Jaroslav-Seifert-Preis 2010 geht an den Schriftsteller Jáchym Topol
Jaroslav Seifert ist eine der wichtigsten Persönlichkeiten der tschechischen Literaturgeschichte. Der Nobelpreisträger des Jahres 1984 ist auch der Namensgeber eines der renommiertesten tschechischen Literaturpreise. In diesem Jahr wird Jáchym Topol mit dem Seifert-Preis geehrt. Topol befindet sich damit in Gesellschaft von weltbekannten Schriftstellern wie Václav Havel oder Milan Kundera. Anlässlich der Auszeichnung sprach Jáchym Topol über sein Selbstverständnis als Schriftsteller und die Bürde des Preises.
„Das ist ein niederschmetterndes Gefühl, wenn ich daran denke, dass den Preis schon Schriftsteller wie Jiří Kolář und Bohumil Hrabal bekommen haben. Sie sind so etwas wie literarische Väter für mich – und nicht nur für mich. Der Preis ist eine große Sache und ich weiß noch nicht, ob und wie ich dieser Auszeichnung in Zukunft gerecht werden kann“, so Jáchym Topol bescheiden.
In der Begründung der „Stiftung Charta 77“, die den Jaroslav-Seifert-Preis seit dem Jahr 1986, dem Todesjahr des Nobelpreisträgers, vergibt, heißt es:
„Die Persönlichkeit Jáchym Topol ist im tschechischen literarischen Schaffen nicht zu übersehen, nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Publizist sowie in seinem Wirken im Untergrund vor der Revolution von 1989.“
Der heute 48-jährige Topol ist in Tschechien nicht nur eine feste Größe als Prosaist, Lyriker und Dramatiker, sondern auch als Journalist. In der Doppelrolle fühlt er sich wohl:
„Ich bin einfach ein neugieriger Mensch. Ich bemühe mich herauszufinden, was gerade hier und jetzt passiert. Man ist doch ständig in Kontakt mit seiner Umwelt, mit den Menschen die hier und jetzt leben. Und in Tschechien hat das eine große Tradition. Karel Poláček, Eduard Bass – nicht, dass ich mich mit ihnen vergleichen würde – das waren alles Journalisten.“
In Topols Werken, von denen die meisten auch ins Deutsche übersetzt wurden, spielt die Übertragung historischer Erfahrungen des 20. Jahrhunderts in die heutige Zeit eine große Rolle.
„Ich selbst versuche manchmal der Geschichte auszuweichen. Denn gerade der Kontakt zur mitteleuropäischen Geschichte ist oft schmerzhaft, aber man kann ihr nicht entfliehen. Wir studieren diese Geschichte ja auch, weil wir uns vor ihr fürchten“, sagt Topol.
In seinen Büchern geht er recht eigenwillig mit historischen Fakten um, spielt Was-wäre-wenn-Szenarien durch. So etwa im 2005 erschienenem Roman „Zirkuszone“, in dem die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 den Kalten Krieg in einen heißen verwandelt. Topol selbst sagt dazu:„Ich bin kein Pädagoge, Mentor, Soziologe, Politiker oder so etwas. Ich fühle mich nicht wohl in der Rolle, jemandem die Geschichte zu erklären. In meinen Büchern spielen Phantasie oder Phantasterei eine große Rolle und auch Träume und Intuition. Ansonsten würde ich ja Geschichtsbücher schreiben, aber ich schreibe Romane.“
Jáchym Topols neuester Roman „Chladnou zemí“, der Anlass für die Ehrung mit dem Seifert-Preis, ist erst kürzlich auch auf Deutsch unter dem Titel „Die Teufelswerkstatt“ erschienen. Es ist eine provokante Groteske über das Geschäft mit der „Holocaust-Gedächtniskultur.“