100. Geburtstag von Zdeněk Jirotka – Jahresbeginn im Zeichen seines Humors
Trotz traditioneller Neujahrsglückwünsche, die man von allen Seiten bekommt oder auch selbst ausspricht, wird das Jahr 2011 in vieler Hinsicht kein Spaziergang durch einen Rosengarten sein. Trotzdem kann man bestimmt auch vergnüglichen Momenten entgegensehen. Nicht zuletzt auch bei der Lektüre eines Lieblingsbuchs – gemeint ist der humoristische Roman „Saturnin“, den wir Ihnen bereits am Donnerstag in Buch.cz vorgestellt haben. Hierzulande wurde er bereits in mehreren Generationen gelesen. Wir ergänzen das Ganze heute mit einem Porträt des Autors: Zdeněk Jirotka, der vor genau 100 Jahren geboren wurde, gilt der folgende Kultursalon.
„Es ist nachgewiesen, dass ich unter der Regierung Seiner Apostolischen Majestät Kaiser Franz Josef I. geboren wurde, und zwar am 7.Januar 1911 in Ostrau. Ich persönlich weiß nichts davon, aber es wurde mir von glaubwürdigen Menschen mitgeteilt. Später tauchte nichts auf, was dem widersprochen hätte, daher trage ich es so in verschiedene Formulare ein.“
So beschreibt Zdeněk Jirotka in einem Erzählband die Anfänge seines Lebens vor genau 100 Jahren im nordmährischen Ostrava / Ostrau. In den folgenden 30 Jahren deutete aber kaum etwas darauf hin, dass er mal eine fast 60-jährige Laufbahn als Feuilletonist, Essayist sowie als Autor von Erzählungen, Hörspielen oder humoristischen Romanen und nicht zuletzt auch als Rundfunkredakteur antreten könnte. Die Lebenserfahrungen haben ihn aber offenbar gut vorbereitet. In Ostrau besuchte Jirotka das Realgymnasium. Sein Streich, den er später als „ein mithilfe von Schnupfpulver und explosiven Kugeln verübtes Attentat auf den Herrn Katecheten“ beschrieb, hatte für ihn fatale Folgen. In der 5. Klasse wurde er aus dem Gymnasium geschmissen. Der Vater, so Jirotka, sei durch die destruktive Komponente seines Charakters beunruhigt gewesen und habe daher über eine konstruktive Richtung für die weitere Erziehung des Sohnes entschieden.Zdeněk Jirotka wurde Maurer. Nach der Berufsschule legte er 1933 auch das Abitur an einer Fachmittelschule ab und trat den Wehrdienst an. Die Armee verließ er als Unterleutnant. Einen Job im Bauwesen konnte der gelernte Maurer nicht finden und entschied sich für die Karriere des Berufssoldaten. Auch jener Zeit wusste er später als Erzähler etwas Humorvolles abgewinnen. Mit 90 Jahren erinnerte sich Jirotka im Tschechischen Rundfunk:
„Mein ganzes Leben - so lange es mir mein Körper erlaubte - war ich ein leidenschaftlicher Skiläufer. Jeden Sonntag verbrachte ich im Gebirge. In unserer Offizierskantine gab es immer jemanden, der mit mir zum Skilaufen fuhr. Durch ein Zusammenspiel von Zufällen passierte jedoch mehrmals hintereinander, dass derjenige, der mich auf dem Ausflug begleitete, als Halbinvalide zurückkehrte. In der Kantine hat man sich bald über mich lustig gemacht. Einmal fuhr Leutnant Mareda mit. Von ihm wusste ich, dass er früher seinen Wehrdienst beim Grenzschutz geleistet hatte, mit dem immer ein ziemlich hartes Skitraining verbunden war. Mit diesem Mann, dachte ich mir, könnte endlich die Reihe der unheilvollen Zufälle abbrechen. Mein Kompagnon raste aber bei der Abfahrt ins Knieholz am Pistenrand, seine Skibindung platzte und er holte sich einen dreifachen Bluterguss - im Knöchel, Knie und Hüftgelenk. Den Berg hinunterzugehen war für ihn eine Riesenqual.“„Die Spitzbuben“ aus der Offizierskantine im mährischen Olomouc / Olmütz hätten damals beschlossen, diesmal an einer Bushaltestelle auf die Rückkehrer zu warten. Ein Major habe nur aus Jux empfohlen, zwei Sanitäter und eine Tragbahre mitzunehmen. Das war letztlich eine gute Idee:„Als wir mit dem Bus ankamen, standen die heiter gestimmten Kerle auf dem Gehsteig. ´Wo ist Mareda´, rief man mir zu. Der kommt schon, sagte ich total sauer und ging die Skier vom Busdach holen. Als dann Mareda in der Bustür mit zwei Männern auftauchte, die ihn unter den Armen stützten, brach die Clique in so ein Geschrei aus, dass erschrockene Menschen von allen Seiten herbeiliefen.“
1945 arbeitete Jirotka sechs Jahre als Redakteur der Lidové noviny und zwei Jahre in der satirischen Zeitschrift „Dikobraz“. 1953 kam er in den Tschechoslowakischen Rundfunk, wo er zunächst die Redaktion für Humor und Satire und später die Redaktion für tschechische und slowakische Literatur leitete. Nach 1962 entschied sich Jirotka für den Beruf des freischaffenden Schriftstellers. Die Liste mit den Titeln seiner Bücher, Artikel und Radiosendungen ist sehr lang. Bis heute ist aber vieles davon mit Unrecht im Schatten eines einzigen Werkes geblieben. Nämlich in dem seines humoristischen Romans „Saturnin“.
