Wenzel von Böhmen und seine Zeit

Hl. Wenzel (Foto: Daniel Baránek, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)
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Der 28. September ist in Tschechien ein Staatsfeiertag. Dann wird hierzulande an den heiligen Wenzel erinnert. Dabei sind die Informationen über diesen Přemyslidenfürst aus der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts eigentlich eher spärlich. Bis heute gehen die Meinungen auseinander, ob er ein umsichtiger oder vielleicht eher ein schwacher Herrscher war. Und nicht einmal die Umstände seines Todes sind so richtig geklärt: War es Brudermord aus Vorsatz oder ein Unfall mit Todesfolge?

Eva Doležalová  | Foto: Jan Řápek,  Tschechischer Rundfunk

Die Přemysliden sind das erste wichtige Adelsgeschlecht in Böhmen. Wenzel I. wird 907 nach Christus geboren. Er gehört zur dritten Generation der Přemysliden, die wir heute kennen, wie die Historikern Eva Doležalová vor einiger Zeit in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks erläutert hat:

„Das Geschlecht der Přemsyliden, das sich selbst gar nicht so nannte, gab es sicher schon länger. Dieses Geschlecht stieg zu den Herrschern Mittelböhmens auf. In der Folge weiteten die Přemsyliden ihren Machtbereich aus, bis sie ganz Böhmen und Mähren in ihrer Hand hatten.“

Dafür sorgen allerdings erst die Generationen nach Fürst Wenzel. Laut Doležalová habe dieser eigentlich gar nicht die Regierungsgeschäfte übernehmen sollen, denn sein Vater Vratislav I. ist damals nur der zweitgeborene Fürstensohn…

Josef Hellich: Der heilige Wenzel wird in Tetín unterrichtet  (Quelle: Archiv der Nationalgalerie in Prag)

„Um es etwas salopp zu sagen: Wenzel wäre wahrscheinlich so etwas wie ein Landadliger geworden. Doch das Schicksal wollte es anders. So wurde er wohl schon Fürst, bevor er volljährig war. Denn wir wissen, dass zunächst seine Mutter Drahomíra für kurze Zeit die Regierungsgeschäfte leitete. Sie geriet aber in einen Konflikt mit ihrer Schwiegermutter Ludmilla. Und dieser endete tragisch, denn die Schwiegermutter wurde ermordet. Kurz darauf, also zwischen den Jahren 921 und 925, wurde Wenzel volljährig und kam auf den Fürstenthron“, so die Historikerin.

Anfänge der Christianisierung

Es ist eine Zeit des Umbruchs in Böhmen. Gerade erst hat die Christianisierung in diesem Teil Europas begonnen. Und das zeigt sich auch an den Eltern von Wenzel – Vratislav und Drahomíra von Stodor. Sie seien unterschiedlicher Herkunft gewesen, sagt der Kunsthistoriker Jan Royt:

Heinrich der Vogler  (Quelle: Wikimedia Commons,  CC0)

„Vratislav kam vom Přemsylidenhof, er war der jüngere Sohn von Ludmilla und Bořivoj, die getauft waren. Auf der anderen Seite stand die Verwandtschaft von Drahomíra vom Stamm der Heveller. Dies waren Elbslawen, die verfolgt wurden. Ihr Herrschaftsbereich ging bis Rügen. Und Drahomíra wurde Zeugin der Verfolgung ihres Stammes durch Heinrich dem Vogler.“

Heinrich der Vogler – das ist der volkstümliche Beiname von Heinrich I., dem König des Ostfrankenreiches.

Vieles über Fürst Wenzel liegt aber bis heute im Dunkeln. Seine Lebenszeit fällt genau in eine Phase der mitteleuropäischen Geschichte, in der das Schrifttum entscheidend an Bedeutung verliert. Erst ab Mitte des 10. Jahrhunderts entstehen wieder wichtige Geschichtswerke, aber auch nur im Ostfrankenreich. Das heißt, das Geschehen in Böhmen wird maximal aus zweiter Hand beschrieben.

