Jiří Karmazín: Südböhmen und Italien als Hauptinspirationsquellen für seine Bilder

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Südböhmen gehört zweifelsohne zu den interessantesten und landschaftlich schönsten Regionen der Tschechischen Republik. Kein Wunder, dass auch die Zahl der Künstler, die dort ihre Inspirationen fanden und immer noch finden, ziemlich groß ist. Einen dieser Künstler hat Jitka Mládková in seinem Atelier besucht.

„Ich habe als Kind – denke ich - gut zeichnen können – nach den damals gültigen Maßstäben jedenfalls. Ich war für nichts Anderes geeignet, würde ich sagen. Ich konnte nur malen.“

Das sagt mein heutiger Gast am Mikrophon, Jiří Karmazín, Dozent und ehemaliger Leiter des Ateliers für Landschaftsmalerei an der Prager Akademie der bildenden Künste. 50 selbständige Ausstellungen im In- und Ausland hat er auf seinem Konto. Geboren wurde er 1932 in der Nähe des südböhmischen Städtchens Blatná und in einem nahen Ort hat er auch sein heutiges Domizil. Sein Häuschen, das buchstäblich ein Häuschen ist, und sein Atelier.

Herr Karmazín, wann haben Sie persönlich oder nach Absprache mit Ihren Eltern die Entscheidung gefasst, die Malerei zu studieren?

„Die Zustimmung der Eltern gab es nicht. Es war nur meine Entscheidung und wie gesagt, ich konnte nichts Anderes machen. Auch im Gymnasium habe ich pausenlos gezeichnet. Wir hatten einen Latein-Lehrer, er hieß Škoda, und der war toll. Mein ständiges Malen im Unterricht hat er mehr als nur toleriert. Einmal hat er mich nach etwas gefragt und ich wusste gar nicht, worum es geht, denn unter der Bank habe ich mir gerade Reproduktionen von Bildern mit nackten Körpern angeschaut, die man damals als amoralisch bezeichnete. Der Lehrer hat mir empfohlen, ihm zu sagen, ich sei ein Maler, und er lasse mich schon in Ruhe. Das nächste Mal habe ich es ihm auf Latein gesagt: Ego sum pictor, die Latein-Stunden konnte ich dadurch überleben.“

Nachdem Sie die Aufnahmeprüfung an der Höheren Schule für Kunstgewerbe in Prag bestanden hatten, konnten Sie das Gymnasium verlassen. Wie hat sich danach Ihre künstlerische Laufbahn entwickelt?

„Ich hatte keine Unterkunft in Prag, und so suchte ich mir in der Celetná-Straße eine Telefonzelle aus, in der ich übernachtete. Morgens, als ich aufwachte, glotzten mich die Leute an. Die Aufnahmeprüfung habe ich bestanden und wurde gleich in den zweiten Jahrgang aufgenommen. Schon ein Jahr später habe ich mich zur Aufnahmeprüfung an der Akademie der Künste gemeldet, die ich auch fast gemeistert habe. Aber ich konnte nicht aufgenommen werden. Ich war noch zu jung für das Studium. So blieb ich an der Kunstgewerbeschule.“

Nach der kurzweiligen Unterkunft in der erwähnten Telefonzelle und einer rund einjährigen Unterkunft in Untermiete hat es aber das Schicksal mit Ihnen doch gut gemeint, nicht wahr?

„Ich hatte unglaublich viel Glück. Nach einem Jahr durfte ich bei einem hervorragenden Menschen wohnen - bei dem bekannten Maler Cyril Bouda und seiner Frau. Sie haben mich, einen Dorfjungen, zu sich in ihre schöne Villa im Prager Stadtviertel Baba genommen. Ich bin dort mehr als 13 Jahre lang geblieben: während meiner Schulzeit an der Kunstgewerbeschule sowie während des sechsjährigen Hochschulstudiums und noch drei Jahre danach, während meiner postgradualen Ausbildung. Noch heute frage ich mich, wieso ich so viel Glück hatte. Die Boudas hatten übrigens einen gleichaltrigen Sohn, mit dem ich bis heute bestens befreundet bin.“

Während Ihres Hochschulstudiums, das Sie 1963 beendet haben, war die gesellschaftspolitische Situation hierzulande nicht rosig. Wie sah es damals in der Schule aus? Was war dort wichtig?

„Das Wichtigste waren Moral und Ethik. Das hat man uns in der Schule vermittelt, auch wenn es damals in der verrückten Zeit war. Unsere Lehrer waren hervorragende Menschen und haben uns diese Lebensnormen beigebracht. Mein Professor war der phantastische Vlastimil Rada, ein Jahr lang auch Karel Souček, und die haben diese Werte verkörpert, was sich auch in ihren Bildern widerspiegelt. Uns hat keine Partei erzogen, mit der gab es immer nur Probleme. Als ich später in einer Führungsposition an der Akademie war, habe ich mich bemüht, genauso auf meine Studenten zu wirken. Ich glaube, dass ich dabei nicht unbedingt erfolglos war.“

Auch wenn Sie sich nicht politisch engagiert haben, was in der damaligen Zeit sehr gefragt war, sind Sie für Ihre Diplomarbeit mit einem bedeutenden Preis bedacht worden. Hat das etwa den Start Ihrer Künstlerkarriere irgendwie erleichtert?

