Frantisek Palacky war Autor der Geschichte, die den Tschechen ihr Nationalbewusstsein zurückgab
Das Porträt von Frantisek Palacky verziert die Banknote des tschechischen Tausendkronenscheins. Auf sein Konterfei stoßen wir ganz sicher in jedem Lehrbuch der tschechischen Literatur und in jedem tschechischen Geschichtsbuch. Den Denkmälern mit dem Abbild seiner Figur begegnet man auf vielen Plätzen der Tschechischen Republik. Das bekannteste von ihnen steht auf dem nach ihm benannten Palacky-Platz in Prag. Seinen Namen tragen etliche Straßen in Stadt und Land, und auch die Universität in Olomouc / Olmütz ist nach ihm benannt. Wodurch verdiente sich dieser Mann eine solche Aufmerksamkeit und Ehre? Und hat er unserer hektischen Gegenwart überhaupt noch was zu sagen? Darüber spricht Dana Martinova im heutigen "Kapitel aus der tschechischen Geschichte" mit dem Historiker Jirí Koralka.
"Palacky wird auch unter den heutigen Historikern als der größte Tscheche des 19. Jahrhunderts angesehen. Und das nicht nur, weil er sich als Geschichtsforscher verdient gemacht hat, sondern vor allem deshalb, weil er sich als engagierter Autor des tschechischen Nationalprogramm hervortat. Das war ein Programm, das den Tschechen endlich die Gleichberechtigung unter den Völkern der habsburgischen Monarchie sichern sollte. Frantisek Palacky wurde am 14. Juni 1798 in Hodslavice, einem kleinen Ort bei Novy Jicin in Nordostmähren geboren. Obwohl er aus einer evangelischen Familie stammte, besuchte er zunächst die katholische Kirche in Kunin. Später hat ihn sein Vater in die evangelischen Schulen in Oberungarn, der heutigen Slowakei, eingeschrieben, und zwar in Trencin und danach auf das Lyzeum in Pressburg / Bratislava. Hier wurde Palacky eine ziemlich umfangreiche Bildung zuteil, und das vor allem deshalb, weil das dortige Milieu wesentlich liberaler war als das in Böhmen. Dank seiner Lehrer, die größtenteils deutsche Universitäten wie jene in Jena oder Göttingen durchlaufen hatten, erhielt er Zugang zur neuesten Literatur aus den protestantischen Ländern Deutschlands, aus England und aus Frankreich. Beim Studium dieser Bücher hat er sich gleichzeitig breit gefächerte Sprachkenntnisse angeeignet."
Palacky hat seine Jugend aber nicht nur hinter Büchern verbracht, sondern er ließ sich auch gern in Gesellschaft blicken, liebte die Unterhaltung und war ein ausgezeichneter Tänzer. Nach dem Abschluss des Lyzeums war er vier Jahre als Hauslehrer in adligen Familien tätig und lernte dort auch das elitäre Benehmen und Auftreten kennen. Mit einer ganzen Reihe von Vertretern der böhmischen Aristokratie ist er sich näher gekommen, und zwar soweit, dass er sogar Karten mit ihnen gespielt hat.
"Im April 1823 war Palacky auf Einladung von Josef Dobrovsky und Josef Jungmann nach Prag gekommen, um sich mit dem Studium der Geschichte der Hussiten einen Wunsch zu erfüllen. Als Protestant hatte er sich dafür schon immer sehr interessiert. In Prag traf er auf ein Milieu, in dem er alle Anderen überragte. Sowohl dank seiner Kenntnisse als auch durch sein Auftreten hat er sich Zutritt in solche Kreise verschafft, die selbst für damalige tschechische Gebildete nicht laufend zugänglich waren. Durch Vermittlung des führenden Sprachwissenschaftlers Josef Dobrovsky hat Palacky die Familie des Grafen Sternberg kennen gelernt, auf dessen Anregung er dann zum Gründer und Redakteur der ersten Wissenschaftszeitschriften in Böhmen wurde - der deutschen ´Monatschrift der Gesellschaft des vaterländischen Museums in Böhmen´ und der tschechischen Zeitschrift ´Ceske Muzeum´. Mit diesen Zeitschriften hat Palacky eine völlig neue Generation der tschechischen Gebildeten beeinflusst."
Mitte des 19. Jahrhunderts kam es zur Blüte der tschechischen Geschichtsschreibung, die innerhalb der sich herausbildenden tschechischen Nation eine exponierte Stellung einnahm. Sie verstärkte das Interesse von Forschern ebenso wie von Laien um das Kennen lernen der Vergangenheit, in der die Tschechen bereits ihren eigenen Staat hatten.
