Besuch bei Freunden: Premier Nečas auf Antrittsbesuch in Berlin
Die Tradition will es, dass der frisch ernannte tschechische Premierminister seine erste Auslandsreise in die Slowakei unternimmt. Petr Nečas machte da keine Ausnahme. Wir haben berichtet. Seinen zweiten Antrittsbesuch absolvierte Nečas am vergangenen Donnerstag nun, wie schon zuvor Außenminister Karel Schwarzenberg, in Berlin. Nicht ohne Grund, denn Deutschland ist mit Abstand der wichtigste Wirtschaftspartner Tschechiens. So standen auch die Gespräche mit Bundespräsident Christian Wulff und Bundeskanzlerin Angela Merkel ganz im Zeichen der Wirtschafts- und der Europapolitik.
„Wir haben uns intensiv unterhalten und erst einmal festgestellt, dass die deutsch-tschechischen oder tschechisch-deutschen Beziehungen in ihrer bilateralen Ausprägung auf einem sehr, sehr guten Stand sind. Es gibt sehr enge Kooperationen sowohl im Bereich der Wirtschaft als auch in Bereich der Kultur“, so Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangenen Donnerstag in Berlin.
Und Petr Nečas ergänzte:„Wir haben erfreut festgestellt, welch hohes Niveau die tschechisch-deutschen Beziehungen erreicht haben. Und das nicht nur auf der Ebene der beiden Regierungen, sondern auch in allen anderen Bereichen. Das belegen vor allem die zahlreichen Kontakte zwischen den Bürgern, zwischen Gemeinden, Städten und Regionen.“
Einig sei man sich auch, was die notwendige Sanierung der öffentlichen Finanzen betrifft, stellten die beiden Regierungschefs fest.
„Ich habe mit Freude vernommen, dass die Tschechische Republik mit der neuen Regierung sehr stark darauf ausgerichtet ist, ihren Haushalt zu konsolidieren: weil wir die gemeinsame Überzeugung haben, dass nur solide Finanzen auch wirklich eine Basis dafür sind, dass wir eine dauerhafte, nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung haben können.“
Und Petr Nečas fügte nahezu wortgleich hinzu:
„Beide Regierungen sind davon überzeugt, dass wir den Weg der finanziellen Konsolidierung gehen müssen und dass der Weg der weiteren Verschuldung nicht zu mehr Prosperität und Stabilität in Europa führt.“
Nicht ganz einig sind sich Deutschland und Tschechien allerdings über die Einführung einer Bankenabgabe. Angela Merkel wirbt nach wie vor vehement dafür. Die Kosten zukünftiger Finanzmarktkrisen müssten wenigstens teilweise die Verursacher tragen, so die Kanzlerin. Tschechiens Premier Nečas, dessen Land vom Bankenkrach verschont geblieben ist, hält die Bankensteuer hingegen schlicht für entbehrlich und sieht darin eine unnötige Beeinflussung des freien Marktes.
Ganz einer Meinung sind Angela Merkel und Petr Nečas hingegen, was die Stärkung der sogenannten Östlichen Partnerschaft in der EU betrifft. Im Mai des Vorjahres auf einem EU-Gipfel in Prag beschlossen, soll das Programm die Beziehungen zur Ukraine, zu Weißrussland und Moldawien sowie zur Kaukasus-Region intensivieren.An einem Strang ziehen wollen Deutschland und Tschechien außerdem in der Frage der Energiesicherheit. Die Versorgungsnetze müssten in Europa besser verknüpft werden, um etwaige Lieferengpässe in Zukunft besser überbrücken zu können, so die beiden Regierungschefs. Nečas weiter:
„Das habe ich auch mit dem Bundespräsidenten erörtert, vor allem auch im Zusammenhang mit den Beziehungen zu Russland. Darüber habe ich mit Präsident Wulff auch deshalb gesprochen, weil er in wenigen Wochen dorthin zu einem Staatsbesuch aufbrechen wird. Wir sind uns einig, dass die Beziehungen zu Russland eine besonders wichtige Rolle in der Frage der Energiesicherheit spielen. Ich habe dabei unterstrichen, dass viele mitteleuropäische EU-Länder aus historischen Gründen starke Bindungen an Russland haben. Die Slowakei ist da wohl am Schlimmsten dran, was die hohe Abhängigkeit von russischen Gas- und Öllieferungen betrifft.“
Wie zuvor mit Kanzlerin Merkel hat Premier Nečas mit Bundespräsident Wulff eine Reihe von Fragen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit erörtert. Darunter auch ein spezielles Kapitel der deutsch-tschechischen Kooperation:
„Ich habe es gewissermaßen ausgenutzt, dass Präsident Wulff bis vor Kurzem noch Ministerpräsident von Niedersachsen war. Und das Land Niedersachsen ist ja ein wichtiger Volkswagen-Aktionär. Also haben wir auch über das Verhältnis von Volkswagen zu seiner Tochter Škoda Auto gesprochen. Škoda ist mit Abstand unser wichtigster Exporteur. Wir haben dabei auch die Problematik des von der EU-Kommission kritisierten VW-Gesetzes erörtert. Das Ergebnis der Debatte wird auf jeden Fall auch Auswirkungen auf die Zukunft von Škoda in Mladá Boleslav haben.“Christian Wulff habe ihn im Rahmen des Möglichen – Stichwort Betriebsgeheimnis und Verschwiegenheitspflicht – umfassend informiert und ihm seine Unterstützung zugesagt, so Nečas in Berlin.
