Josef-Čapek-Gesellschaft in Deutschland: Politische Karikaturen des Künstlers als Impuls für ihre Gründung
Im historischen Gebäude der Reitschule auf der Prager Burg findet derzeit eine Ausstellung von Josef Čapek, dem drei Jahre älteren Bruder des Schriftstellers und Dramatikers Karel Čapek statt. Die umfassende Ausstellung mit über 200 Ölgemälden, Zeichnungen und Skizzen, Büchern, Plakaten und Zeitschriften will Josef Čapek als eine herausragende Persönlichkeit der tschechischen Kultur des 20. Jahunderts vorstellen. Nicht allgemein bekannt ist, dass 1983 eine Gesellschaft in Deutschland gegründet wurde, die den Namen Josef Čapeks trägt. Mehr zu diesem Thema im heutigen Geschichtskapitel von und mit Jitka Mládková. Diesmal also aus der neueren tschechisch-deutschen Geschichte.
Theaterstücke, moderne Märchen für Kinder und auch Reflexionsprosa. Vor dem Ersten Weltkrieg gehörte Josef Čapek zu den Schlüsselpersönlichkeiten der tschechischen Avantgarde. Sein künstlerisches und theoretisches Schaffen war damals von den Kunstrichtungen Kubismus und Expressionismus geprägt. Die Zeit, in der die beiden Brüder Josef und Karel Čapek lebten, war voller Umbrüche auch in der politischen Szene. In diesem Kontext ist auch ihr Schaffen zu sehen. In den 1930er Jahren widmete sich Josef Čapek intensiv der politischen Karrikatur. Mit seinen bissigen und häufig bitteren Zeichnungen wollte er seine Zeitgenossen wachrütteln und sie vor dem Faschismus warnen. Seinen Mut bezahlte er mit dem Leben. Gleich am 1. September 1939, als der Zweite Weltkrieg begann, wurde er festgenommen und in verschiedenen KZs gefangen gehalten. Im Aril 1945 starb er vermutlich an Typhus im KZ Bergen-Belsen.
Es waren gerade Josef Čapeks Karikaturen, die Ulrich Grochtmann einen Impuls zur Gründung der Josef-Čapek-Gesellschaft mit Sitz in Hagen gaben. Der 1943 geborene Absolvent der Kölner Universität im Fach Osteuropäische Geschichte, Slawistik und Germanistik promovierte mit einer Dissertation über „Anarchosyndikalismus, Bolschewismus und Proletenkult in der Tschechoslowakei 1918-1924“; die 1979 bei Collegium Carolinum in München in lecht überarbeiteter Fassung veröffentlicht wurde. Nach der Gründung der Čapek-Gesellschaft hat er zwei Wanderausstellungen vorbereitet: Mehr über die Čapek-Gesellschaft konnte ich bei einem Gespräch mit ihrem Begründer Ulrich Grochtmann erfahren:
Herr Doktor Grochtmann, können Sie mir bitte etwas über die Čapek-Gesellschaft, über deren Gründung und ihre Tätigkeit sagen?
„Es begann alles im Jahr 1981 mit einer Ausstellung unter dem Titel „Politische Karikaturen von Josef Čapek und anderen aus der Zeit von 1933 bis 1938“. Diese Ausstellung ist bis heute unterwegs und sie war auch in vielen Städten zu sehen, nicht nur in Deutschland. Sie war zu sehen in Museen, in Universitäten, aber auch in Gefängnissen und entsprechenden Kneipen und Cafés. Aus dieser Ausstellung ist schließlich die Čapek-Gesellschaft hervorgegangen. Zwei Jahre später haben wir eine Gesellschaft gegründet und seit 1984 ist sie ein offizieller eingetragener Verein und auch gemeinnützig. Seit dieser Zeit widmen wir uns, wie wir hoffen, im Sinne der Gebrüder Čapek der Völkerverständigung. Das ist nämlich der komplette Name – „Čapek-Gesellschaft für Völkerverständigung und Humanismus“. Dementsprechend widmen wir uns auch Themen aus der Politik, Geschichte, oft auch Völkerkunde, Religion und dergleichen mehr.“
Wie kamen Sie auf die Idee, die Čapek-Ausstellung zu veranstalten?
„Es war etwa im Jahr 1980. Während meiner Studienzeit in Prag habe ich ein sehr wertvolles Buch geschenkt bekommen. Der Titel war ´Dějiny zblízka´, „Geschichte aus der Nähe“. Es war für mich einfach eine Sensation, dass es derselbe Josef Čapek war, den ich bisher nur als Kinderbuchautor kannte. Es war zur Zeit des Nato-Doppelbeschlusses, als Schlagwörter wie Rüstung, Nachrüstung oder Nachnachrüstung durch die Welt gingen, und als man wirklich tagtäglich vor dem Ausbruch eines weltweiten Konflikts zittern musste. Zu der Zeit sind wir auf die Idee gekommen, diese Karikaturen dürfen nicht im Bücherschrank stehen, sondern sie müssen unbedingt gezeigt werden, weil sie sehr viel Diskussionsstoff hergeben. Und genau das ist auch geschehen. Die Ausstellung ist gewandert. Sie wurde oft mit einem Rahmenprogrammen verbunden, mit Seminaren, Vorträgen und dergleichen.“
Hinter dem Namen Čapek-Gesellschaft sind eigentlich die Namen der beiden Brüder versteckt: der eine Maler, der andere Schriftsteller. Wie spiegeln sich die Tätigkeiten der beiden Brüder in der Tätigkeit Ihrer Gesellschaft wider?
