Der „Henker des tschechischen Volkes“ – Reinhard Heydrich

Reinhard Heydrich (Foto: Tschechisches Fernsehen)

Vor 75 Jahren übernahm Reinhard Heydrich die deutsche Verwaltung des „Protektorats Böhmen und Mähren“. Für die tschechische Bevölkerung begann damit eine grausame Zeit der Leiden. Im Folgenden mehr zu Heydrichs Aufgaben im Protektorat und seinen brutalen Mitteln.

Reinhard Heydrich  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Heute werde ein Fest stattfinden, bei dem der stellvertretende Reichsprotektor, SS-Obergruppenführer General Heydrich auf der Prager Burg einziehe. So verkündet ein Reporter am 28. September 1941 in einer Radio-Liveübertragung für die tschechische Bevölkerung im Protektorat. Unter den Klängen von Marschmusik nimmt einer der am meisten gefürchteten Männer aus dem nationalsozialistischen Deutschland das politische Schicksal Böhmens und Mährens in die Hand.

Reinhard Heydrich ist von Hitler mit konkreten Aufgaben betraut. Vojtěch Šustek leitet das Prager Stadtarchiv und ist Fachmann für die Ära Heydrich im Protektorat:

Konstantin von Neurath
„Reinhard Heydrich war Chef des Reichssicherheitshauptamtes und des Sicherheitsdienstes, damit zweiter Mann der SS direkt nach Heinrich Himmler. Er wurde nach Prag als sogenannter stellvertretender Reichsprotektor geschickt anstelle von Konstantin von Neurath. Hitler hatte sich, wie belegt ist, in dem Sinne ausgedrückt, dass Konstantin von Neurath ein lieber alter Mann sei, aus dem sich viele nichts machen würden. Laut Hitler sollte Heydrich nun Ordnung ins Protektorat bringen. Insgesamt wird viel spekuliert, warum Reinhard Heydrich hierhergeschickt wurde. Allgemein sind die Historiker der Ansicht, dass das NS-Regime die Lage im Protektorat nicht richtig unter Kontrolle hatte. Ich selbst bin der Meinung, dass die Entsendung Heydrichs auch damit zusammenhing, dass der Zweite Weltkrieg in eine weitere Phase getreten war nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion. Dies hatte die Widerstandstätigkeit belebt. Zudem musste Deutschland außenpolitisch keine Rücksicht mehr nehmen. Der Antritt Heydrichs bedeutete in dem Sinn den Beginn eines neuen Kurses in der Besatzungspolitik.“

Geheimrede auf der Prager Burg

Palais Czernin  (Foto: Archiv des tschechischen Außenministeriums)
Schon der Termin für Heydrichs Ankunft in Prag ist symbolisch gewählt: der Tag des Heiligen Wenzel, des böhmischen Landespatrons. Die Aufgabe ist auch klar: den Widerstand des tschechischen Volkes zu brechen, wie sich Heydrich selbst einige Tage nach seiner Ankunft in einer Geheimrede äußert. Am 2. Oktober lädt er die „Mitarbeiter des Reichsprotektoratsstabes“ in das Palais Czernin auf der Burg. Die Rede ist von vorne bis hinten durchdrungen von der nationalsozialistischen Rassenideologie. Alle Anwesenden werden zu Stillschweigen verpflichtet, doch ein Beamter führt Protokoll. Die Abschrift befindet sich bis heute im tschechischen Staatsarchiv. Demnach fordert Reinhard Heydrich die Anwesenden unter anderem zu Folgendem auf, Zitat:

Foto: Bundesarchiv,  CC BY-SA 3.0 DE
„..daß man im Moment für die Nahzeit des Krieges klar macht: Ob Du uns liebst oder nicht, ob Du später an eine eigene Staatlichkeit denkst oder nicht, wichtig ist, daß du wenigstens jetzt einsiehst, daß es im Augenblick nur schädlich für dich ist, wenn Du einen Aufstand machst und Widerstand leistest.“