„Leider können wir uns zum heiligen Wenzel nur auf spätere Legenden berufen. Diese Art literarischen Schaffens interpretiert eher, als dass sie informiert. Zwar lässt sich auch diesen Quellen etwas entnehmen, aber wir müssen sie richtig auslegen. Als die ersten Legenden entstanden, also die Christianslegende, die Altslawische Legende oder die Gumpoldslegende, stand die geistliche Welt in Europa unter dem Einfluss der Cluniazensischen Reform. Diese verlangte Frömmigkeit, und das auch von den Herrschern. Diese sollten also Sklaven die Freiheit schenken, lehrend tätig sein und etwa Weinreben pflanzen. Solche Eigenschaften wurden daher auch dem heiligen Wenzel zugeschrieben“, merkt Jan Royt an:

Rotunde des Hl. Peter-und-Paul,  wo früher Burg Budeč stand | Foto: Miaow Miaow,  Wikimedia Commons,  CC0 1.0 DEED

Ebenso fraglich ist, wie es damals um die Bildung von Fürst Wenzel steht. Häufig wird ihm nachgesagt, er sei alphabetisiert gewesen – und das sowohl in Latein als auch in der damaligen slawischen Sprache. Historikerin Doležalová warnt jedoch davor, sich in diesem Bereich in die Irre führen zu lassen:

„Dass wir behaupten, Wenzel habe lesen und schreiben können, beruht auf den Andeutungen in einer der Legenden. Demnach wurde der Fürst auf Burg Budeč in der Schrift gelehrt. Das muss jedoch eher so interpretiert werden, dass er christlich ausgebildet wurde. Denn damals verbreitete sich das Christentum, und Wenzel galt als rechtschaffener christlicher Herrscher. Ob er wirklich lesen und schreiben konnte, ist bis heute ein Rätsel. Ich selbst glaube eher nicht daran.“

Die großen Nachbarn: Bayern und Sachsen

Chronik des so genannten Dalimil: Konflikt zwischen Wenzel und Radslav von Kouřim  (Quelle: Wikimedia Commons,  CC0)

Ähnlich dünn sind die Informationen über Wenzels politischen Kurs. Aus den vorhandenen Quellen geht jedoch hervor, dass seine Macht damals auf unsicheren Füßen steht. Sowohl unter den Přemsyliden als auch den anderen böhmischen Fürstengeschlechtern hat er wohl Feinde. Seinen Nachbarn Radslav von Kouřim kann er zwar besiegen, doch dieser bleibt danach weiter in Amt und Würden. Das heißt, die restlichen Fürsten wollen die Vormacht der Prager Burg noch nicht so richtig anerkennen.

Wichtiger ist indes die Beziehung zu den großen Nachbarn im Westen und Norden – den Bayern und Sachsen. Schon im 9. Jahrhundert wird Böhmen tributpflichtig gegenüber Bayern, wie Jan Royt ausführt:

„Dieses Tributum pacis, die Friedenssteuer also, zahlten die Böhmen angeblich bereits seit dem Jahr 806. Für die wohlhabenden Böhmen war dies keine solch große Belastung.“

Traditionelle Verbündete sind hingegen die elbslawischen Stämme. Doch mit Heinrich I. erstarkt das Frankenreich zusehends, und das wird nun zur Bedrohung. Denn das Herrschaftsgebiet der Přemsyliden ist klein und der Stammesverbund der Slawen eher schwach.

Jan Royt  (Foto: Michael Erhart,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

„Wir müssen uns darüber klar sein, dass Böhmen kirchenrechtlich zu Bayern gehörte. Und auch allgemein gab es eher eine Affinität zu den Nachbarn im Westen, konkret zu Herzog Arnulf I. Als Heinrich I. dann mehr Macht errungen hatte als Arnulf, spitzte sich die Lage zu. Dazu kam noch das Problem mit den Ungarn. Denn 927 schloss das Ostfrankenreich einen Waffenstillstand mit ihnen, und das nutzte Heinrich I. zum Einfall in Böhmen“, sagt Royt.

Der Kriegszug in Richtung Prag endet mit einem Friedensabkommen. Im Frühsommer 929 werden die alten Tributzahlungen der Přemsyliden erneuert, sie werden wohl in Vieh und Edelmetallen entrichtet. Allerdings ist nun nicht mehr Bayern der Empfänger, sondern König Heinrich I. Ist das damals ein Zeichen von Wenzels Schwäche? Vor allem ältere Historiker haben dies so interpretiert, doch Eva Doležalová verweist darauf, dass man die äußeren Umstände berücksichtigen müsse:

Mikoláš Aleš: Hl. Wenzel  (Quelle: Wikimedia Commons,  CC0)

