"Kirmes in Hudlice", dem Geburtsdorf Josef Jungmanns
Gleich zwei literarische Motive haben die Autorin von "Reiseland Tschechien" bewogen, ein kleines und auf den ersten Blick unauffälliges Dorf bei Beroun in Mittelböhmen zum Ziel der heutigen Literaturreise zu wählen. Erstens ist dieses der Geburtsort eines bedeutenden Sprachwissenschaftlers, Literaturhistorikers, Übersetzers, Dichters und Publizisten, und zweitens der Ort der Handlung eines Puppentheaterstücks. Mehr erfahren Sie bei der folgenden Reise nach Hudlice, die Sie nun mit Marketa Maurova und Brigitte Silna unternehmen. Ich wünsche gute Fahrt und gute Unterhaltung.
Hudlice ist ein Dorf in der Hügellandschaft Mittelböhmens, in der Nähe des Städtchens Beroun gelegen. Wer Fußwanderungen mag, der kann den 13 etwa Kilometer langen Jungmann-Weg von Beroun nach Hudlice gehen, der 1947 aus Anlass des 100. Todestags jenes Sprachforschers und tschechischen Volksaufklärers errichtet wurde. Die Häuser, die man in Hudlice heute sieht, wurden überwiegend nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut bzw. umgebaut und verraten nichts bemerkenswertes; bis auf ein Gebäude, das sich in einem Garten hinter der Kirche verbirgt: ein kleines, malerisches, schwarz-weiß gestreiftes Bauernhaus mit Pelargonien in den Fenstern. Ein neugotisches Denkmal hinter dem Gartentor macht uns sofort darauf aufmerksam, dass wir vor dem Geburtshaus des tschechischen Dichters, Wissenschaftlers und Wiedererweckers der tschechischen Sprache, Josef Jungmann, stehen. Drinnen in der Stube begrüßt uns Frau Jana Stastna, die vieles über das Haus und Josef Jungmann erzählt. Jungmann kam vor 230 Jahren, am 16. Juli 1773 in diesem Haus zur Welt:
"Josef wurde als das sechste von zehn Kindern geboren. Nach ihm wurden noch zwei Jungen und zwei Mädchen geboren. Die Jungen waren ebenso begabt wie er, auch sie studierten. Antonin studierte Medizin und war zu seinen Lebzeiten ein sehr bekannter Arzt und vor allem als Geburtshelfer sehr gefragt. Und Jan wurde nach dem Wunsch der Mutter Priester. Er wirkte bei den Kreuzherren mit dem rotem Kreuz in der Prager Altstadt und später als Pfarrer in Unhost."
Sogar drei bedeutende Persönlichkeiten der tschechischen Gesellschaft der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts stammten also aus diesem kleinen Häuschen in Hudlice. Aus welchen Verhältnissen kamen sie hervor, wer waren ihre Eltern? Fragen, die sofort jedem in den Sinn kommen, der über die Laufbahn der Brüder Jungmann hört:
"Ihr Vater hieß Tomas Jungmann und war ein Kirchendiener in Hudlice. Da hier jedoch in jener Zeit nur einmal in zwei Wochen die Messe zelebriert wurde, nämlich wenn der Priester aus Beroun hierher kam, hätte Jungmann von diesem Beruf nicht leben können, und so arbeitete er noch als Schuster. Wir zeigen hier, wie das Schusterwerkzeug aussah. Und weiter hatte jeder auch ein Stück Feld und Vieh, weil jeder in dem Dorf das, was er zum Leben brauchte, selbst produzieren musste. Er war ein ziemlich angesehener Mensch und wurde wiederholt in die Dorfvertretung gewählt. Er heiratete Katerina Kinska aus dem Forsthaus "Zum König". Das ist ein Forsthaus beim benachbarten Dorf. Dieses Forsthaus ist auch deshalb geschichtsträchtig, weil dort die Idee des Turnvereins Sokol geboren wurde."
Der Turnverein Sokol? Eine Bemerkung, die zwar mit Josef Jungmann nicht unmittelbar zusammenhängt, die ich jedoch trotzdem interessant fand. Wir sprechen doch von der Zeit der nationalen Wiedergeburt, und für diese war die Gründung von verschiedenen Vereinen von großer Bedeutung. Übrigens gerade in Hudlice erfreut sich der "Sokol-Verein" bis heute großer Beliebtheit:
"Die Gründer des "Sokol" waren Dr. Tyrs und Dr. Fügner. Dr. Fügner pflegte ins Forsthaus zur Sommerfrische zu fahren und Dr. Tyrs wirkte als Erzieher bei den Kindern des Besitzers der Emailwarenfabrik in einem anderen Dorf in der Umgebung, in Novy Jachymov. Sie kannten sich natürlich bereits aus Prag, aber während ihrer Ausflüge hier in den Wäldern von Krivoklat kamen sie zum Schluss, dass es an der Zeit ist, einen tschechischen Turnverein zu gründen, denn einen deutschen Turnverein gab es bereits. Und so entstand die Sokol-Idee gerade hier in den Wäldern von Krivoklat. Der Sokol wurde dann 1862 gegründet."
Soviel also zum Turnverein "Sokol"; doch nun wollen wir nach Hudlice und zu Josef Jungmann zurückkehren. Jana Stastna erzählt über das Häuschen, in dem sich das Museum befindet. Es existiert dort seit mehr als 100 Jahren und zeigt in zwei Stuben die alte Einrichtung eines Bauernhauses, weiter eine schwarze Küche, und im dritten Zimmer eine Ausstellung über Josef Jungmann:
"Es ist ein mittelböhmisches Holzbauernhaus, das fast 300 Jahre alt ist. Der Großvater von Josef Jungmann kaufte es im Jahr 1730, gebaut wurde es schon um etwa 1716. Die ursprüngliche Dachbedeckung war Stroh, aber da man hier keinen Roggen mehr anbaut, wurde es vor etwa 20 Jahren von Dachschindeln abgelöst."
