Hammer und Banane: Die Feiern zum 20. Jahrestag des 17. November 1989

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Auf groß angelegte Feiern seitens der Staatsspitze wartete man am 17. November 2009 in Tschechien vergeblich. Dass der 20. Jahrestag der Samtenen Revolution dennoch gefeiert wurde, dafür sorgten zahlreiche Vereine, Initiativen, Theater und Galerien. Hunderte von Einzelveranstaltungen belebten nicht nur die Hauptstadt Prag, sondern ganz Tschechien. Maria Hammerich-Maier konnte für Radio Prag zwar nicht überall sein, einiges hat sie aber miterlebt. Im heutigen Schauplatz berichtet sie darüber, in einer aufgezeichneten Live-Reportage aus dem Stadtzentrum vom Prag.

Foto: Autorin
Die Nationalstraße ist für die Feierlichkeiten des 17. November in zwei Hälften unterteilt. Sie symbolisieren die Welt vor und hinter dem Eisernen Vorhang. In der Hälfte hinter dem Eisernen Vorhang, die auf dem Altstädter Ring weitergeht, wird das Leben im Mangel nachgestellt. Vor 1989 hat es zur täglichen Erfahrung der Menschen hierzulande gehört.

“Sie sehen, ich muss lachen. Ich genieße diese herrlichen Einfälle hier: Ein Gemüsestand, in dem es fast nichts gibt. Genau so haben wir das früher alle erlebt“, erzählt ein Mann.

Und eine Frau erinnert sich an die Gefühle, die sie früher oft begleiteten:

„Oft waren es Kleinigkeiten, nach denen wir uns sehnten. Zum Beispiel: ‚Wenn ich doch heute irgendwo den Kümmel auftreiben könnte, dem ich schon zwei Monate hinterher laufe.’“

Foto: ČTK
Die Feiernden können bei einer Jagd nach Bananen mitmachen. Bananen waren, wie so vieles andere auch, Mangelware. Sie können Schlange stehen, um ein Glas Bier zu ergattern, oder sie können sich um einen Gutschein für einen Tuzex-Laden balgen. Die Tuzex-Läden waren vor 1989 in der Tschechoslowakei die einzigen Geschäfte, in denen man westliche Güter kaufen konnte. Auch Geldwechsler sind auf dem Altstädter Ring zu sehen. Sie gehörten ebenfalls zum Stadtbild in der Vergangenheit. Für manche war es der Mangel an Konsumgütern, was sie am schwersten erträglich fanden, andere wiederum haben besonders die Freiheit entbehrt, wie in den folgenden Statements dargelegt wird:

Foto: ČTK
„Das Lachen, die Freiheit habe ich am meisten vermisst. Jetzt kann ich fröhlich lachen, ohne dass es jemanden stört.“

„Die Hauptsache ist für mich, dass ich überall hin ins Ausland fahren kann. Früher ging das nicht.“

„Die Freiheit schätze ich am meisten. Denn wenn Sie zu Hause die Kinder ermahnen müssen, irgendwas in der Schule nicht zu erzählen, das ist ganz einfach schlecht.“

Ob die Zeiten vor 1989 besser oder schlechter waren als heute, sei nicht immer leicht zu beurteilen, gibt ein Kunde am halbleeren Gemüsestand zu bedenken:

„Alles ist anders geworden. Vor allem der Zugang zu Informationen oder auch das Reisen. Nur mit der Arbeit ist es schlechter geworden. Es ist jetzt viel schwerer, einen Arbeitsplatz zu finden als früher. Anderseits wurde einem die Arbeit früher zugewiesen. Was ist denn nun besser?“

Und eine Frau meint:

„Natürlich ist manches besser geworden, anderes wiederum schlechter. Die Leute wollen heute alles haben. Um sich die Wünsche zu erfüllen, brauchen sie aber Geld. Also dreht sich jetzt alles ums Geld. Das mag ich nicht.“

Ins Stadtzentrum von Prag sind aber auch Menschen gekommen, die überhaupt keinen Grund sehen zu feiern, wie dieser Rentner:

„Ein solches Chaos hat es in diesem Land früher nicht gegeben. Ich bin nicht in der kommunistischen Partei und bin es nie gewesen. Aber jetzt, jetzt werde ich die Kommunisten wählen.“

Die Nationalstraße,  17. November 2009  (Foto: Štěpánka Budková)
Ruft der Altstädter Ring das Leben im Mangel vor 1989 in Erinnerung, so demonstriert das untere Stück der Nationalstraße nahe der Moldau und dem Nationaltheater das Leben in Freiheit, das danach eintrat. Dieses Stück der Nationalstraße war am 17. November 1989 jener Ort, an dem mehrere hundert Studenten mit den Sicherheitskräften zusammenprallten. Die Studenten hatten an einer Kundgebung für mehr Freiheit teilgenommen. Die Sicherheitskräfte riegelten die Nationalstraße an allen Seiten ab, und die eingekesselten Studenten waren den brutalen, barbarischen Übergriffen der bis an die Zähne bewaffneten Sicherheitskräfte ausgesetzt.

