Die Atheisten und ihr Heiliger – der tschechische Wenzelskult
Seit genau zehn Jahren ist der Namenstag des Heiligen Wenzel in Tschechien auch offizieller Staatsfeiertag. Dem böhmischen Landespatron wurde somit nach fast einem Jahrhundert symbolisch von Seiten des Staates wieder jene Bedeutung zuerkannt, welche er zuletzt in den Zeiten der Monarchie hatte. Über den Kult um den heiligen Wenzel hören Sie mehr in der folgenden Sendung von Robert Schuster.
Der Hymnus "Svatý Václave, vévodo české země" auf Deutsch "Heiliger Wenzel, Herzog des böhmischen Landes" war lange inoffizielle Hymne des Volkes und ist auch heute noch mehr als nur ein reines Kirchenlied.
Die Reiterstatue des Landespatrons auf dem Wenzelsplatz in Prag war oft in der Geschichte ein Ort von politischen Kundgebungen, ein Platz, an dem sich das Volk symbolisch um ihren Patron und Fürsprecher versammelte. Das geschah zum Beispiel am 15. März 1939, dem Beginn der Besatzung durch die Nazis. Oder aber auch in den Tagen der so genannten „Samtenen Revolution“ im November 1989.
Wie stark ist der Kult um den heiligen Wenzel heute noch in Tschechien verbreitet?Die regelmäßige Hinwendung zum heiligen Wenzel in Zeiten großer Umbrüche und dramatischer Entscheidungen lässt den Schluss zu, dass die Verehrung des Landespatrons nicht nur eine Angelegenheit von gläubigen Christen ist, sondern auch weite Teile der weltlich-säkularisierten Gesellschaft erfasst. Ob das tatsächlich so ist, darüber unterhielten wir uns mit einem Experten für das Leben mittelalterlicher Heiliger, dem Historiker Petr Kubín von der Katholischen Fakultät der Prager Karlsuniversität.
„Ich muss sagen, dass es sich hierbei im atheistischen Tschechien um etwas Außerordentliches handelt. Der Kult des heiligen Wenzel ist ein Evergreen und zwar nicht nur unter den Gläubigen. Man kann sagen, dass fast jedes Kind den heiligen Wenzel kennt. Im mitteleuropäischen und europäischen Raum gibt es keinen anderen Heiligenkult, der so stark verankert wäre. In den Nachbarländern, wie in Deutschland, Österreich, Polen, in der Slowakei gibt es keinen so starken Kult eines Heiligen, wie es hierzulande beim Wenzel der Fall ist.“
Trotz der allgemeinen Beliebtheit des Heiligen, wie auch seines Namens, gibt es in Bezug auf das Leben und Wirken Wenzels zwei völlig entgegengesetzte Positionen. Die eine sieht Wenzel als vorbildlichen Christen und weisen Staatsmann, die andere jedoch als Schwächling und Symbol der tschechischen Untertanenmentalität, da sich Wenzel bereit erklärte dem ostfränischen König Heinrich dem Vogler zu huldigen und ihm jährlich Tribut zahlen ließ. Der Historiker Petr Kubín versucht zu erklären, warum diese beiden Sichtweisen so weit auseinanderklaffen und ob es vielleicht so etwas, wie eine Position dazwischen gibt?„Ich würde sagen, dass der Standpunkt, der in Wenzel ein Symbol der Schwäche sieht, seine Wurzeln in der Nazi-Zeit hat. Die andere Sichtweise, wonach der böhmische Landespatron ein weiser Staatsmann war, besteht seit dem zehnten Jahrhundert. Wir haben eigentlich auch keine anderen Quellen über Wenzels Leben, als eben die Legenden und diese stellen ihn natürlich als einen vorbildlichen Christen dar. Natürlich, die Position dazwischen nimmt die kritische Geschichtswissenschaft ein, die versucht festzustellen, wie Wenzel eigentlich in Wirklichkeit war. Wie war sein historisches Leben? Aber auch das lässt sich nur schwer feststellen, weil seine Gestalt vor allem von der Legende gezeichnet ist. Mit anderen Worten: Er lebte tatsächlich, es ist eine historisch belegte Persönlichkeit, aber das, was wir über ihn wissen, sind nur ein paar Fakten. Ansonsten gibt es nur Legenden und Sagen.“Im zwanzigsten Jahrhundert haben das Land des heiligen Wenzels zwei totalitäre Ideologien heimgesucht, die nationalsozialistische und die kommunistische. Haben deren Unterstützer in Böhmen, Mähren und Schlesien versucht den heiligen Wenzel und dessen Kult für ihre Zwecke zu vereinnahmen? Der Historiker Petr Kubín:
„Ja, die Nazis versuchten dies ganz sicher. Sie versuchten den heiligen Wenzel als einen Freund des Reiches und als Untertan des Kaisers Heinrich darzustellen. Während der Zeit des Protektorats spendeten die Nazis einen Verdienstorden – den Heiligen-Wenzels-Adler. Diese Auszeichnung war für die tschechischen Nazi-Kollaborateure bestimmt. Die Kommunisten hatten aber kein Interesse am Kult um den heiligen Wenzel, weil ihr Regime sich rein atheistisch gab und somit keine Zusammenhänge mit der Religion suchte.“
Laut Petr Kubín ist von der versuchten Vereinnahmung Wenzels durch die Nazis am Kult um den böhmischen Landespatron ein wenig hängen geblieben; mittlerweile sei dieses Kapitel jedoch schon fast wieder vergessen.Wenn heutzutage die offiziellen Feierlichkeiten zu Ehren des heiligen Wenzel in Stará Boleslav abgehalten werden, geschieht dies stets unter großer Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und mit einigem Aufwand. So wird zum Beispiel die wichtigste Reliquie Wenzels, sein Schädel, in einer Wagenkolonne samt Polizeichutz von der Prager Burg nach Stará Boleslav gebracht, was bedeuten kann, dass der gegenwärtige tschechische Staat den Kult akzeptiert hat und er in Wenzel auch ein Symbol des Staates sieht. War das zum Beispiel in der Zeit der Ersten Republik T. G. Masaryks auch so? Hören Sie dazu abschließend noch einmal den Historiker Petr Kubín von den Katholischen Fakultät der Prager Karlsuniversität:
„Präsident Masaryk war kein Katholik und auch kein evangelischer Christ, aber er war sicherlich ein gläubiger Mensch und stand den Böhmischen Brüdern nahe. Im Jahr 1929 fand eine große Feier anlässlich des tausendsten Todestags des heiligen Wenzel statt und Präsident Masaryk hat daran teilgenommen. Auch während der Zeit der Ersten Republik galt der heilige Wenzel als ein Staatssymbol. Aber im Vergleich muss man sagen, dass der Kult um den Landespatron heute stärker ausgeprägt und auch die Anteilnahme des jetzigen Präsidenten weitaus stärker ist, als in der Zeit der Ersten Republik. So etwas, wie die alljährliche feierliche Überführung des Schädels des Heiligen Wenzel nach Stará Boleslav gab es in der Zeit der Ersten Republik nicht.“