Taktiker ohne Vision: Gustáv Husák, letzter Parteichef des kommunistischen Regimes

Gustav Husák

Er war Opfer des stalinistischen Terrors, und doch wurde er später selbst zum Hardliner. Er unterstützte den Prager Frühling, um wenig später alle Reformbemühungen zu Grabe zu tragen. Das Wesen von Gustáv Husák, dem letzten Parteichef in der kommunistischen Tschechoslowakei, ist kaum fassbar. Seine Politik wiederum war so hart wie kurzsichtig. Vor 40 Jahren kam der Slowake an die Macht.

Gustáv Husák
Es war eine Art Notlage, die Gustáv Husák ganz nach oben spülte. Und das sagte er damals auch selbst:

„Genossen und Genossinnen, liebe Freunde. Wie bereits der Präsident unseres Staates, Genosse Svoboda, gesagt hat, tagt heute das Zentralkomitee der kommunistischen Partei und sucht nach einem Ausweg aus der schweren Lage, in der sich unser Land befindet.“

So beginnt Husák die erste Radio-Ansprache nach seiner Wahl zum Parteichef am 17. April 1969. Es war tatsächlich eine schwere Lage, in der sich die Tschechoslowakei befand: Sie war in eine tiefe Wirtschaftskrise geschlittert. Und die kommunistische Partei steckte in einer Vertrauenskrise, in die sie nach dem Einmarsch der Sowjettruppen im August des Vorjahres geraten war.

Der Einmarsch hatte die Wirtschaftskrise verschärft, weil er die Reformansätze des Prager Frühlings zerstört hatte. Und er führte zum Bruch vieler Menschen mit der Partei, weil diese den ratternden Sowjetpanzern nichts entgegensetzen konnte. Dabei blieb der in Moskau verhasste Reformpolitiker Alexander Dubček auch nach dem Einmarsch erst einmal tschechoslowakischer Parteichef.

„Die sowjetische Invasion im August 68 war damit in politischer Hinsicht gescheitert, denn eigentlich hatten die Sowjets damals bereits Dubček absetzen und eine so genannte Arbeiter-Bauern-Regierung einsetzen wollten, also eine neue Parteigarnitur, die eine Moskau-treue Politik verfolgen sollte“, so der Historiker Zdeněk Doskočil.

Die sowjetische Führung unter Breschnew versuchte daher Dubček als Symbol des Prager Frühlings zu diskreditieren. Und das gelang ihr bei einem scheinbar unpolitischen Ereignis: den Siegen der tschechoslowakischen Eishockeynationalmannschaft gegen das sowjetische Team bei der Weltmeisterschaft in Schweden im März 1969. Zdeněk Doskočil:

Foto: ČTK
„Das Eishockey war eine der wenigen Möglichkeiten, bei der unsere Bürger offen ausdrücken konnten, was sie dachten. Die Eishockeyspiele gegen die sowjetische Auswahl wurden von der Öffentlichkeit also sehr politisch verstanden und zwar als Trost für den Einmarsch im August 1968. Als der zweite Sieg gelang, mit dem niemand gerechnet hatte, gingen insgesamt rund eine halbe Millionen Menschen auf die Straßen.“

Und sie taten spontan ihre Freude über den Sieg kund. Doch wurde dabei auch das Büro der russischen Fluggesellschaft Aeroflot am Prager Wenzelsplatz demoliert.

„Mitarbeiter der tschechoslowakischen Staatssicherheit, die von Moskau gesteuert waren, hatten die Lage ausgenutzt und organisierten diese Provokation. Darauf hatten die Sowjets nur gewartet. Sie nahmen dies als Beweis dafür ihre These, dass die kommunistische Parteiführung in der Tschechoslowakei die Lage nicht unter Kontrolle hat und es weiter konterrevolutionäre und antisozialistische Kräfte im Land gibt“, erläutert Doskočil.

Moskau drohte nun 8000 weitere Soldaten in die Tschechoslowakei zu verlagern. Dubček verlor den Rückhalt innerhalb der Partei und er glaubte, die Forderungen aus Moskau nicht mehr erfüllen zu können. Am 12. April kündigte er seinen Rücktritt an.