„Auch wenn ich zum Abschluss mit dem Hauptpreis der Akademie gekürt wurde, habe ich mich aus Prag in mein Häuschen in Südböhmen zurückgezogen. Der Preis war nämlich mit etwas Geld dotiert, für das ich mir das kleine Dorfhaus kaufen konnte. Es war eher eine halbe Ruine. Es ging mir nicht besonders gut. Anfangs arbeitete ich als Helfer in der Landwirtschaft, zum Beispiel beim Aufladen von Viehfutter oder bei der Kartoffelernte. Es klingt ungewöhnlich, aber ich wollte malen und habe damit teilweise mein Brot verdient.“

Zum Glück mussten Sie nicht sehr Lange Ihr Dasein auf diese Art und Weise fristen. Wann kehrten Sie nach Prag zurück?

„Weil es bekannt war, wie ich lebte, hat mir Professor Jiroudek, der Vlastimil Rada auf seinem Posten ablöste, die Assistentenstelle an der Akademie angeboten. Das war 1966. Damals habe ich zunächst aber mein Postgradualstudium begonnen. 1969 habe ich dann aber Probleme bekommen. Im Künstlersalon, der 1969 im Prager Haus ´U Hybernů´ stattfand, habe ich ein Gemälde im Format von 2,40 mal 1,20 Meter mit dem Titel ‚Das Bild von 1968’ausgestellt, auf dem die Kreuzigung Christi abgebildet war. Der damalige Parteibonze Bilak aus dem ZK der kommunistischen Partei, von Beruf übrigens Schneider, ließ dieses Bild entfernen. Außerdem auch Bilder von 16 weiteren Künstlern. Mich hat man von der Akademie nicht gefeuert, weil ich noch nicht offiziell zum Assistenten ernannt worden war. Ich durfte aber meine Bilder nicht mehr verkaufen.“

Ein paar Bilder konnten Sie aber doch „verkaufen“! An Leute nämlich, die sich zwar Künstler nannten, aber in Wirklichkeit keine guten Maler waren.

„Dort im Regal liegt ein Buch mit Bildern, die ich für ein paar Halunken gemalt habe. Ich kann sie auch beim Namen nennen, zum Beispiel Oldřich Oplt, den Vorsitzenden der Basisorganisation der Kommunistischen Partei an der Akademie der Bildenden Künste. Für ihn habe ich ein Gemälde für das Parlamentsgebäude gemalt. Alle wissen, dass ich das Bild gemalt habe, signiert hat es aber er. Ich habe das ganze Bild im Format 5 Meter mal 2 Meter allein gemalt und er erhielt dafür ein Honorar. Ich weiß nicht mehr, ob es 40 oder 60 Tausend Kronen waren, ich bekam davon jedenfalls sechstausend. Ich hatte damals schon eine Familie mit zwei Kindern und für mich war das viel Geld. Ich könnte auch noch mehr Namen nennen.“

Was haben Sie am liebsten gemalt – welche Motive?

„Das können Sie auf jedem meiner Bilder sehen. Es ist die südböhmische Landschaft, die ich sehr liebe, und Italien. Vom Norden bis zum Süden. Dort habe ich eigentlich nicht so viel gemalt, ich bin aber kreuz und quer durch das Land gereist. Später besuchte ich Italien mit meinen Studenten. Die meisten erinnern sich gerne daran, auch wenn ich ziemlich streng darauf geachtet habe, dass wir all das besichtigen, weswegen wir dorthin gefahren sind. Nach Italien fuhren wir nämlich nicht, um dort zu malen, sondern um uns dort mit der Malerei vertraut zu machen. Das war phantastisch!“

Was bedeutet für Sie die Landschaft als solche? Die südböhmische sowie andere Landschaften in Italien, in der Bretagne oder anderswo?

„Für mich war die Landschaft immer mit Menschen und Tieren verbunden. Das ist leider hierzulande für mich verloren gegangen. Man sieht oft nur riesengroße Felder mit Rüben oder etwas anderem. In Italien gibt es wunderschöne Landschaften, die nicht wie bei uns durch die Kollektivierung der Landwirtschaft gezeichnet wurde, und auch meine geliebten Esel gibt es dort. Die Esel werde ich bis ans Ende des Lebens nicht los.“

Noch ein Motiv haben Sie auf vielen Bildern reflektiert – die Kreuzigung Christi. Kann man sagen, dass es auch Ihr Thema ist?

„Das ist nicht nur ein bloßes Thema. Es ist eine Kultur. Das ist etwas mehr, ein Thema der Menschlichkeit, des Lebens, seiner Entstehung und seines Endes. Es ist ein Motiv, das ehr als Motiv ist. Etwas, was man als Mensch braucht, wenn man die schönsten, aber auch die schwersten Momente des Lebens erlebt. Die Substanz der Menschheit.“