Demonstration blinden Gehorsams – Hitlers „Leibstandarte“ 1939 in Prag

Herbst 1939. Hitler hatte mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg begonnen. In Prag residiert als Stellvertreter Hitlers der Reichsprotektor von Böhmen und Mähren Konstantin von Neurath. Am 4. Oktober 1939 empfängt er auf dem Prager Wenzelsplatz die so genannte „Leibstandarte Adolf Hitler“. Es ist eine schauerliche Machtdemonstration der Besatzer. Der nurmehr als „Sender Böhmen und Mähren“ fungierende Tschechoslowakische Rundfunk widmete dem Ereignis eine Reportage.

Reichsprotektor Freiherr von Neurath
„Der Reichsprotektor Freiherr von Neurath ist soeben eingetroffen. SS-Obergruppenführer Sepp Dietrich, der Kommandant der Leibstandarte Adolf Hitler, erstattet die Meldung…“

So bellt der Rundfunkreporter die einleitenden Worte zu seinem Bericht. Die Meldung Sepp Dietrichs geht im Stechmarsch der SS-Männer unter. Denn in deren Strukturen war die so genannte „Leibstandarte Adolf Hitler“ eingebunden. Sie war als paramilitärischer Truppenverband unmittelbar nach Hitlers Machtergreifung gegründet worden und unterstand diesem persönlich. Zunächst als Wachpersonal für Regierungsmitglieder und Regierungsgebäude eingesetzt, wurde die Miliz ab 1938 Teil der „SS-Verfügungstruppe“ und wurde im September 1939 direkt an die Kriegsfront nach Polen verlegt. Nach diesem Einsatz wurde sie Anfang Oktober ins Protektorat Böhmen und Mähren beordert, wie Reichsprotektor von Neurath mit unterwürfigem Stolz skandierte:

„Auf Befehl des Führers steht die Standarte nunmehr hier zu meiner Verfügung. In dieser feierlichen Stunde gehen unsere Gedanken zu unserem Führer, und all unsere Wünsche und das Gelöbnis unserer unverbräuchlichen Treue fassen wir zusammen in dem Ruf: ‚Unserem Führer, Sieg Heil…’“

Die blinde Führer-Hörigkeit und die – wie von Neurath ungeschickt formulierte – „unverbräuchliche Treue“ gegenüber Hitler war zunächst das Einzige, was der Leibstandarte nachgesagt werden konnte. Es wurde ganz offen über die Kampfqualitäten der Truppe gelästert. Es sei „rührend, wie wenig die blonden Götter können“, hieß es etwa von hohen SS-Offizieren. In der Tat waren die als „Asphaltsoldaten“ verspotteten Mitglieder der Leibstandarte noch unfertig ausgebildet ins Kriegsgeschehen geworfen worden. Besonders in den Anfangsmonaten des Krieges waren ihre Verluste überdurchschnittlich hoch. Konstantin von Neurath stellte das freilich anders dar:

Adolf Hitler auf der Prager Burg
„Wir gedenken heute in dieser Stunde aber ganz besonders auch derer, die ihr Leben für die Freiheit und den Sieg Deutschlands dahingegeben haben.“

In einer ungeheuerlichen Umkehrung der Tatsachen lädt von Neurath die Verantwortung für die Verbrechen der deutschen Wehrmacht in Polen auf der polnischen Seite ab:

„Durch sträflichen Übermut und Unvernunft seiner Regierung ist ein großer Teil des polnischen Volkes in schwerstes Leid gebracht worden. Sie, die Leibstandarte, haben an diesen ruhmreichen Kämpfen hervorragend Anteil genommen.“

Im von Kampfhandlungen zunächst noch weitgehend verschonten Böhmen und Mähren blieb die „Leibstandarte Adolf Hitler“ jedoch nicht lange stationiert. 1940 wurde die militärisch nun immer besser ausgebildete Leibstandarte eine der Keimzellen der gefürchteten Waffen-SS. Sie wurde an die Westfront verlegt und war dort – genauso wie im späteren Kriegsverlauf an der Ostfront – für einige der schlimmsten Kriegsverbrechen der Wehrmacht verantwortlich.