Vor dem Haus steht das bereits erwähnte Josef-Jungmann-Denkmal.
"Die Besitzer dieses Herrschaftsgebiets, die Fürstenberger, hatten in Novy Jachymov auch Eisenerzgruben und eine Eisengießerei. In der Gießerei wurden verschiedene Gebrauchs-, aber auch Schmuckgegenstände hergestellt: verschiedene Gitter, Kreuze usw. Und eine der letzten Arbeiten der Gießerei, bevor sie geschlossen wurde, ist das neugotische Denkmal, das im hiesigen Garten zum 100. Geburtstag Josef Jungmanns errichtet wurde. Die Eisenerzgruben waren bis etwa 1965 in Betrieb."
Außer dem Haus erinnert noch ein kleiner Bau im Dorf an die Familie Jungmann, nämlich eine heute schön renovierte Kapelle.
"Die Mutter Josef Jungmanns war sehr fromm. Als Josef geboren wurde, hat sie ihn eigentlich Gott geweiht, sie wollte, dass er Priester wird. Die Frömmigkeit der Familie Jungmann beweist auch die Tatsache, dass sie hier eine Kapelle erbauen ließen, die dem hl. Johannes von Nepomuk geweiht wurde, und 50 Gulden für ihre Errichtung und Erhaltung spendeten, was damals viel Geld war."
Der kleine Josef ist letztendlich kein Priester geworden, wie sich seine Mutter gewünscht hatte. Nach den Studien war er als Professor und Wissenschaftler tätig. Dazu führte aus Hudlice jedoch noch ein langer Weg:
"Josef ging zunächst zur Gemeindeschule hier in Hudlice, und da er begabt war, überzeugten sein Lehrer Husak und der Herrschaftsverwalter Kubasek Josefs Eltern, das Kind studieren zu lassen. Im Alter von 11 Jahren ging er daher nach Beroun, an die deutsche Piaristenschule. Der Übergang war für Josef sehr schwer, weil er hier nur in Tschechisch lernte und dort in Deutsch beginnen musste. Er schreibt darüber in seinen Aufzeichnungen, die er am Ende seines Lebens verfasste. Neben verschiedenen philosophischen Erwägungen kehrt er darin zu seinen Kinder- und Jugendjahren zurück. Er schreibt darin also, dass er in Hudlice auf Tschechisch gut lesen, schreiben und rechnen konnte, dies ihm jedoch in Beroun nichts nützte. Da er ein gutes Gedächtnis hatte, lernte er viele Seiten auswendig, konnte diese seinen Professoren aufsagen, wusste jedoch nicht, wovon er sprach. An dieser Schule blieb er drei Jahre. Dann hielt er sich noch ein Jahr privat in Beroun auf, um seine Latein-Kenntnisse privat zu verbessern. Dann besuchte er das Piaristengymnasium in der Prager Neustadt und nach dessen Abschluss studierte er Philosophie und Jura an der Karlsuniversität."
Nach dem Studium wirkte Jungmann zunächst als Professor am Gymnasium in Litomerice und später in Prag. Sein wissenschaftliches Werk erreichte im großen tschechisch-deutschen Wörterbuchs seinen Höhepunkt. Es handelte sich nicht nur um ein wertvolles und nützliches Instrument für die Wiederbelebung und den Gebrauch des Tschechischen, sondern auch um einen Beleg, dass es sich um eine lebendige, reiche und anderen Weltmundarten gleichberechtigte Sprache handelt. Jungmann erlebte als einer der wenigen tschechischen Patrioten noch zu seinen Lebzeiten Ruhm und Anerkennung. Dichter haben ihn in Oden besungen, Lehrgesellschaften ernennten ihn zu ihrem Mitglied und verliehen ihm Auszeichnungen. Kaiser Leopold schenkte ihm einen goldenen Ring und erhob ihn in den Ritterstand.
Das war, liebe Hörerinnen und Hörer, Hudlice als Geburtsort von Josef Jungmann. Und damit wir nicht so pathetisch enden, wollen wir mit dem einst populären Puppentheaterstück unsere Sendung abschließen, das den Namen "Kirmes in Hudlice" trägt.
"Fürst Oldrich hat sich hier in den Krivoklat-Wäldern verirrt und kam zu einem Köhler. Und da man gerade Kirmes gefeiert hat, hat ihn der Köhler Matej bewirtet. Fürst Oldrich lud ihn und seine Frau Anka wiederum zur Kirmes in Prag bei sich ein. Er sagte ihm jedoch nicht, dass er Fürst ist. Soweit also die 'Kirmes in Hudlice'."
Und soweit auch Jana Stastna und unsere heutige Literatursendung, die wir - wie üblich - mit einer Quizfrage schließen. Diese lautet: Wie viele Bände hatte das große Tschechisch-Deutsche Wörterbuch, das Josef Jungmann verfasst hat? Ihre Antworten schicken Sie bitte an die Adresse: Radio Prag, Vinohradska 12, PLZ 120 99, Prag 2 oder per e-mail an die Adresse: [email protected]. Die Antwort auf unsere letzte Quizfrage heißt: die mährisch-deutsche Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach starb in Wien. Ein Buch als Preis für die richtige Lösung geht an Alfred Hora nach Wien. Herzlichen Glückwunsch!