Keine Besserung in Sicht? Korruption in Tschechien weiter auf hohem Niveau
Es ist wohl eines der abgedroschensten Klischees, das man mit jenen Ländern verbindet, die sich seit 1989 von der sozialistischen Plan- zur freien Marktwirtschaft transformiert haben und immer noch transformieren: die hohe Korruptionsanfälligkeit breiter Schichten der öffentlichen Verwaltung. Doch das Klischee hat einen wahren Kern: Während in Ländern wie Neuseeland, Dänemark oder Singapur Korruption so gut wie gar nicht vorkommt, liegt Tschechien auf der Korruptions-Rangliste unter 180 Staaten auf Platz 52, weit hinter der Schweiz auf Platz 5, Deutschland auf Platz 14 und Österreich auf Platz 16. Von den korruptesten Ländern Afghanistan und Somalia ist Tschechien nach Berechnungen der Nicht-Regierungsorganistaion „Transparency International“ zwar noch weit entfernt. Doch auch hierzulande besteht Anlass zur Sorge, sind sich Experten einig. Schließlich hat sich die Situation in Tschechien innerhalb der letzten Jahre deutlich verschlechtert.
„Mir genügt die tägliche Fahrt zur Arbeit. Wenn ich morgens von meinem Haus wegfahre, sehe ich als erstes die riesige Villa, die von einem zwei Meter hohen Zaun umgeben ist. Das Luxushaus steht auf einem Grundstück, wo früher einmal ein Kinderspielplatz war. Der einzige weit und breit. Da muss ich mich fragen, wem es eingefallen ist, das städtische Grundstück zu verkaufen, wo früher Kinder gespielt haben. Und vor allem, wem und zu welchem Preis es verkauft worden ist. Ich fahre weiter und krache fast mit dem schwarzen VW zusammen, von dem jeder weiß, dass er dem Sohn eines einflussreichen Unternehmers gehört. Der hat zwar schon eine ganze Menge Strafpunkte kassiert und betrunken einige Unfälle gebaut. Trotzdem hat er immer noch seinen Führerschein. Da frage ich mich: Warum? Ich fahre auf die Autobahn auf und wundere mich über die großen Schlaglöcher in der zwei Jahre alten Asphaltdecke. Das ist wie eine Panzerteststrecke. Da muss ich mich fragen, wer es erlaubt hat, dass für staatliches Geld so schlechte Straßen gebaut werden. Und das noch dazu zu Preisen, die deutlich über dem europäischen Durchschnitt liegen. Mir reichen diese alltäglichen persönlichen Erfahrungen aus. Ich brauche diese Korruptions-Rankings wirklich nicht.“
Die Korruption sei mittlerweile so stark in der Bevölkerung verankert, dass es sehr schwierig sei, sie effektiv zu bekämpfen, sagt Václav Láska, der vor seiner Tätigkeit für „Transparency International“ Polizist war.„In der tschechischen Gesellschaft gibt es nur einen geringen Prozentsatz von Leuten, die Korruption grundsätzlich ablehnen. Der Rest entscheidet sich je nach Situation und wägt die Risiken gegen die Vorteile ab. Dazu kommt noch das Gewissen, das bei jedem anders ausgeprägt ist. Nehmen wir zu Beispiel jemanden, der am Morgen die Zeitung nimmt und über all diese Affären liest, für die nie jemand zur Verantwortung gezogen worden ist. Der denkt sich sicher, dass sich Korruption lohnt. Und nun wird so jemand auf der Fahrt zur Arbeit von der Polizei aufgehalten, weil er zu schnell gefahren ist. Der Polizist sagt zu ihm: ‚Geben Sie mir 500 Kronen und wir vergessen die Sache’. Von so jemanden, dem die Medien täglich den Zustand der tschechischen Gesellschaft vor Augen führen, können Sie nicht erwarten, dass er dem Polizisten sagt: ‚Nein, nein. Ich zahle 2000 Kronen und nehme die drei Strafpunkte. Ich will mich ehrlich verhalten’. Man muss bei der gesellschaftlichen Verankerung dieser Alltags-Korruption ansetzen.“