Die Logik dahinter ist: Die Tschechen sollen ausgebeutet werden, um die deutsche Kriegsmaschinerie am Laufen zu halten. Dies ist auch herauszuhören aus einer Rede, die Heydrich am 17. Dezember 1941 vor der Südosteuropa-Gesellschaft Wien auf der Prager Burg hält. Anwesend sind hohe Regierungsvertreter aus Berlin. Eine Aufzeichnung der Rede befindet sich im Archiv des Tschechischen Rundfunks:

Protektorat Böhmen und Mähren  (Quelle: Archiv des Bayerischen Rundfunks)
„Das Protektorat ist Teil des Reiches. Die Wirtschaft als ein Lebensgebiet ist damit ein fester Bestandteil der Wirtschaft des Reiches in Krieg und Frieden. Für den Krieg ist es, und das sei meine Mahnung an die Wirtschaft Böhmens und Mährens, verantwortungsvolle Pflicht, nach den Richtlinien der deutschen Führung alle Kräfte noch intensiver zu mobilisieren.“

Um keine Unruhe zu stiften, gibt sich Heydrich nach außen jovial. In der Geheimrede zuvor nennt er aber das wahre Ziel, das er wörtlich mit dem Nazibegriff „Endlösung“ bezeichnet.

„Heydrich versuchte auch mit Hilfe des kollaborierenden Teils der Journalisten und der Propagandamaschinerie das Bild eines harten, aber gerechten Mannes zu erwecken. Eines Mannes, der es gut meint mit dem tschechischen Volk, falls es gehorsam ist, anständig arbeitet und die Industrieproduktion am Laufen hält. Tatsächlich aber sprach Heydrich bei der Rede vor den deutschen Protektoratsspitzen offen davon, dass die Tschechen in Zukunft physisch beseitigt werden sollten“, so Vojtěch Šustek.

Heydrich ruft Standrecht aus

Alois Eliáš  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Mit der harten Hand macht Reinhard Heydrich sofort ernst: Schon am zweiten Tag in Prag ruft er das Standrecht aus. Kurz zuvor ist als einer der ersten der Vorsitzende der tschechischen Regierung im Protektorat, General Alois Eliáš, verhaftet worden. Von seinen Verbindungen zum tschechischen Widerstand im Exil wissen die Nazis. Die Informationen stammen wahrscheinlich aus den Verhören des früheren Prager Oberbürgermeisters Otakar Klapka, er ist von der Gestapo bereits im Juni 1940 abgeholt worden. Vojtěch Šustek:

„Der spektakuläre Anfang war der Prozess gegen den ehemaligen Oberbürgermeister Klapka und den Regierungsvorsitzenden Eliáš. Sie wurden sofort zum Tod verurteilt. Klapka wurde direkt danach per Erschießen hingerichtet, bei General Alois Eliáš wurde erst einmal abgewartet. Erst am 19. Juni 1942 wurde er erschossen, wobei Hitler selbst die Hinrichtung hinauszögerte, obwohl Heydrich darauf bestanden hatte.“

Otakar Klapka
Klapka und Eliáš sind nur die Spitze. Der stellvertretende Reichsprotektor startet eine Terrorwelle. Es werden sogenannte Standgerichte der Gestapo eingerichtet an den Hauptamtsstellen der deutschen Staatspolizei in Prag und Brno / Brünn.

„Diese Standgerichte setzten sich aus einer dreiköpfigen Kommission von Gestapo-Beamten zusammen. Nachdem sie den abschließenden Ermittlungsbericht durchgelesen hatte, sprach die Kommission ihr Urteil. In Frage kam zwar auch die Freilassung, davon weiß ich aber nur in einem Fall. In der Regel wurde die Todesstrafe ausgesprochen, durch Erschießen respektive Erhängen, oder die Übergabe an die Gestapo. Letzteres bedeutete die Verschleppung in ein Konzentrationslager“, erläutert Archivar Šustek.

