Vor 20 Jahren: Dienstbier und Genscher zertrennen den Eisernen Vorhang
Mit einem Bolzenschneider durchtrennten Jiří Dienstbier und Hans-Dietrich Genscher am 23. Dezember 1989 den Stacheldraht am tschechoslowakisch-deutschen Grenzübergang Waidhaus / Rozvadov. Es war nur ein symbolischer Akt, aber die damaligen Außenminister beider Länder besiegelten damit endgültig den Fall des Eisernen Vorhangs und bescherten den Tschechoslowaken damit das erste Weihnachtsfest in Freiheit seit über 40 Jahren. Bereits im Jahr 2004 erinnerten sich Dienstbier und Genscher im Gespräch mit Radio Prag an die aufregenden Ereignisse im Dezember 1989. Partrick Gschwend hat sich die 5 Jahre alten Aufnahmen noch einmal angehört.
Als er gemeinsam mit Hans-Dietrich Genscher den Stacheldraht in Waidhaus / Rozvadov durchschnitt, war Jiří Dienstbier gerade einmal seit eineinhalb Wochen Außenminister der Tschechoslowakei. Die so genannte Regierung der nationalen Verständigung war das erste Kabinett seit 1948, in dem die Kommunisten nicht die Mehrheit bildeten. An diesem Erfolg hatte auch Dienstbier einen maßgeblichen Anteil. Das würdigte auch der ehemalige Bundesaußenminister Genscher:
„Dienstbier gehört zu den ganz großen Persönlichkeiten, die durch ihren intellektuellen Einfluss dazu beigetragen haben, dass die Mauer vom Osten her friedlich zum Einsturz gebracht wurde.“Als Journalist hatte Dienstbier den Prager Frühling 1968 unterstützt. Nach dessen Niederschlagung wurde er mit Berufverbot belegt. Als Unterzeichner der Charta 77 musste Dienstbier 1979 sogar für drei Jahre ins Gefängnis. Zehn Jahre später, während der Samtenen Revolution von 1989, engagierte er sich im demokratischen Bürgerforum. Dennoch bewertete Dienstbier im Jahre 2004 seinen Anteil am Umsturz bescheiden:
„Das, was damals passiert ist, war natürlich eine einzigartige historische Situation. Schauen Sie, selbst wenn ich im Leben nichts anderes erlebt hätte, als den Fall des Eisernen Vorhangs, könnte ich vielleicht sagen: Ich habe in meinem Leben genug getan. Aber das Leben geht weiter. Und heute haben wir ganz andere, neue Probleme.“
An der Lösung dieser Probleme arbeitete Dienstbier von 1989 bis 1992 als Außenminister der Tschechoslowakei mit, zukunftsorientiert:
„In der Politik geht es doch darum, sich zu einigen, was wir tun werden, manchmal auch darüber, was wir nicht tun werden. Es geht nicht darum, die Vergangenheit zu bewerten. Das ist Unsinn. Historiker oder Schriftsteller und so weiter werden das immer tun, und sie werden dazu unterschiedliche Meinungen haben. Es ist gut, die Geschichte zu kennen und sie nicht zu vergessen. Aber nur um Warnsignale zu erkennen, wenn sich Vergleichbares zu wiederholen droht.“Mit seinem deutschen Amtskollegen Genscher gründete Dienstbier daher schon 1990 die Deutsch-tschechische Historikerkommission. Unter anderem dafür wurden die beiden Politiker 2004 vom Adalbert-Stifter-Verein mit dem „Kunstpreis der deutsch-tschechischen Verständigung“ ausgezeichnet, bei dessen Verleihung sie Radio Prag Rede und Antwort standen. Jiří Dienstbier sitzt heute für die mittelböhmische Stadt Kladno im tschechischen Senat. Und Hans-Dietrich Genscher genießt vielleicht – nach einem anstrengenden Jubiläumsjahr 2009 – nun auch wieder seinen wohl verdienten Ruhestand.