Doch Korruption sind heutzutage längst nicht nur ein paar Geldscheine, die für eine Gefälligkeit oder das Übersehen einer kleinen Unkorrektheit heimlich den Besitzer wechseln. Ein großes Problem seien etwa auf einen Anbieter maßgeschneiderte öffentliche Aufträge. Wenn etwa das Oberste Kontrollamt in einer Ausschreibung für Luxus-Dienstwagen eine ganz bestimmte Holzart im Armaturenbrett verlangt, dann sei das ein klarer Fall einer auf einen einzigen Lieferanten zugeschnittenen Ausschreibung. Die unterlegene Konkurrenz hielte in solchen Fällen oft still, im Wissen, dass das nächste Mal sie mit ähnlichen Methoden zu einem Auftrag kommen könnte. Oft reiche auch ein einfacher Tipp, um einem Amtsträger einen Vorteil zu verschaffen. Václav Laska nennt ein konkretes Beispiel:„Sehr problematisch ist das Verhalten vieler Gerichtsvollzieher bei der Zwangsversteigerung von Immobilien. Immer wieder haben die Meiden von Missbräuchen in diesem Bereich berichtet. Zurzeit müssen die privaten Gerichtsvollzieher die Versteigerungsedikte nur auf ihrer eigenen Amtstafel veröffentlichen und die hängt meistens irgendwo gleich neben dem Heizkessel. Den Ausrufungspreis in der Höhe von zwei Drittel des Schätzwertes setzt ein Sachverständiger fest, der mit dem Gerichtsvollzieher zusammenarbeitet. Es kam immer wieder vor und wird wohl auch weiter so praktiziert, dass nur ein ganz bestimmter Interessent die Information über die bevorstehende Versteigerung bekommt. Und der kauft dann die Immobile für zwei Drittel des absichtlich zu gering geschätzten Wertes.“
Sowohl bei öffentlichen Ausschreibungen als auch bei Versteigerungsedikten sei die Korruptionsbekämpfung ganz einfach, sagt Láska: Eine konsequente Veröffentlichung im Internet könne geheimen Absprachen effizient vorbeugen.
Die Regierung will gegen die steigende Korruption mit einem Paket an gesetzlichen Maßnahmen vorgehen, wie Innenminister Martin Pecina erläutert, dessen Ressort den Entwurf ausgearbeitet hat:
„Das Anti-Korruptions-Paket umfasst fünf wesentliche Punkte: Erstens eine Kronzeugenregelung, außerdem die Konkretisierung der so genannten ‚tätigen Reue’. Außerdem wollen wir verstärkt Agenten einsetzen. Ich betone aber, dass es sich dabei keinesfalls um ‚Agents provocateurs’ handelt, die die Verdächtigen zu Straftaten anstiften. Außerdem wollen wir die Möglichkeiten zum Abhören von Telefonen ausweiten. Bei Verdacht auf Korruption sollen Agenten und Abhörmethoden unabhängig von der Höhe der Strafdrohung eingesetzt werden können.“Mit der seit 1. Januar geltenden Novelle zum Strafgesetz dürfen Agenten und Lauschmethoden erst zum Einsatz kommen bei einem Verdacht auf Straftaten, die mit einer Strafe von zehn Jahren Haft und mehr bedroht sind. Bisher lag diese Grenze bei acht Jahren. Auf Korruption stehen, abhängig von den genauen Umständen, drei bis fünf Jahre Haft. In besonders schweren Fällen, wo große Summen im Spiel sind, kann Korruption mit bis zu zwölf Jahren Gefängnis bestraft werden.
Auch die Oberste Staatsanwältin der Tschechischen Republik, Renata Vesecká, spricht sich für eine Verschärfung der gesetzlichen Maßnahmen gegen die Korruption aus.
„Für die Strafverfolgungsbehörden gibt es nichts Besseres, als klare und eindeutige Beweise. Um diese Beweise zu sammeln, sind Abhörmethoden und der Einsatz von Agenten sehr wirksame Mittel. Aber man muss auch klar sagen, dass es keinen größeren Eingriff in die Privatsphäre gibt, als ein Strafverfahren. Es kann nicht die Aufgabe der Behörden sein, das Ausmaß der Eingriffe in die grundlegenden Bürgerrechte zu definieren. Die Staatsanwaltschaft tritt aus ihrer Sicht natürlich für das maximal Mögliche ein, was den Agenteneinsatz und das Abhören betrifft. Aber es ist die politische Entscheidung der Gesetzgeber zu definieren, in welchem Umfang die Ermittlungen in die Privatsphäre eingreifen dürfen.“Das von der Regierung bereits beschlossene Anti-Korruptions-Paket liegt nun zur Abstimmung im Parlament. Das für Ende vergangener Woche geplante Votum der Parlamentarier ist allerdings gescheitert. Die von den Mitte-Rechts-Parteien veranstaltete Redeschlacht, die die Beschlussfassung über die von den linken Parteien eingebrachten Gesetzesvorschläge zur Erhöhung der Sozialausgaben verhindern soll, ließ auch das Anti-Korruptions-Paket unter die Räder kommen. In dieser Woche geht die Parlamentsdebatte in die nächste Runde. Ausgang ungewiss.