Kämpfer für die tschechische Sache

František Ladislav Rieger (Foto: Public Domain)
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In vielen tschechischen Städten und Gemeinden gibt es eine Rieger-Straße oder einen Rieger-Platz. Prag hat sogar eine große Parkanlage, in der eine Statue steht von eben jenem František Ladislav Rieger. Heute ist der Politiker aus dem 19. Jahrhundert etwas in Vergessenheit geraten, aber einst wurde ihm große Bedeutung beigemessen. Ein Portrait anlässlich seines 200. Geburtstags.

Rieger-Statue in Prag  (Foto: Ondřej Kořínek,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0)

František Ladislav Rieger  (Foto: Public Domain)
Rieger, Jungmann, Palacký oder Jirásek – diese Namen symbolisieren die nationale Wiedergeburt hierzulande in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Einige der Persönlichkeiten trugen zwar deutsche Namen, aber sie haben sich als Tschechen gesehen. Das war auch der Fall von František Ladislav Rieger. Er wurde am 10. Dezember 1818 im nordböhmischen Semily geboren. Sowohl die Familie als auch das Städtchen waren tschechischsprachig, das überwiegend deutschsprachige Sudetenland lag etwa 15 Kilometer entfernt. Woher der Nachname Rieger stammte, dazu gibt es mehrere Hypothesen. Laut einer von ihnen sind die Vorfahren von František Ladislav Anfang des 17. Jahrhunderts aus der Schweiz nach Böhmen gekommen. Nachweisen lässt sich aber nur, dass die Familie über mehrere Generationen hinweg die Mühle in Semily besessen hat und dort zu den reichen Bürgern zählte. František Ladislav Rieger hatte also für seine spätere Karriere gute Startbedingungen, sagt Tomáš Chvátal. Er ist Historiker am Heimatmuseum in Semily:

„Rieger war Sohn eines Müllers und sollte eigentlich in die Fußstapfen seines Vaters treten. Doch zum Freundeskreis der Familie gehörten auch viele ausgebildete Priester. Diese trugen dazu bei, dass František Ladislav gute Schulen besuchen durfte. Auch seine Mutter Theresa ermutigte ihn, sich weiterzubilden, so wie das die befreundeten Priester taten. Das war entscheidend, denn sein Vater unterstützte ihn darin nicht.“

Josef Jungmann  (Foto: Ablakok,  CC BY-SA 4.0)
Der junge Rieger besuchte das Gymnasium in Jičín / Jitschin, nach zwei Jahren wechselte er auf Empfehlung seiner Lehrer an das Jesuitenkolleg Klementinum in Prag. Dieses zählte zu den besten Schulen in den böhmischen Ländern. Während des Studiums begann Rieger, Gedichte zu schreiben und Artikel zu kulturellen Themen zu veröffentlichen. Sein ganzes Leben lang war er dann als Publizist tätig.

Sprache und Nationalbewegung

Die Unterrichtsprache am Gymnasium war Deutsch, nur zwei Lehrer konnten Tschechisch. Einer von ihnen war Josef Jungmann, eine der wichtigsten Persönlichkeiten der tschechischen nationalen Bewegung. Als sein Klassenlehrer machte er Rieger mit einer informellen Gruppe weiterer tschechischer Patrioten bekannt. Ihr erstes Ziel war, die tschechische Sprache zu retten.

„Zu dieser Zeit war das Tschechische die Sprache der einfachen Leute vor allem auf dem Land. Die Honoratioren in den großen Städten bemühten sich, Deutsch zu sprechen, denn dies galt als Umgangssprache in den höheren Schichten. Daher konnte sich die tschechische Sprache nicht weiterentwickeln. Seit dem 16. Jahrhundert waren kaum neue Wörter hinzugekommen. Es fehlten zum Beispiel wissenschaftliche Begriffe, die seitdem in anderen Sprachen entstanden waren, und die Grammatik war auch noch nicht festgeschrieben“, so der Historiker.

Josef Dobrovský  (Foto: Kristýna Maková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Wie ernst die Lage war, das lässt sich auch an der Skepsis einiger dieser Patrioten ablesen. So zweifelte zum Beispiel Josef Dobrovský daran, dass das Tschechische noch zu retten war. Er befürchtete, dass es langsam untergehen werde. Trotzdem gab Dobrovský zusammen mit Josef Jungmann ein umfangreiches deutsch-tschechisches Wörterbuch heraus und verfasste ein Lehrbuch des Tschechischen. Jungmann forderte seine Schüler auf, an einem wissenschaftlichen Projekt mitzumachen. Da sie aus unterschiedlichen Teilen Böhmens stammten, sollten sie regionale Begriffe sammeln. Auch Rieger beteiligte sich, er notierte viele damals um Semily verwendete Ausdrücke. Darüber hinaus war er in patriotischen Vereinen aktiv, 1840 half er zum Beispiel dabei, den ersten tschechischen Ball zu organisieren.