Man erwartet nun die Ankunft eines Umzugs jener Generation, die 1989 Studenten waren und jetzt ungefähr 40 Jahre alt sind. Die Gedenkkundgebung nimmt dieselbe Route wie die Demonstration vor 20 Jahren. Die etwa 5000 Teilnehmer ziehen von einem Institut der Karlsuniversität im Stadtteil Albertov ins Stadtzentrum. Vereinzelt gab es bei dem Umzug Störaktionen rechtsradikaler Splittergruppen. Die Polizei nahm einige Dutzend Rechtsradikale vorübergehend fest. Schwerere Zusammenstöße blieben aus.

Der Umzug der Studenten des Jahres 1989 nähert sich nun dem Stadtzentrum. Anders als damals erwarten die Studenten in der Nationalstraße eine freudige Menschenmenge und ein Konzert.

Musik zu hören, die den kommunistischen Machthabern gegen den Strich ging, war eine Form des stillen Protests, der bis in breite Bevölkerungsschichten vordrang. Zu dem Konzert in der Nationalstraße wird auch Altpräsident Havel erwartet. Václav Havel hatte sich in den Siebzigerjahren, einer Zeit schwerster Repressionen und größter Unfreiheit, für die Rockgruppe „The Plastic People of the Universe“ eingesetzt. Havel fand, dass jeder Mensch das Recht haben müsse, die Musik zu machen, die ihm gefällt. Václav Havel bezahlte seinen Einsatz für künstlerische Freiheit damals mit der eigenen Unfreiheit. Der Gerichtsprozess gegen die Gruppe „The Plastic People of the Universe“ wurde für ihn zum auslösenden Moment, um die Charta 77 zu initieren. Die Charta 77 rief die Staatsmacht auf, die Menschenrechte und bürgerlichen Grundfreiheiten zu respektieren. Václav Havel wurde als einer der Wortführer der Charta 77 zweimal verurteilt und verbrachte insgesamt über vier Jahre hinter Gittern.

Die Stimmung ist keineswegs ausgelassen, überschäumend oder aufgeheizt, sondern eher ruhig, nachdenklich, wie man es in Tschechien gewohnt ist. Es ist nicht Sache der Tschechen, ihren Emotionen lautstark Ausdruck zu verleihen.

Foto: Štěpánka Budková
Vor dem Laubengang mit der Gedenkstätte für die Opfer des 17. November 1989 ist kein Durchkommen mehr. Eine lange Menschenschlange steht hier an. Schulkinder bringen Kerzen, die sie unter der Gedenktafel nieder stellen wollen, Großeltern führen ihre Enkel hierhin, ganze Familien kommen zu dem Ort, an dem am 17. November 1989 die Studenten mit den Sicherheitskräften zusammenprallten.

Auch Vertreter des Staates und der politischen Parteien kamen zu der Gedenkstätte des 17. November 1989. Die politische Repräsentanz fand sich nicht geschlossen zu einem einzigen, gemeinsamen Gedenkakt ein, sondern die Vertreter des Staates, der Regierung und der Parteien erschienen nacheinander alle einzeln hier.

Tomáš Halík  (Foto: Autorin)
Am Vormittag hatte Bischof Václav Malý einen Gedenkgottesdienst im St. Veitsdom auf der Prager Burg zelebriert. Václav Malý war im November 1989 einer der Oppositionsführer, die auf Massendemonstrationen in einen Dialog mit den Bürgern traten und nachfolgend mit der abtretenden Garnitur der kommunistischen Machthaber den Wechsel in Staatsspitze und Regierung aushandelten. Am Abend nun findet ein Dankgottesdienst in der Salvatorkirche nächst der Karlsbrücke statt. Den Dankgottesdienst feiert der Präsident der katholischen „Christlichen Akademie“, Pfarrer Tomáš Halík. Auch er ist eine symbolhafte Persönlichkeit der Samtenen Revolution vom November 1989. Die Freiheit sei den Tschechen nicht in den Schoß gefallen. Sie seien jenen verpflichtet, die dafür kämpften, mahnte Tomáš Halík in der zum Bersten vollen Kirche.

Die Feierlichkeiten zum zwanzigsten Jahrestag des 17. November 1989 gehen zu Ende. Das Gedenken geht jedoch weiter. Wer sich in den kommenden Monaten über die Samtene Revolution in der ehemaligen Tschechoslowakei informieren will, kann dies bei zahlreichen Ausstellungen in ganz Tschechien tun. Im Stadtzentrum von Prag ist zum Beispiel eine Ausstellung des Nationalmuseums zu sehen. Sie bringt den Besuchern das Leben in der Zeit der totalitären Herrschaft von 1948 bis 1989 nahe.


Die Ausstellung „Für die Freiheit“ im Nationalmuseum ist bis zum 6. Juli 2010 zu sehen.