Zu Besuch auf der 16. Internationalen Prager Buchmesse. Der polnische Schriftsteller Wojciech Kuczok im Gespräch.
Dieser Tage fand auf dem Prager Messegelände die 16. Internationale Buchmesse statt. Gastland war in diesem Jahr Polen, und einer der vielen polnischen Schriftsteller, die man in den letzten Tagen in den Messehallen treffen konnte, ist Wojciech Kuczok. 1972 in Schlesien geboren und derzeit Stipendiat des Literarischen Colloquiums in Berlin. Für seinen Roman Gnój („Dreckskerl“) erhielt er 2004 den wichtigsten polnischen Literaturpreis Nike.
„Die Grenze zu Tschechien war die erste Grenze, die ich überhaupt im Leben überschritten habe – noch als sie eigentlich undurchlässig schien. Das war für alle Oberschlesier ein besonderes Erlebnis: Zum ersten Mal das eigene Land zu verlassen. Heute fahre ich sehr gerne nach Tschechien, wenn ich müde bin von der Unberechenbarkeit der polnischen Gegenwart. In Tschechien, vor allem in Mähren, erhole ich mich psychisch und physich, das ist für mich kein Transitland, über das ich nach Westeuropa komme. Es ist ein Ort, an dem ich mich oft und sehr gerne von Polen erhole.“
Mit Ihrem Romandebüt „Gnój“ – „Dreckskerl“ – sind Sie 2003 quasi über Nacht zum Star der jungen polnischen Literatenszene avanciert. Der Roman wurde bereits in 17 Sprachen übersetzt, letztes Jahr ist er auch auf Tschechisch erschienen. Der Roman ist ja sehr gesellschaftskritisch und nimmt unter anderem die traditionellen Familienstrukturen aufs Korn, die für viele Polen unantastbar sind. Worin geht es Ihnen in Ihrer Literatur eigentlich in erster Linie?„Ich fühle mich überhaupt nicht verpflichtet, Texte zu schreiben, die in irgendeiner Weise Einfluss auf die mentale Gesundheit des polnischen Volkes haben. Ich schreibe keine Texte mit tiefgründiger Botschaft. Das Schreiben ist für mich ein rein inneres Bedürfnis – und glücklicherweise konnte ich es zum Beruf machen. Ich schreibe für mich, unterhalte mich dabei mit mir selber. Und für die Leser soll die Lektüre meiner Bücher eher ein Vergnügen sein als irgendeine tiefere Reflexion über historische oder gesellschaftliche Zustände.“
Polen tut sich wie Tschechien vielfach noch schwer bei der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus. Hier in Tschechien gibt es momentan zum Beispiel eine große Debatte um das Institut zum Studium totalitärer Regime. Welche Rolle spielt hierbei in Ihren Augen die Literatur und Kunst? In Tschechien kann man in letzter Zeit beobachten, dass es vielfach junge Künstler und Schriftsteller sind, die sich an „heikle“ Themen aus der Vergangenheit heranwagen.„Ich habe mich ganz entschieden rausgehalten aus der Aufarbeitungsliteratur, und zwar von Anfang an. Meine Literatur ist eher eine Flucht aus der Realität. Selbst wenn ich - wie jetzt gerade - an einem Tatra-Epos schreibe, dann hat das zwar einen historischen Hintergrund, ist aber im wesentlichen eine von mir erfundene Erzählung. Ich finde nicht, dass die Aufarbeitung des Kommunismus heute, 21 Jahre nach der politischen Wende, das wichtigste und brennendste Thema in der Literatur sein sollte. Ich denke, es ist schon Zeit, den Blick auf andere Aspekte unseres Lebens zu lenken.“
Schauplatz Ihrer Literatur ist oft Schlesien, Ihre Heimat. Wofür steht Schlesien für Sie, ist es ein Symbol, ein Mikrokosmos?„Schlesien ist meine Heimat, kein Symbol. Ich bin dort geboren, lebe dort und deshalb schreibe ich über Schlesien als über mein natürliches Umfeld. Schlesien ist meine erste und größte Heimat, nicht Polen. In diesem Sinne ein Symbol, wenn Sie so wollen.“
Wie optimistisch sind Sie, was die Zukunft des ‚klassischen’ Buchmarktes angeht? Ein Thema dieser Messe ist ja auch, wie sich Bücher heute gegenüber den elektronischen Medien behaupten.
„Ich weiß nicht, ich selbst kann keine elektronischen Texte lesen, das macht mir keinen Spaß. Zeitschriften vielleicht, die nur im Internet erscheinen. Aber Bücher sind für mich immer auch ein physischer Gegenstand. Ich denke, das ist auch die Rettung für den Buchmarkt, dass es doch eine ästhetische Gewohnheit ist, ein Buch in die Hand zu nehmen. Ein virtueller Text erfüllt für mich eine ganz andere Funktion. Ich kann mir deshalb nicht vorstellen, dass die gedruckten Bücher vom Untergang bedroht sind.“