Wer ist also dieser Saturnin? Es ist der Bedienstete des Ich-Erzählers, eines jungen, in Zufriedenheit lebenden Bürgers, den man sich wohl als Beamten der Ersten Tschechoslowakischen Republik vorstellen darf. Der Bedienstete wird von ihm eingestellt, ohne zu wissen, was alles auf ihn zukommt. Es ist nämlich Saturnin, der in Wirklichkeit das Geschehen im Haushalt seines Herrn steuert und viele überraschende Situationen verursacht. Oft zum Ärger derer, die als Gäste zu Besuch kommen.1959 hat der Tschechoslowakische Rundfunk Jirotkas Roman zum ersten Mal auch als Radiolektüre in Folgen gesendet. Mit folgendem „Vorwort“ des Autors:
„Wenn ein Autor erfährt, dass ein Buch von ihm als Radiolektüre gesendet werden soll, überwältigen ihn widersprüchliche Gefühle. Auf der einen Seite freut er sich darüber, dass sein Wort in der kultivierten Darbietung eines hervorragenden Schauspielers den Weg zu tausenden Menschen findet, die das Buch noch nicht gelesen haben. Auf der anderen Seite wird er von Befürchtungen geplagt, wie das ankommen wird.“Die Radiolektüre ist ebenso gut angekommen wie vorher schon das Buch selbst. Der Zauber des Romans besteht vor allem im „trockenen“ englischen Humor seines Autors, der auch als „tschechischer Jerome Klapka Jerome“ bezeichnet wird. Der sarkastische Humor, der übrigens im Allgemeinen für die britische Kultur typisch ist, ist bisher noch bei jeder neuen Leser-Generation gut angekommen.
Jirotkas „Saturnin“ wurde bisher insgesamt 22 Mal verlegt und ist mittlerweile auch in englischer, spanischer und italienischer Übersetzung zu haben. Seine Herausgabe ist auch in Frankreich, Portugal, der Türkei, China und Russland vorgesehen. In Tschechien allerdings ist „Saturnin“ zu einem Phänomen geworden. Das Buch wurde mehrmals als Theaterstück und vor einigen Jahren auch als gleichnamige Fernsehfilmserie aufgearbeitet, die gerade dieser Tage wieder im Tschechischen Fernsehen läuft. Im Tschechischen Rundfunk geht wiederum die „Saturnin“-Lektüre auf Sendung. Man kann sagen, der Beginn des neuen Jahres steht hierzulande im Zeichen des Saturninschen Humors. Ein bereits vor etwa 50 Jahren geäußerter Wunsch seines Autors wartet allerdings nach wie vor auf seine Erfüllung:„Ich glaube fest daran, dass mein Buch auch vertont und von dem Gesangsverein mährischer Lehrer gesungen wird. Bevor es so weit ist, bieten wir es Ihnen als Prosalektüre an und würden uns freuen, wenn Sie sich gut amüsieren.“
Der Nestor des kultivierten tschechischen Humors Zdeněk Jirotka ist am 12. April 2003 im Alter von 92 Jahren in Prag gestorben.