„Wir haben bewusst nach beiden benannt. Josef Čapek hat eine Karikatur gemalt ´Je größer die Stiefel, um so geriger der Bürger´ aus dem Zyklus ´Die Diktatorenstiefel´. Die Stiefel wachsen demjenigen, der sie gemacht hat, über den Kopf und zertreten schließlich das menschliche Individuum. Schließlich zerplatzt die ganze Welt wie ein Luftballon unter diesen Diktatoren Stiefeln. Ähnlich hat der Schriftsteller Karel Čapek schon in seinem Roman ´Krakatit´ gewarnt. Es ist ein zentrales Motiv, ein faszinierendes, aber auch ein erschreckendes Motiv. Dieses Motiv hat auch zu etlichen Veranstaltungen unserer Gesellschaft geführt. Eben die Gefahr, dass die Erfindung dem Erfinder über den Kopf wächst und schließlich den Erfinder zertritt.“
Karel Čapek starb am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, am 25. Dezember 1938. Will Ihre Gesellschaft auch sein Vermächtnis in unseren Zeiten lebendig halten? Auf welches Echo stößt das in der Öffentlichkeit?
„Ich glaube, das Werk von Karel Čapek erlebt bei uns eine kleine Renaissance. Man interessiert sich für ihn jedenfalls viel viel mehr als etwa vor zwanzig oder dreißig Jahren. Er wird auch wieder verlegt. Hätte natürlich unsere Gesellschaft mehr Mittel, würden wir gerne auch mal eine Ausstellung zeigen, die sich dem Werk Karel Čapeks widmet, oder die zumindest Karel Čapek stärker berücksichtigt. Dieser Wunsch wurde sehr oft erwähnt, wenn wir entsprechende Veranstaltungen durchgeführt haben. Wenn wir auf die erwähnte Karikatur mit den Stiefeln gezeigt haben und gleichzeitig auf Karel Čapeks Romane und Dramen verwiesen haben, darunter auch auf das Drama ´Die Mutter´ oder ´Die weiße Krankheit´, dann wurde sehr oft der Wunsch geäußert, ´mein Gott noch mal, man müsste noch mehr daraus machen´“.
Können Sie bitte mit ein paar Sätzen beschreiben, was in der erwähnten Wanderausstellung Ihrer Gesellschaft gezeigt wird?
„Die Ausstellung heißt ´Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, München 1933 – März 1939. Hintergründe, Ereignisse, Folgen´. Sie will eben zeigen, warum die ČSR im Jahr 1918 entstanden ist und sie will auch erstmal mit einer Legende aufräumen, Masaryk und Beneš als die Zetrümmerer der Donau-Monarchie und als die Verfechter von Kleinstaaterei, wie das oft noch zu lesen ist. Mit dieser Legende muss einfach mal aufgeräumt werden. Die ČSR gehörte zu den demokratischen Staaten in Europa, wenn sie nicht gerade der hoffnungsvollste Staat in Europa war. Zumindest von den Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns. Dann aber auch die ČSR als Rettungsinsel deutscher Emmigranten, die verhängnisvolle Rolle der Henlein-Bewegung, und schließlich auch die Vertreibung der Deutschen nach 1945. Aber auch das muss selbstverständlich in historischen Zusammenhängen gesehen werden. Auch da muss darauf hingewiesen werden, dass beispielsweise im Programm der Alt-Deutschen von der Vertreibung der Tschechen bereits um die Jahrhundertwende die Rede war. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Die Ausstellung will einen Überblick liefern – bis zur Gegenwart, bis hin zur deutch-tschechischen Deklaration. Deshalb wird sie auch ständig erweitert und auch verbessert.“
Stichwort „Beneš-Dekrete“. Werden sie auch in der Ausstellung reflektiert oder thematisiert?
„Selbstverständlich. Die Dekrete zur Enteignung sind dort auch wörtlich zitiert. Die Ausstellung will in Bezug auf die Vertreibung nicht sagen, es ging nicht anders. Sie will aber umgekehrt auch darauf hinweisen, warum es bis dahin kommen konnte. Und wieso ausgerechnet ein Präsident wie Beneš, der bis 1938 wohl völlig zu Recht den Ruf eines toleranten und demokratischen Staatsmannes genoss, wieso gehen von ihm solche Gedanken aus, dass es nicht mehr anders geht, dass man einfach eine Minderheit aus diesem Staat entfernen muss. Die Ausstellung will auch zeigen, wieso konnte es dazu kommen und was für absurde Forderungen werden heute oft daraus abgeleitet, wenn die Beneš-Dekrete fallen."
In jüngster Zeit war die Ausstellung der Čapek-Gesellschaft vom März bis Juni dieses Jahres in der Ruhrgebietsstadt Datteln gezeigt.