Schauspieler Vlastimil Brodský über seine Rolle als Rundfunk-Märchenonkel
Was für die deutschen Kinder das Sandmännchen, ist für die tschechischen der Večerníček. Er präsentiert den jungen Zuschauern im Fernsehen jeden Abend vor dem Schlafengehen ein kurzes Märchen. Ein Pendant hat der Večerníček im Tschechischen Rundfunk. Dort heißt der Märchenerzähler Hajaja. Mehrere Jahrzehnte war der Schauspieler Vlastimil Brodský die Stimme hinter dem Hajaja. 1980 erzählte der damals 60-jährige Brodský im Tschechischen Rundfunk über seine Arbeit als Märchenonkel.
„Die Reaktionen der Kinder waren sehr freundlich. Es kamen viele Briefe. In der Zeit des größten Erfolges der Hajaja-Sendungen kamen bis zu 600 am Tag. Natürlich habe ich sie nicht selbst beantwortet, das hätte ich nicht geschafft. Die Arbeit selbst war wunderschön und die Reaktionen der Kinder sehr spontan.“
Die große Popularität bei seinen jungen Hörern brachte Vlastimil Brodský aber oft auch in ungewöhnliche Situationen, wie er 1980 im Rundfunk erzählte:
„Die Kinder nahmen mich gewissermaßen als Altersgenossen wahr. Sie hatten die Vorstellung von so einem Kobold, der ihnen in Größe, Mentalität und dem Blick auf die Welt sehr ähnlich war. Sie betrachteten mich als Freund, was sehr schön war. Allerdings äußerte sich die kindliche Spontaneität und Ehrlichkeit manchmal sehr extrem. Einmal bin ich die Italská-Straße in der Nähe des Rundfunks entlanggegangen, als mir plötzlich jemand in den Hintern trat. Ich drehte mich um, und da stand ein niedlicher, kleiner, etwa achtjähriger Junge. Hinter ihm stand seine Oma, die zuckte ratlos mit den Schultern und sagte: ‚Wenn er Sie doch so gerne hat!’ Ich habe das als Ausdruck einer gleichberechtigten Partnerschaft verstanden.“
Aber nicht alle Kinder waren begeistert, wenn ihnen statt dem Kobold Hajaja plötzlich der echte Brodský gegenüberstand, musste er schmunzeln:„Auf der anderen Seite waren natürlich auch viele Kinder geschockt, wenn ihre Mama auf mich gezeigt und gesagt hat: ‚Guck mal! Das ist der Hajaja.’ Sie waren schockiert von dem großen Unterschied zwischen ihrer Vorstellung von einem Kobold und dem wirklichen Äußeren eines alternden, schon leicht schrumpeligen Mittvierzigers dieser Zeit.“
Vlastimil Brodský war nicht nur Märchenerzähler, sondern auch einer der bekanntesten und besten Schauspieler der Tschechoslowakei. Über vierzig Jahre lang gehörte er zum Ensemble des Prager Theaters in den Weinbergen (Divadlo na Vinohradech). Einem größeren Publikum - auch im Ausland - wurde er jedoch durch unzählige Film- und Fernsehrollen bekannt. Wer schon einmal einen tschechoslowakischen Film gesehen hat, kennt wohl zumindest Brodskýs Gesicht. Aber auch in dem ostdeutschen Film „Jakob der Lügner“, der als einziger DDR-Film überhaupt eine Oscar-Nominierung erhielt, spielte der Charakterdarsteller die Hauptrolle und bekam dafür auf der Berlinale 1975 den Silbernen Bären. Wichtiger als seine zahlreichen Auszeichnungen waren für Brodský jedoch seine kleinen Fans:„Kinder sind einfach toll. Die Erwachsenen mögen es mir verzeihen, aber ich würde sagen: Kinder sind zumindest unverdorbener als wir Großen. Und deshalb mag ich das kindliche Publikum lieber.“Vlastimil Brodský, der lange an schweren Depressionen litt, beging am 20. April 2002 im Alter von 82 Jahren Selbstmord. Seine Märchenerzählungen als Hajaja gehören bis heute zu den Kleinoden im Rundfunkarchiv.