In wirtschafts- und europapolitischen Fragen stehen die Zeichen also auf Harmonie zwischen Berlin und Prag. Weitgehend entspannt haben sich auch die Diskussionen über die Beneš-Dekrete und die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Der bald geplante Besuch des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer in Prag könnte einen positiven Schlusspunkt unter die jahrelangen Debatten setzen. Wir haben berichtet.
Ein etwas kleineres bilaterales Thema beschäftigt seit rund einem Jahr Politiker und Journalisten in Deutschland und Tschechien: die Absicht der Bundesregierung, das Gebäude der deutschen Botschaft in Prag zu erwerben. In das Palais Lobkowicz auf der Prager Kleinseite waren im Herbst 1989 tausende DDR-Bürger geflüchtet, um ihre Ausreise in den Westen zu erreichen. Zum 20. Jahrestag dieser historischen Ereignisse äußerte Deutschland erstmals den Wunsch, in Zukunft nicht mehr nur Mieter in den geschichtsträchtigen Mauern zu sein. Darauf von Radio Prag angesprochen, sagte Kanzlerin Merkel am Donnerstag in Berlin:
„Wir haben heute nicht darüber gesprochen, aber ich glaube, dass die Marschroute klar ist: Wir sprechen mit der Tschechischen Republik darüber, dass es entweder eine Tauschmöglichkeit gibt, dass wir also etwas in Berlin anbieten können. Oder sonst würde Deutschland auch gegebenenfalls das Palais erwerben. Aber dazu laufen, glaube ich, zwischen den beiden Außenministerien Gespräche und ich sehe darin keine besonders heikle Angelegenheit zwischen unseren beiden Ländern.“Premier Nečas ließ sich indes noch nicht in die Karten schauen:
„Ich kann dazu im Moment nur sagen, dass wir zu Verhandlungen bereit sind. Und sollte es dabei tatsächlich zu irgendeinem Ergebnis kommen, dann muss das natürlich für beide Seiten Vorteile bringen. Denn auch wir müssen die Frage unserer Botschaft hier in Berlin lösen. Deutschland hat vier verschiedene Grundstücke angeboten, wir müssen die nun bewerten und über einen eventuellen finanziellen Ausgleich sprechen. Uns ist bewusst, dass die Prager Botschaft wegen der einschneidenden Ereignisse im Jahr 1989, die ein wichtiger Bestandteil der Wiedervereinigung sind, für Deutschland eine besondere historische Bedeutung hat. Das verstehe ich. Aber es muss für beide Beteiligten ein faires Geschäft sein. Dazu bedarf es weiterer Verhandlungen und es ist noch zu früh, um über ein Ergebnis zu spekulieren“, erläuterte Petr Nečas in einem stickigen Sitzungszimmer in der ehemaligen tschechoslowakischen Botschaft in der DDR.
Der kommunistisch-braune Klotz an der Berliner Wilhelmstraße beherbergt heute die tschechische Vertretung in Deutschland. Das von 1974 bis 1978 errichtete Gebäude gilt als herausragendes Beispiel für die so genannte brutalistische Architektur und Tschechien wäre über ein etwas dezenteres Ersatzquartier dem Vernehmen nach nicht unglücklich. Die von Deutschland zum Tausch angebotene ehemalige US-Botschaft in Berlin-Mitte hat Tschechien allerdings abgelehnt. Der nüchterne Zweckbau dürfte dann doch etwas zu unrepräsentativ gewesen sein. Und auf jeden Fall kein geeignetes Tauschobjekt für ein prächtiges Barockpalais auf der Prager Kleinseite.