Deportationen nach Auschwitz und Mauthausen

KZ Mauthausen  (Foto: United States Holocaust Memorial Museum,  Public Domain)
Diese Verhaftungen und Hinrichtungen werden aber nur in kleinem Maße publik gemacht. Denn Heydrich will der internationalen Öffentlichkeit vorgaukeln, dass Deutschland im Protektorat alles im Griff hätte, dass es keinen tschechischen Widerstand gäbe.

„Von den Verhaftungen, die die Nazis auf dem Boden des Protektorats vornahmen – also in Prag und Brünn –, wurden nur 404 Todesurteile bekannt. Die Schätzungen gehen aber dahin, dass etwa 5000 Angehörige des Widerstands nach Auschwitz I und II sowie ins KZ Mauthausen deportiert wurden – also in den Tod gingen.“

Wegen dieses Vorgehens gilt Heydrich hierzulande als „Henker des tschechischen Volkes“. Zugleich ist der zweite Mann der SS auch einer jener, die für den Holocaust verantwortlich sind, für die Todesmaschinerie in den Vernichtungslagern. Und es ist Reinhard Heydrich, der bereits Anfang Oktober 1941 gegenüber Journalisten sagt, das Protektorat wäre in zwei Monaten „frei von Juden“. In seiner Amtszeit werden dann auch erstmals Juden ins sogenannte Generalgouvernement Polen deportiert. Im November des Jahres wird in Terezín / Theresienstadt neben dem Gestapo-Gefängnis ein Ghetto beziehungsweise Konzentrationslager eingerichtet. Bis Ende des Krieges ermorden die Nazis laut Schätzungen rund 80.000 böhmische und mährische Juden.

Plan für Attentat entsteht im Oktober 1941

Jozef Gabčík
Doch sein eigenes Todesurteil unterzeichnet Heydrich mit dem Terror gegen die tschechischen Armee- und Staatsspitzen. Denn die Idee eines Attentats auf ihn sei schon kurz nach seiner Ankunft in Prag entstanden, sagt Vojtěch Šustek.

„Ich habe ein Dokument gefunden, das wohl vom 3. Oktober 1941 stammt. Demnach holte der Befehlshaber des tschechischen militärischen Abschirmdienstes in Großbritannien, Oberst František Moravec, zwei zu Fallschirmspringern ausgebildete tschechoslowakische Soldaten zu sich. Es waren Jozef Gabčík und Karel Svoboda. Er fragte sie: ‚Habt ihr von den Morden bei uns zu Hause gehört? Es werden die Besten der Besten ermordet.‘ Moravec sagte, verantwortlich seien Staatssekretär Karl Herrmann Frank sowie der neu gekommene Reinhard Heydrich, und einer von ihnen müsse dafür bezahlen.“

Heydrichs Wagen  | Foto: Bundesarchiv,  Bild 146-1972-039-44,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0
Die beiden Fallschirmspringer willigen ein, diese Aufgabe zu übernehmen. Sie werden für ihren Einsatz speziell geschult, doch Karel Svoboda verletzt sich und wird ersetzt durch Jan Kubiš. Im Mai 1942 springen sie über dem Protektorat ab. Am 27. des Monats passen die Widerstandskämpfer Heydrich in seinem Wagen im Norden Prags ab. Gabčíks Maschinenpistole versagt, doch Kubiš kann eine Handgranate in Richtung Auto werfen. Die explodiert zwar schon vor dem Wagen, doch Heydrich bekommt etwas ab. Letztlich stirbt der stellvertretende Reichsprotektor am 6. Juni an seinen inneren Verletzungen. Die Reaktion der Nationalsozialisten darauf ist eine zweite Terrorwelle gegen die tschechische Bevölkerung.

Autor: Till Janzer
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