Blutig unterdrückte Demonstrationen und Knüppelgesetz - der 21. August 1969

Foto: Pavel Macháček, www.rozhlas.cz/1968

Die kommunistischen Machthaber rund um Gustáv Husák hatten diesen Moment gefürchtet: Am ersten Jahrestag nach der Niederschlagung des Prager Frühlings gingen die Menschen massenweise auf die Straßen. Sie demonstrierten gegen die Besetzung des Landes durch die Truppen des Warschauer Paktes. Die Parteiführung ließ damals im August 1969 die Einsatzkräfte hart durchgreifen, es kam zu blutigen Straßenschlachten.

Foto: Pavel Macháček,  www.rozhlas.cz/1968
Am 21. August 1968 walzten die Panzer der Warschauer-Pakt-Truppen den Prager Frühling nieder und zerstörten damit die Reformansätze in der kommunistischen Tschechoslowakei. Für viele Tschechen war das ein Trauma und ist es auch bis heute geblieben. Auch den Machthabern in Prag war die seelische Verfassung ihres Volkes klar angesichts der spontanen Demonstrationen gegen den Einmarsch. Doch wenn sie gewähren ließen, dann würde Moskau wieder militärisch eingreifen. Im Januar und März 1969 gingen Tschechen und Slowaken erneut auf die Straßen. Im April trat dann eine neue Führung an die Spitze der kommunistischen Partei des Landes. Gustáv Husák wurde Parteichef und löste Alexander Dubček ab, der als Symbol des Prager Frühlings gegolten hatte.

Alexander Dubček und Gustáv Husák  (Foto: ČTK)
Vladimír Kalus hatte an den Demonstrationen zu Jahresbeginn 1969 teilgenommen. Nun rückte der 21. August näher, der erste Jahrestag des verhassten Einmarschs der Warschauer-Pakt-Truppen:

„Es herrschte so eine Anspannung unter den Menschen, alle ahnten, dass etwas passieren würde. Es gingen handgeschriebene Flugblätter herum, die mehr oder weniger zu einem bestimmten Widerstand aufriefen. Es war deutlich zu spüren“, so Kalus, der Zeitzeuge.

In den Flugblättern wurde der 21. August als „Den hanby“, als „Tag der Schande“ bezeichnet. Die kommunistische Führung verharrte bereits in Habachtstellung. Jan Kalous, fast namensgleich mit dem Zeitzeugen Kalus, ist Historiker am Institut zur Erforschung totalitärer Regime in Prag:

„Nach den Demonstrationen während der Eishockeyweltmeisterschaft im März 1969 nahm die Parteiführung an, dass es bereits anlässlich der Maifeierlichkeiten zu weiteren Geschehnissen kommen könnte.“

Doch im Mai blieb es vergleichsweise ruhig. Der Blickpunkt richtete sich nun auf den 21. August. Ab Juli gab die Partei- und Staatsführung in kurzer Abfolge eine Reihe von Direktiven heraus, die sich an die Parteigremien und Staatsorgane, aber auch an die Medien im Land richteten. So hieß es beispielsweise am 23. Juli:

„Unmittelbares Ziel ist es, über durchdachtes Wirken der Massenkommunikationsmittel zu verhindern, dass rechte, antisozialistische und antisowjetische Kräfte den 21. August nutzen können, um chauvinistische Stimmung zu schüren.“

Mit aller Macht wollte man vermeiden, den Sowjets Vorschub für ein erneutes Eingreifen zu geben. Das bedeutete für die Parteiführung, eventuell auch gewaltsam vorgehen zu lassen. Der Historiker Kalous:

Demonstrationen im August 1969  (Foto: ČTK)
„Besonders ab dem Frühjahr wurden Spezialeinheiten geschaffen und auf das Vorgehen gegen Demonstranten vorbereitet. Diese Einheiten rekrutierten sich aus der Staatssicherheit, man rechnete zudem mit der Armee und militärtechnischen Geräten, und einen weiteren Teil bildeten die Volksmilizen.“

Vladimír Kalus, der Zeitzeuge, studierte damals Afrikanistik in Prag. Doch es waren Semesterferien und so war er am 21. August - wie viele Kommilitonen - nicht in Prag. Er war in seine Heimatstadt Opava im schlesischen Landesteil gefahren. Doch vom Geschehen war er nicht gänzlich abgeschnitten:

Foto: ČTK
„Wir wussten, was kommt, denn wir haben Radio Freies Europa gehört. Dem Tschechoslowakischen Rundfunk konnten wir nicht mehr trauen, dort wurde davon gesprochen, dass sich verschiedene verantwortungslose Gestalten in Prag versammeln. Umso mehr mussten wir Radio Freies Europa hören. Dort erhielten wir die Informationen, was sich wirklich tat.“

Die Wellen des Aufruhrs schlugen indes auch bis in die Provinzstadt, wie Vladimír Kalus kurz darauf erfuhr:

