Filmische Abrechnung mit düsteren Kapiteln tschechischer Geschichte
Am Donnerstag hat sich der Vorhang zu den 60. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gehoben. Unter den Streifen, die in der deutschen Hauptstadt präsentiert werden, ist in der Sektion Panorama Special auch der tschechische Spielfilm „Kawasakis Rose“. An mehreren Tagen können ihn die Berlinale-Besucher nun in verschiedenen Berliner Kinos zu sehen. Für den diesjährigen Oscar sollte wiederum der tschechische Film „Protektor“ ins Rennen gehen, doch er fiel in der Vorauswahl durch das Sieb. Aber er kann noch auf den „Tschechischen Löwen“, den Preis für den besten tschechischen Spielfilm des Jahres, hoffen. Beide Streifen, „Protektor“ und „Kawasakis Rose“ haben etwas miteinander gemeinsam: Sie setzen sich mit der tschechischen Vergangenheit auseinander.
„Es ist ein Film, der ohne jegliche Stilisierung und Raffinessen ein Familiendrama erzählt. Der Hintergrund ist hier politisch,“
Das Drama spiegelt in tausendfachen Variationen das reale Leben anderer Familien wieder. Im Mittelpunkt der kammerspielartig erzählten Filmgeschichte steht Pavel Josek. Ein renommierter Psychiater und als ehemaliger Dissident auch eine moralische Autorität. Anlässlich eines Jubiläums der Staatsgründung soll er eine bedeutende Staatsauszeichnung verliehen bekommen. Doch Josek hat ein Geheimnis zu verbergen – das glaubt jedenfalls sein Schwiegersohn.Joseks Schwiegersohn Luděk beschuldigt seinen Schwiegervater, vor der Wende 1989 mit der Stasi zusammengearbeitet zu haben. Das Leben der Familie kommt schlagartig ins Wanken. Vermeintlich vergessene Sünden der Vergangenheit tauchen wieder auf.
So auch das Geheimnis, das Pavel Josek und seine Frau so lange gehütet haben: Josek ist nicht der biologische Vater seiner Tochter, der wurde vom kommunistischen Regime vertrieben. Josek selbst lieferte der Stasi Informationen über seinen Rivalen. Es kommt zum Streit zwischen Mutter und Tochter.Die Reaktionen der einzelnen Akteure kann der Zuschauer hautnah beobachten, denn der Film ist wie ein Dokumentarfilm gedreht. Aus folgendem Grund:
„Es ist interessant, das Gesicht eines Menschen zu beobachten, von dem man schon weiß, dass er lügt. Wie in einem spannenden Krimi“, sagt der Drehbuchautor Petr Jarchovský.
Das Motto von „Kawasakis Rose“ sowie der Filmtitel selbst verweisen symbolisch auf die japanische Faltkunst Origami, in der die „Kawasaki“-Faltrose als eine der schwierigsten Origami-Techniken gilt. Einer ähnlichen Technik haben sich Hřebejk und Jarchovský in ihrem Film bedient, indem sie die Portraits ihrer Helden und Antihelden mithilfe des filmischen Instrumentariums „Blatt für Blatt“ kreieren. Hřebejk erklärt wie es funktioniert:„Der Film sollte auch für die jungen Zuschauer, die damals noch nicht gelebt haben, interessant werden. Unser Budget hat uns nicht erlaubt, mit Spezialeffekten zu bezaubern. Das Einzige, was uns zur Verfügung stand, waren die glaubwürdigen Protagonisten.“
Viele Zuschauer finden sich selbst in dem Film mit ihrer eigenen Geschichte wieder. Eine Vergangenheit die auch 20 Jahre nach der Wende noch nicht vergessen ist.
