Tschechische Morde – Deutsch als Fremdsprache – Totalitärismus-Institut
In den tschechischen Kommentarspalten geht es ausführlich um die in Dobronín / Dobrenz aufgedeckten Morde an Sudetendeutschen nach Kriegsende, es geht um den Wirtschaftsaufschwung in Deutschland, um die Konkurrenz von Deutsch und Englisch in tschechischen Schulen, und kommentiert wird auch der neue Chef des Instituts für das Studium totalitärer Regime, Daniel Herman.
C.R.: Ja, ganz gewiss. Und alle sind im Grunde der Meinung, dass es höchste Zeit ist, alle diese Verbrechen aufzudecken. Kommentator Luděk Navara schreibt in der liberalen Tageszeitung Mladá fronta Dnes:
„Noch lange nach dem Krieg witzelte man wenig witzig: 'Nur ein toter Deutscher ist ein guter Deutscher'. 'Die Deutschen verursachten mehr Böses als die Tschechen', sagten viele. Nur, welche Deutschen? Und welche Tschechen? (…) Waren nur die Deutschen schlecht? Und alle Tschechen gut? (...) Damit das klar ist: Hier ging es um Mord. (...) Es wäre gut, wenn wir wüssten, wie viele solche Gräber sich noch in Tschechien befinden. Das wäre wichtig für uns alle. Wir müssen die Geschichte kennen lernen, sie begreifen, uns mit ihr aussöhnen und mit ihr leben lernen. Auch das ist eine Art Gerechtigkeit. Und die schulden wir den Toten.“
Petr Uhl geht in seinem Kommentar in der Právo auf den Besuch von Premier Nečas in Berlin ein und kommentiert dessen Äußerungen zu den Massenmorden an Deutschen wie folgt:„Nečas hat sich gegen eine Infragestellung der Beneš-Dekrete ausgesprochen. Es sei notwendig in die Zukunft zu schauen, sagte er. Manchmal ist es dazu jedoch auch notwendig, in die Vergangenheit zu schauen, würde ich ergänzen.“
Jiří Leschtina von der Wirtschaftszeitung Hospodářské noviny wird noch deutlicher und kritisiert vor allem jene Tschechen, die sofort auf den Umfang der nationalsozialistischen Verbrechen verweisen, wenn ein Massengrab mit von Tschechen ermordeten Deutschen gefunden wird:
„Es ist an der Zeit, diese Wächter des geschichtlichen Proporzes zum Teufel zu jagen. Denn über die Schrecken des Nationalsozialismus wurden hunderte Bücher geschrieben; wir wissen alles darüber. Was man nicht gerade behaupten kann über das Morden an den Sudetendeutschen durch Tschechen, dessen Aufklärung wir als etwas Ungehöriges wahrnehmen. Als eine unverschämte Provokation (…). Aber ist es nicht vor allem eine Provokation gegenüber der modernen Welt des 21. Jahrhunderts, dass wir nach 65 Jahren im Herzen Europas Massengräber mit deutschen Bauern aufdecken?“
Moderator: Geht Leschtina auch noch auf die Beneš-Dekrete und die Äußerungen von Premier Nečas ein?C.R.: Ja, ausführlich. Er schreibt:
„Die neue Politikergeneration, die im kommen ist, sollte das Gesetz abschaffen, das besagt, dass sich Präsident Beneš um den Staat verdient gemacht hat. Denn allein seine Aussage, es sei notwendig die Sudetendeutschen zu beseitigen (zu liquidieren), war die amtliche Weihe für Pogrome. (…) Allein, der neue tschechische Premier hat bei seinem Treffen mit Kanzlerin Merkel mit Phrasen wie ´Wir müssen in die Zukunft schauen´ um sich geworfen. Ein äußerst abgeschmacktes Theater in einer Situation, in der ein paar hundert Kilometer weiter Archäologen die Körper von Opfern ethnischer Morde ausheben, die von unseren Leuten begangen wurden.“
Moderator: Christian, Themenwechsel - Deutschland mit über vier Prozent Wachstum ist seit kurzem wieder ein starker Wirtschaftsmotor für Tschechien.
C.R.: Richtig. Lenka Zlámalová von der Tageszeitung Lidové noviny freut das, sie warnt aber zugleich vor übertriebener Euphorie:
„Die Belebung ist tatsächlich stark, aber sie muss nicht wirklich lange andauern. Die deutschen Exporteure haben in den USA und China gut verkauft. In Peking aber schwächt sich die Wirtschaft ab, und in den USA redet man sogar über einen Rückfall in die Rezession. Mit europäischen Kunden kann Deutschland nicht rechnen. (...) Der erfolgreiche Export, der der größte Vorteil für die Deutschen ist, ist zugleich deren verwundbarste Stelle.“Moderator: Mit dem neuen Schuljahr tritt eine neue Regelung in Kraft: Englisch ist per Gesetz die Fremdsprache Nr. 1 in Tschechien. Eine Gefahr für Deutsch?
C.R.: So sieht es zumindest Martin Weiss von der Zeitung Lidové noviny:
„Die Mehrheit unserer Investoren kommt aus Deutschland. Derjenige, der mit ihnen in ihrer Muttersprache kommunizieren kann, ist im Vorteil. Ein im Ausland Arbeit suchender Handwerker geht nach Deutschland. ... Für praktisch Veranlagte mit einem regionalen Lebenshorizont ist Deutsch die erste Wahl. Schulen sollten daher ab der 3. Klasse Deutschunterricht und erst ab der 6. Klasse zusätzlich Englischunterricht anbieten. Kinder, die später in die angelsächsische Welt aufbrechen wollen, könnten bei einem qualifizierten Unterricht ihre Verspätung wett machen. Es wäre zum Beispiel hilfreich, wenn das Fernsehen endlich Filme in ihrer Originalsprache ausstrahlen würde.“
Moderator: Und, Christian, ein letztes Thema: Das Prager Institut für das Studium totalitärer Regime. Das ist so etwas wie die deutsche Gauck- bzw. Birthler-Behörde. Der Chefsessel dieses Instituts ist ein Schleudersitz. Der neue Chef ist kein Historiker, sondern der frühere Sprecher der tschechischen Bischofskonferenz, Daniel Herman. Sind die Kommentatoren mit dieser Wahl zufrieden?C.R.: Jaroslav Spurný von der liberalen Wochenzeitschrift Respekt ist zumindest hoffnungsvoll:
„Vielleicht hat sich der Verwaltungsrat des Instituts bei der Auswahl des neuen Chefs in Deutschland inspirieren lassen. Wenn sich dort der evangelische Pfarrer Joachim Gauck erfolgreich mit den Verbrechen der Staatssicherheit auseinander setzte, warum sollte dies in Prag nicht auch dem früheren katholischen Geistlichen Herman gelingen. (...) Herman muss am Projekt der 'offenen Vergangenheit' anknüpfen, das der Gründungschef Pavel Žáček begonnen hat. Also daran, die Akten breit zugänglich zu machen. Für die Öffentlichkeit sollten die Informationen des Totalitarismus-Instituts die logische Grundlage dafür sein, zu erkennen, wie die kommunistische Macht Menschen brach und dazu brachte, andere zu denunzieren und dem Regime zu dienen.“
Moderator: Der Medienspiegel war das, heute mit Christian Rühmkorf, vielen Dank!