Der neue Mann war Gustáv Husák – wie sich bald herausstellte: ein Hardliner. Dabei hatte er in den 60ern bis zur Niederschlagung des Prager Frühlings zusammen mit Dubcek dem Reformflügel der Partei angehört. Selbst Václav Havel, den Husáks Politik später zum Dissident werden ließ, erinnerte sich in einem tschechischen Dokumentarfilm an erste Berichte über Husák:

„Aus den 60er Jahren weiß ich noch, wie meine slowakischen Freunde sagten, dass sie sich von Husák viel versprechen würden. Er war für sie das Symbol eines wirklich gebildeten und vernünftigen Vertreters slowakischer Interessen.“

Alexander Dubček
Den Sowjets wiederum war Husák bis zum August 1968 praktisch nicht bekannt. Die 50er Jahre hindurch hatte der gelernte Jurist wegen der Ablehnung des stalinistischen Kurses im Gefängnis gesessen. Nach seiner Freilassung stieg er nur langsam auf der Karriereleiter hinan. Erst im April 1968, unter Dubček, wurde er stellvertretender Ministerpräsident. Als die tschechoslowakische Regierung nach dem Einmarsch der Sowjettruppen nach Moskau zitiert wurde, lernte die dortige Führung erstmals Husák persönlich kennen. Historiker Doskočil:

„Als Husák zusammen mit Staatspräsident Svoboda im August 1968 nach Moskau kam, gab er sich kompromissbereit und trat zugleich in rasanter Weise auf. Damit nahm er die Sowjets für sich ein.“

Dennoch war Husák nicht erste Wahl, auch wegen seiner Vergangenheit als Reformer und Opfer des Stalinismus. Doch die anderen Kandidaten trauten sich entweder nicht zu, die von Moskau geforderten scharfen politischen Maßnahmen durchzusetzen, oder sie hatten innerhalb der Partei nicht die nötige Unterstützung. Und so wurde der damals 56-Jährige zum Parteichef.

„Die Sowjets hatten sich davon überzeugt, dass Husák trotz seines Eintretens für Reformen im Jahr 1968 ein Kommunist alter Schule geblieben war“, lautet das Fazit von Zdeněk Doskočil.

Husák war für Moskau also keine Notlösung mehr. Für die Bevölkerung im Land war er aber auf jeden Fall eine Zumutung. Im Januar 1969 berichtete das deutsche Wochenblatt „Die Zeit“ von einer Meinungsumfrage in der Tschechoslowakei. Alexander Dubček genoss damals das Vertrauen von 94 Prozent der Bürger, Gustáv Husák landete mit einem Drittel Zustimmung hingegen weit hinten.

Auch das Verständnis von Politik trennte Dubček und Husák. Erster hatte als Visionär gegolten, der neue Parteichef war hingegen ein geschickter Machtpolitiker, wie Zedenek Doskocil meint:

Leonid Brezhnev mit Gustáv Husák
„Husák war ein Taktiker, es gelang ihm immer, sich eine politische Strategie für die Zeit einiger Wochen oder Monate zurechtzulegen. Und er konnte sich gut an die momentane Lage anpassen. Wenn er auftrat, fingen seine Reden sehr gekonnt die Stimmung der Zuhörer auf. Aber er war kein Mann der Vision. Er hatte keine zielgerichtete Vorstellung, was in der Politik, Wirtschaft oder in der Gesellschaft geändert werden sollte.“

Und so waren auch Husáks Beschwichtigungen bei seiner ersten Radioansprache am 17. April 1969 Augenwischerei:

„Einige Menschen haben die Befürchtung, dass das Handeln des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei oder die Wahl einer neuen Führung eine Umkehr in der Politik bedeuten könnte. Auch wenn die westliche Propaganda dies einflüstert, werden wir nicht zu alten Zeiten zurückkehren. Manche Leute sprechen ja sogar von den 50er Jahren“, so Husák wörtlich.

50er Jahre, das war die Zeit des Stalinismus in der Tschechoslowakei. Doch mit Husáks Wahl an die Parteispitze starten wie zu Zeiten des Stalinismus Säuberungen in der Partei, und Hunderttausende Tschechen und Slowaken verlieren ihre bürgerlichen Existenzen. Es war eine Regierung der harten Hand, die euphemistisch als „Normalisierung“ bezeichnet wurde. Und Gustáv Husák wurde zum Symbol dieser „Normalisierung“.

Autor: Till Janzer
schlüsselwort:
abspielen