeiter denkt und betont, dass es ein kollektives Werk sei. Jungmanns Tätigkeit als Übersetzer und Publizist trat in den späten 1820er und 1830er Jahren in den Hintergrund, weil er sich völlig auf diese Arbeit konzentrierte. Er war schon ziemlich alt, und man kann in seiner Korrespondenz über seine Sorgen lesen, ob er diese Arbeit noch zu Ende bringen kann.“
Das Wörterbuch hatte gewisse Vorläufer in deutschen oder polnischen Nachschlagewerken. Als ein Werk, das im Wesentlichen in der Freizeit der Autoren unter der Leitung von Jungmann entstanden ist, sei es in seinem Umfang aber außergewöhnlich, sagt der Literaturhistoriker:
„Es wurde zu Recht als ein nationales Symbol bei Jungmanns Beerdigung 1847 mitgeführt. Im Vergleich zum Deutschen hat das Buch gezeigt, dass das Tschechische eine reiche Sprache ist, die sowohl zu Abstraktionen als auch zu figurativen Bezeichnungen in der Literatur fähig ist. Jungmann hat die Norm und zugleich einen Gegenstand für Studien nachfolgender Generationen geschaffen und somit zur Entwicklung der Nationalbewegung beigetragen. In diesem Sinne handelt es sich um einen der Höhepunkte der sogenannten tschechischen nationalen Wiedergeburt vor den europäischen politischen Umwälzungen von 1848, die das Werk dieser zweiten Generation der tschechischen nationalen Wiedergeburt in eine neue Phase und in eine neue Welt gebracht haben.“
250. Geburtstag – Gelegenheit zur Neubewertung
Der 250. Geburtstag Josef Jungmanns wird laut Dobiáš heute nicht unkritisch gefeiert, sondern regt viel mehr zum Nachdenken an. Nämlich darüber, was die jeweilige nationale Kultivierung geboten hat, und welche Probleme damit verbunden waren…
„Die Sprache wurde in Zentraleuropa zu einem sehr wichtigen Symbol einer Nation, weil die Alltagskulturen und Traditionen nicht so unterschiedlich waren. Jungmann wurde darum schon zu Lebzeiten und dann auch nach seinem Tode zu einem wichtigen Symbol der tschechischen Nationalbewegung. Ziemlich früh wurde ein Denkmal für ihn in Prag errichtet. Aber gleichzeitig wurde sein Programm von der späteren Generation der ‚Realisten‘ von Tomáš Garrigue Masaryk angegriffen. Das Programm und der Historizismus der älteren Generation wurden als zu eng, unphilosophisch, konfliktvoll und unmodern betrachtet. Es entstand ein Streit um Jungmann, der eigentlich bis zum Ende des 20. Jahrhunderts angedauert hat. Noch in den 1990er Jahren wurde Polemik darüber geführt, ob Jungmann ein Vorläufer, ein geistlicher Vater der Vertreibung der Deutschen aus Böhmen war oder nicht. Das sind Kontroversen, die eher in einem breiteren, mitteleuropäischen Kontext und in den Interaktionen von Jungmann und seinen Zeitgenossen gelöst werden können. Wie schon gesagt, es gibt positive Elemente. Bis heute beneiden die Schotten und die Iren uns Tschechen dafür, was uns hier gelungen ist und welch entwickelte Sprache und Literatur in Böhmen entstand. Dies hat aber gleichzeitig zu einer Exklusivität und zu Problemen geführt, die damit im mitteleuropäischen Kontext verbunden waren.“
Anlässlich des 250. Geburtstages von Jungmann wird eine internationale Konferenz von der tschechischen Akademie der Wissenschaften, der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität und dem Verein Matice česká veranstaltet. Historiker, Literaturhistoriker und weitere Experten werden vom 19. bis 21. September in Prag und in Lužany Jungmanns Vermächtnis neu bewerten und seine Rolle bei der „nationalen Kultivierung“ in der Epoche des romantischen Nationalismus in Europa untersuchen.