Im Revolutionsjahr 1848 startete Rieger seine politische Karriere. Als Mitglied der Delegation Böhmens verhandelte er mit Vertreten der österreichischen Regierung in Wien. Tomáš Chvátal:

Tomáš Chvátal  (Foto: Ivana Bernáthová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Die Forderungen zielten auf eine bessere Stellung der böhmischen Länder. Es ging um die historischen Länder der böhmischen Krone. Vor allem der Historiker Palacký versuchte, die früheren Rechte dieser Länder zu erneuern. Letztlich wurden die Forderungen jedoch abgeschmettert.“

Dabei hatten sich die Aktivisten anfangs freuen dürfen: Kaiser Ferdinand I. bewilligte die Gründung eines Reichstages, dieser bestand aus Abgeordneten der deutschsprachigen und der slawischen Kronländer Österreichs. Für Böhmen wurden unter anderem Rieger und Palacký gewählt. Ein paar Monate später wurde aber der Reichstag wegen der revolutionären Ereignisse aus Wien nach Kroměříž / Kremsier verlegt. Außerdem konnten sich die Abgeordneten nicht auf den Text einer geplanten Verfassung einigen. Daher wurde der Reichstag am 7. März 1849 wieder aufgelöst.

Rückkehr in die Politik

Foto: Archiv der Karlsuniversität in Prag
Rieger und seine Kollegen wandten sich darauf von der Politik ab. Stattdessen waren sie in Wirtschaft und Kultur tätig. Rieger engagierte sich zum Beispiel im Verein für die Entwicklung der Industrie in Böhmen. 1860 gab der Kaiser jedoch das sogenannte Oktoberdiplom heraus. Diese Verfassungsänderung ermöglichte die Gründung eines Parlaments, das ein Jahr später entstand. Rieger kehrte darauf in die Politik zurück, in der neugegründeten „Alttschechischen Partei“. Und er erhielt sogar eine Audienz bei Kaiser Franz Josef.

„Es ging darum, dass die Tschechen ihre erste politische Zeitschrift herausgeben wollten. Bei der Audienz wurde über die Bewilligung verhandelt, und zwar mit Erfolg. So konnte die Zeitschrift ‚Národní Listy‘ erscheinen. Sie wurde zu einer wichtigen Plattform für die tschechische Politik. Danach verhandelten die Tschechien aber über Jahrzehnte hinweg weiter, nicht nur mit dem Kaiser, sondern auch mit der Regierung und im Parlament. Ihre Forderungen betrafen die Sprache, die Verwaltung und die Wirtschaft, doch es war nicht einfach, in den Bereichen etwas durchzusetzen“, sagt Chvátal.

Die Historiker sind sich heute meist einig, dass der Kaiser selbst den tschechischen Forderungen gegenüber offen war. Ganz anders jedoch die deutschen nationalistischen Politiker. Sie sollen dafür verantwortlich gewesen sein, dass beim österreich-ungarischen Ausgleich 1867 die tschechischen Forderungen nicht berücksichtigt wurden. In den böhmischen Ländern führte dies zu Demonstrationen und Straßengefechten mit der Polizei. 1868 verließen die tschechischen Abgeordneten den Reichstag, Rieger trug als Abschlussrede das Manifest der tschechischen Opposition vor. In den folgenden Jahren beteiligte er sich an den Versuchen, einen böhmisch-österreichischen Ausgleich wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Es war jedoch vergebens.

‚Jungtschechen‘ im Parlament
Trotz der Misserfolge glaubte Rieger weiter daran, mit den Deutschen eine gemeinsame Sprache finden zu können. Er betonte dabei die Notwendigkeit zu Kompromissen. Dies stieß jedoch auf den Widerstand der radikalen Tschechen, Rieger wurde sogar als „Verräter“ verunglimpft. Eine Bewertung seiner Arbeit sei daher nicht einfach, meint der Geschichtswissenschaftler:

„Schon zu Riegers Zeiten wurde dieser einerseits als Begründer einer selbständigen tschechischen Politik gesehen. Andererseits wurde er auch kritisiert, vor allem nachdem die zweite Partei, die sogenannten ‚Jungtschechen‘ entstanden waren. Rieger wurde vorgeworfen, dass er zu passiv sei. So soll er zu eng mit der österreichischen Regierung kooperiert und sich nicht genug für das Nationaltheater eingesetzt haben.“

Diese Kontroversen zeigten sich auch in Riegers Heimatstadt Semily. Um seine politische Tätigkeit zu finanzieren, verkaufte er 1862 die Mühle. Die er geerbte hatte. Einziger Interessent war der deutsche Fabrikant Franz Schmidt, der danach in der Stadt eine Schmiede baute. Das aber stieß den tschechischen Bewohnern von Semily sauer auf. Rieger erhielt zum Beispiel noch zu Lebzeiten die Ehrenbürgerschaft in etwa 100 böhmischen Gemeinden. In seiner Heimatstadt geschah das jedoch erst drei Jahre vor seinem Tod. Und eine Statue zu seinen Ehren wurde dort 1928 aufgestellt.