„Der Protektor“ – so heißt der zweite Film, den wir Ihnen heute vorstellen möchten – hatte seine Premiere schon am 24. September 2009. Seine internationale Premiere hatte der Film beim 32. Filmfestival in Denver, USA, wo er in Konkurrenz von weiteren 17 Streifen als „bester Spielfilm“ abschnitt. Man hoffte von diesem Film auch im Zusammenhang mit dem Oscar zu hören, für den er von der Tschechischen Filmakademie ins Rennen geschickt wurde. Dazu wird es leider nicht kommen. „Der Protektor“, der zweite Film des jungen Regisseurs Marek Najbrt, kämpfte sich nicht einmal in die engere Auswahl durch.Der Film setzt sich mit einem düsteren Kapitel der tschechischen Geschichte auseinander – mit der Zeit des so genannten Protektorats Böhmen und Mähren während des Zweiten Weltkrieges. Das zentrale Ereignis jener Zeit ist das Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich Ende Mai 1942. Die Kollaboration und das jüdische Thema sind die schwerwiegenden Hauptmotive des Films. Sie werden aber nicht, wie schon so oft in tschechischen Filmen, vor dem Hintergrund von Heldentaten oder Bildern des Leidens verarbeitet. Der Regisseur präsentiert eher ein Bild der menschlichen Deformation. Marek Najbrt:
„Es ist wichtig, auch in unsere Vergangenheit zurückzublicken. Im Fall der Tschechoslowakei und der Tschechischen Republik geht es um eine recht komplizierte Vergangenheit. Unser heutiges Leben hängt meiner Meinung nach sehr eng auch mit dem Protektorat und anschließend mit dem kommunistischen Regime zusammen. Die Augen vor diesen Kapiteln unserer Geschichte zu schließen und sie nicht analysieren zu wollen ist ein großer Fehler.“Der Rundfunkredakteur Emil Vrbata liebt seine Frau, die jüdische Filmschauspielerin Hana. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verspricht er ihr und anscheinend auch sich selbst, Hana zu beschützen, mit allen Mitteln. Sein vermeintliches Heldentum schlägt in Kollaboration mit den Besatzern um. Das gute Vorhaben wird zum Verrat, so wie die anfangs vorgetäuschte Loyalität zur Servilität wird. Der Regisseur Najbrt ist davon überzeugt, dass es schon immer Situationen gab und immer noch geben wird, in denen es auf den Charakter des Menschen ankommt:
„Wenn es ums Leben geht, oder auch nur wenn es um das Gehalt geht, wird der Charakter des Menschen auf die Probe gestellt. Wir leben in einer Zeit, die uns nicht in dem Maße wie etwa während des Krieges herausfordert, eine Position einzunehmen. Aber auch der heutige Mensch steht oft vor einem Dilemma: Soll man einen Verrat an sich selbst begehen, um davon zu profitieren?“
Die Filmgeschichte über die eheliche Beziehung zwischen Emil und Hana ist universal gültig. Die Geschichte der allmählichen Annäherung an das Nazi-Regime und die sich daraus ergebende Entfremdung der Protagonisten könnte sich in jeder anderen totalitär geprägten Zeit abgespielt haben. Dadurch ist sie zeitlich ungebunden.
Najbrt und sein Team haben ein symbolisches Motto für ihren Film gefunden – das Fahrrad.
„Das Fahrrad war für uns ein Symbol des Attentats. Als uns das Motiv des Fahrrads einfiel, war es einer der Schlüsselmomente für unsere Entscheidung, die Filmgeschichte zu verfassen. Das Fahrrad war aber auch visuell ein gutes Symbol, weil wir auf ein Zitat gestoßen sind, das Adolf Hitler zugeschrieben wird und auch unseren Film einleitet: ´Der Tscheche ist wie ein Radfahrer - oben gebückt, unten aber tritt er in die Pedale´. Für unsere Filmgeschichte ist es eigentlich ein hervorragendes Motiv und nicht zuletzt auch für das tschechische Schicksal.“Der Film „Der Protektor“ beziehungsweise seine Schöpfer bieten dem Zuschauer die elementare Frage zu Beantwortung an: Wie würde ich mich in einer solchen Situation verhalten?