Sankt-Nikolaus-Feier verliert in Tschechien ihren religiösen Hintergrund
Im Wandel der Zeit, insbesondere aber in den letzten 60 Jahren, hat das traditionelle Nikolausfest hierzulande signifikante Wandlungen durchgemacht. Die damit verknüpften Brauchtumselemente haben nach und nach ihren religiösen Hintergrund verloren.
Viele Groß- und Urgroßeltern der heutigen Kindergeneration können sich gut daran erinnern, als die alte Tradition schlagartig durch eine neue ersetzt werden sollte. Nach 1948 passte nämlich die fromme Gestalt des heiligen Nikolaus mit Engel und Teufel als Begleitung den neuen Machthabern nicht ins Konzept.
Mit Beginn der 1950er Jahre fiel das russische Väterchen Frost in die Welt der tschechoslowakischen Kinder ein. In den Kindergärten, Schulen, Horten oder in den Betrieben ihrer Eltern wurde am oder um den Nikolaustag ein Bescherungsfest mit dieser bisher unbekannten Märchengestalt gefeiert. Im imaginären Schlitten aus dem fernöstlicken Tschukotka herbeigeeilt überbrachte „Djeduschka Moros“, das Väterchen Frost, außer kleinen Geschenken auch die besten Glückwünsche „aller“ sowjetischen Kinder an ihre Zeitgenossen des Bruderlandes. Der Zaubermann sollte ihnen den heiligen Nikolaus und seine Compagnons systematisch aus den Köpfen verdrängen.
Der tschechische Nikolaus hat aber jene Zeiten heil überlebt. Nach wie vor stattete er vielen Kindern auf Wunsch ihrer Eltern in ihrem Zuhause den Besuch ab. Und daran hat sich im Prinzip bis heute nichts verändert. Verändert hat sich allerdings die Wahrnehmung des Nikolausfestes, das im überwiegend atheistisch gewordenen Tschechien immer mehr als eine Art Familienfolklore empfunden wird.
Die Bescherung wird in der Regel am Vorabend des Nikolaustags nach dem traditionellen Schema praktiziert: Der allwissende Nikolaus, gefolgt von seiner, zwei, drei oder mehrköpfigen Engel- und Teufelequipe, liest zunächst aus dem Sündenregister vor.
Ganz oben auf dem Spickzettel rangiert am häufigsten das Quengeln, Nicht-Essen-Wollen, oder die mangelnde Bereitschaft, das Kinderzimmer aufzuräumen und des gleichen mehr. Das getadelte Kind verspricht mehr oder weniger bereitwillig, von nun an alles besser zu tun, und wenn es obendrein auch ein kleines Gedicht vorträgt oder ein Lied singt, sind alle Beteiligten zufrieden. Das Kind hat es verdient, beschenkt zu werden.
Nicht selten werden bei dem feierlichen Ritual der heilige Nikolaus und seine finsteren Gesellen zum Kinderschreck umfunktioniert. Viel lustiger geht es bei bei den karnevalartigen Open-Air-Nikolausfeiern, die landesweit stattfinden. Im Prager Stadtzentrum ist traditionsgemäß der Teufel los. Eine Menschenmasse, Jung und Alt, darunter auch ganze Scharen von Nikoläusen, Teufeln und Engeln unterschiedlichen Alters, strömt auf den Altstädter Ring. In der kunterbunten Gesellschaft herrscht heitere Stimmung und kaum jemand fragt nach der Ursprungsgeschichte der Nikolausfeier. Ihr Sinn und Unsinn fließen somit zusammen.