„Ich saß gerade wieder vor dem Radio und hörte, was sich wo tat, da riefen mich meine Freunde an: In der Innenstadt würde auf Demonstranten geprügelt. Bis ich hinkam, waren die Soldaten bereits wieder abgezogen worden. Ich erfuhr, dass sie mit Gürteln auf die Demonstranten eingeschlagen hatten. In den Städten am Rand des Geschehens waren die Soldaten nicht speziell ausgerüstet worden.“

Anders jedoch in den Großstädten Liberec / Reichenberg, Brno / Brünn und vor allem in Prag. Dort waren die Einsatzkräfte zusammengezogen worden. In Prag gingen die Leute bereits am 19. August auf die Straße. Die meisten waren jung, bis zu 30 Jahre alt. Am 21. August schwoll die Zahl der Demonstranten an. Mehrere Zehntausend waren es auf jeden Fall, manche Quellen sprechen auch von 150.000 Menschen. Zu ihnen gehörte auch Milan Krejčiřík. Die Demonstration hatte auf dem Wenzelsplatz begonnen. Irgendwann warfen die Einsatzkräfte Tränengas-Granaten. Mit langen weißen Schlagstöcken trieben sie nun die Demonstranten durch die Straßen der Innenstadt. Milan Krejčiřík gelangte in die Jungmann-Straße, in seinen Erinnerungen schreibt er:

„Ich rannte wie um mein Leben und blieb erst an der Ecke zur Lazarská-Straße stehen. Weitere Menschen kamen angerannt. Einige hatten blutige Verletzungen am Kopf und am Rücken. Der eine oder andere versuchte Erste Hilfe zu leisten. Am schwersten verletzt war ein älterer Mann. Sein Gesicht war voller Blut und am Rücken hatte er eine große Wunde, aus der Blut in das weiße Hemd sickerte.“

Doch der Tag sollte für einige noch tragischer enden: Drei Demonstranten werden in Prag erschossen, in Brünn zwei, darunter ein 14-jähriger Junge aus nur zwei Metern Entfernung. Es waren Morde, so die heutige Erkenntnis. Die Täter gehörten alle der Volksmiliz an, doch niemand ist bis heute dafür zur Verantwortung gezogen worden; die Parteiführung setzte alles daran, die blutigen Vorfälle zu vertuschen. In den Abendnachrichten des Tschechischen Rundfunks hieß es zum Beispiel:

„Vereinzelt und vor allem im Zentrum von Prag sowie in Brünn und Liberec kam es erneut zu Versuchen, Bürger zusammenzurotten, und in Prag und Brünn zu erneuter Gewalt und Vandalismus. In allen Fällen wurden diese Versuche durch den Einsatz der Staatssicherheit und von Einheiten der Armee und der Volksmilizen liquidiert und an allen Orten wird energisch die Ordnung wiederhergestellt.“

Am Tag nach den Demonstrationen erlässt die Leitung des tschechoslowakischen Parlaments ohne vorherige Debatte der Abgeordneten ein Gesetz, das den blutigen Einsatz der Ordnungskräfte nachträglich legalisiert. Es bezieht sich zudem auf die rund 2500 Menschen, die bei den Demonstrationen festgenommen wurden und in Untersuchungshaft sitzen. Historiker Jan Kalous:

„Das Gesetz ist aus verschiedenen Gründen interessant. Man musste den Leuten nachweisen, dass sie an antikommunistischen Aktionen beteiligt waren. Dazu reichten aber nicht die zwei Tage Untersuchungshaft, die nach den bisherigen Gesetzen zulässig waren. Die Untersuchungshaft wurde gesetzlich also auf drei Wochen ausgebaut. Dazu wurde nun möglich gemacht, die Teilnehmer aus der Arbeit entlassen zu können oder sie von den Hochschulen auszuschließen, ob Studenten oder Professoren.“

Alexander Dubček
In die Geschichte sind diese Maßnahmen als „Knüppelgesetz“ eingegangen. Ein weiterer Schlag für alle demokratisch orientierten Kräfte waren die Unterschriften unter dem Gesetz: Dort prangten die Schriftzüge von Dubček als Parlamentsvorsitzendem, Černík als Regierungsvorsitzendem und Svoboda als Staatspräsidenten. Ausgerechnet die drei Politiker, die ein Jahr zuvor noch als Symbol der Reformen, als Symbol des Prager Frühlings gegolten haben. Nur Parteichef Husák hat sich dort nicht verewigt, er überließ den drei früheren Reformpolitikern, sich die Hände schmutzig zu machen. Wie soll man dies bewerten? Historiker Jan Kalous über Alexander Dubček:

„Er erfüllte die offizielle Parteilinie und das ging ihm nicht einmal gegen den Strich. Wir müssen hier ganz eindeutig von einem politischen und vielleicht auch moralischen Versagen sprechen.“

Im Urteil über Dubček ist die tschechische Gesellschaft bis heute gespalten. Eindeutig ist aber, dass die Ereignisse im August 1969 einen Wendepunkt bedeuteten. Die neue kommunistische Führung hatte gezeigt, was sie unter dem Begriff der Normalisierung versteht: Gewalt und Willkür. Und dies sollte weitere 20 Jahre andauern.

Autor: Till Janzer
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