„Wir sehen Wenzel von Böhmen vor allem als Heiligen, der kriegerischen Auseinandersetzungen aus dem Weg gegangen ist. Aber gerade die Fragmente, die sich erhalten haben, geben ein anderes Zeugnis. Da scheint es, dass Wenzel eher ein vorausschauender Diplomat und Politiker war. Denn das Land in einen Krieg zu führen, hätte Hunger und Armut für die einfache Bevölkerung bedeutet und tragische Folgen gehabt. Und das nicht nur für seine Untertanen, sondern auch für ihn selbst. Aus meiner Sicht als Historikerin hat sich Wenzel sehr pragmatisch verhalten. Er suchte nach einer Lösung, die noch tragbar war. Das heißt, dass er sein Gesicht bewahren konnte und zugleich Frieden schuf. Und so muss auch das Tributum pacis interpretiert werden.“

Kaltblütiger Mord oder tödlicher Unfall?

Nicht weniger Interpretationsspielraum lässt der Tod von Wenzel, der heute am häufigsten auf das Jahr 935 datiert wird. Konkret auf den 28. September. Die ältere Geschichtsschreibung geht davon aus, dass der Fürst von seinem Bruder Boleslav in Stará Boleslav / Altbunzlau vorsätzlich ermordet wird. Demnach streiten beide über die Form der Regierungsführung und die Beziehungen zum Ostfrankenreich. So will Boleslav angeblich die Tributzahlungen nicht akzeptieren. Wie Historikerin Doležalová betont, ist diese Steuer aber damals gängig in der europäischen Politik und bedeutet für Böhmen keine Abhängigkeit im engeren Sinn. Und weiter sagte sie:

Tod von Wenzel der Legende des Bischofs Gumpold von Mantua nach  (Foto: Barbora Němcová)

„Ich neige eher zur Interpretationsweise des Historikers Dušan Třeštík. Demnach kam es zu einem unglücklichen Konflikt zwischen den Brüdern. Und angeblich war auch das Gefolge beider in die Auseinandersetzung verwickelt. In dem Gerangel soll dann Wenzel aus Versehen getötet worden sein.“

Eva Doležalová, im Übrigen leitende Mittelalterhistorikerin der tschechischen Akademie der Wissenschaften, stützt diese These durch weitere Überlegungen…

„Wenn man die Politik von Wenzel und Boleslav vergleicht, dann muss man zum Schluss kommen, dass beide im Einklang standen. Das heißt, dass man sich immer vom Römischen Reich abgegrenzt hat. Zugleich hielt auch Boleslav Kriegszüge nicht für das richtige Mittel. Das zweite Element war die Christianisierung in Böhmen. Und in diesem Punkt hat Boleslav in seiner Politik eindeutig an seinen Bruder angeknüpft“, so Doležalová.

Die beiden Brüder, die damals nacheinander Přemyslidenfürsten werden, sieht die Geschichtswissenschaftlerin zudem in einer Reihe mit Boleslav II. Dieser gilt eigentlich als derjenige, der Böhmen letztlich geeint hat. Dazu die Historikerin:

Boleslav I.  (links). Quelle: Wikimedia Commons,  CC0

„Der böhmische Staat schaffte es damals, erfolgreich dem entstehenden mittelalterlichen Heiligen Römischen Reich entgegenzutreten. Ihm gelang es, die Angriffe der Reichsherrscher abzuwehren, die ihr Territorium erweitern wollten. Wir wissen zudem, dass auch die weitere Politik der Přemysliden-Fürsten erfolgreich war. Es gelang, ein Bistum zu etablieren. Es kam zu einer kulturellen Blüte. Auch wenn das etwas später erfolgte als im Westen, war sie doch dynamisch. Wenzel und den beiden Boleslavs ist es wirklich gelungen, den Grundstein für den späteren böhmischen Staat zu legen. Falls wir dies also datieren wollen, würde ich hier den Beginn der tschechischen Geschichte sehen.“

Und was hat es mit dem Wenzelskult auf sich? Spätestens Ende der 960er Jahre lässt Boleslav I. die Reliquien seines Bruders von Stará Boleslav nach Prag überführen. Damit will er seine Position für die Verhandlungen über ein eigenständiges Prager Bistum stärken. Berichtet wird von Wundern an Wenzels Grab. Einige Jahre später erhält Wenzel einen eigenen Gedenktag – damit gilt er als neuer Heiliger. Ab dem 12. Jahrhundert wird der heilige Wenzel dann zum Schutzpatron über das ganze Land. Und als dieser gilt er bis heute.

Autor: Till Janzer
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