"Eine bahnbrechende Bedeutung hatte das Lebenswerk von Palacky als Historiker. Nach dem Vorbild der schottischen, schweizerischen und deutschen Historiker fasste er den Entschluss, die auf die Quellen basierende Geschichte der böhmischen Länder und des tschechischen Volkes neu zu schreiben. Zu diesem Zweck forschte er in einer ganzen Reihe von Archiven, und zwar nicht nur in Böhmen, sondern auch in Wien, Dresden, Leipzig und München. Vier Monate lang verbrachte er als einer der ersten protestantischen Forscher sogar im Vatikan. 1831 wurde er zum offiziellen Geschichtsschreiber des Königreichs Böhmen berufen. 1832 begann er im Auftrag des böhmischen Ständeausschusses, der durch den hiesigen Adel verkörpert wurde, an seinem Werk über die monumentale Geschichte von Böhmen zu schreiben. Im Jahre 1836 war es zunächst in deutscher Sprache und im Jahre 1848 dann auch in tschechischer Sprache unter dem Titel ´Die Geschichte des tschechischen Volkes in Böhmen und Mähren´ erschienen."
Das umfangreiche Werk fand besonders in Deutschland einen riesigen Nachhall. Das damals in Augsburg herausgegebene und sehr verbreitete Tagblatt "Allgemeine Zeitung" veröffentlichte ganzseitige Rezensionen, die seine wissenschaftliche Bedeutung hervorgehoben haben. Die Akademien der Wissenschaften in Bayern, im schlesischen Breslau und in der Oberlausitz ernannten Palacky zu ihrem Mitglied. Im Jahre 1847 war Palacky als einziger tschechischer Historiker sogar ein Gründungsmitglied der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien.
"Der Grundgedanke im Geschichtswerk von Palacky war es, zu zeigen, dass die Tschechen im Mittelalter ein hoch entwickeltes Volk waren, das einen bedeutenden Anteil an der Entwicklung der europäischen Kultur und Zivilisation hatte, und das während der Hussitenkämpfe sowie der von den Hussiten vollzogenen Reformation als erstes die Oberherrschaft der römisch-katholischen Kirche durchbrochen hatte. Als einen Beleg dafür, dass die Tschechen schon in der Vergangenheit ein fortgeschrittenes Volk waren, sah Palacky die Tatsache, dass es gerade der einstige böhmische König Georg von Podiebrad war, der den Vorschlag eines europäischen Friedensvertrags unterbreitet hatte. Daraus zog Palacky den ihn motivierenden Schluss, dass die Tschechen auch in der Gegenwart das Recht haben, als eine gleichberechtigte Nation in Europa behandelt zu werden."
Abschließend müssen wir noch auf Palackys politische Tätigkeit verweisen, die damals mit seiner Arbeit als Historiker untrennbar verbunden wurde. Nachdem Palacky im April 1848 die Einladung bekommen hatte, sich an der Vorbereitung der Wahlen zur Nationalversammlung in Frankfurt zu beteiligen, sandte er dem Frankfurter Komitee seinen berühmten Absagebrief. In diesem erklärte er, dass er kein Deutscher sei und dass das tschechische Volk nie ein Bestandteil der deutschen Nation war und sein werde.
"Palacky war überzeugt davon, dass den Tschechen innerhalb des künftigen geeinigten Deutschlands ein sicherer Untergang drohen würde. Keine der europäischen Großmächte aber hatte in dieser Zeit ein Interesse an der Existenz eines selbstständigen tschechischen Staates, und das musste auch Palacky als realistischer Politiker akzeptieren. Deshalb befürwortete Palacky die Idee eines Umbaus der österreichischen Monarchie hin zu einem föderalen Staatsgebilde. Dieses Modell sollte den kleineren Nationen im Raum zwischen dem sich vereinigenden Deutschland, dem zaristischen Russland und dem moslemischen Reich auf dem Balkan als eine Art Zuflucht dienen."
Im Juni 1848 nahm Palacky seine Tätigkeit im Wiener Reichstag auf. Nach der Revolution in Wien setzte er diese dann in Kromeriz / Kremsier fort. Dabei hat er sich stets für eine Föderalisierung der habsburgischen Monarchie eingesetzt. Er warnte die damalige österreichische Regierung ebenso wie die Regierungen anderer Länder davor, die Kraft der kleineren Nationen nicht zu unterschätzen, und dass es ein Fehler sei, gegen diese Nationen aufzutreten. Und wenn es nicht zu einem Abkommen kommen werde, dann drohe ein langer Krieg in Europa. Palackys Gedanken fanden damals kein Gehör, aber die Zukunft sollte ihm 1918 Recht geben.