In Tschechien ist wieder einmal die Pilzmanie ausgebrochen. Schon klar, Pilze werden auch in anderen Ländern gesammelt, aber die Beziehung der Tschechen zu den Pilzen ist von einer Leidenschaft, die sich sogar in der Sprache niederschlägt. Wendungen wie „Pilze sammeln“ erscheinen für eine Selbstverständlichkeit wie Pilze sammeln viel zu kompliziert. Deshalb sagen die Tschechen meist einfach nur „houbařit“, was etwa dem nicht vorhandenen deutschen Verb „pilzen“ entspräche. Und der, der pilzen geht, ist kein Pilzsammler, sondern ein houbař, also ein Pilzer.
Manchmal kann man den Pilz sogar weglassen. Wer beim Smalltalk übers Wetter oder auf der Titelseite der Zeitung ein lässiges „rostou!“ unterbringt, der hat keinen weiteren Erklärungsbedarf. Rostou heißt „sie wachsen“, und wer oder was da wächst, ist allen Tschechen klar wie Waldluft.
Jedes Jahr wenn sie wachsen, outen sich berühmte Persönlichkeiten, von der Schauspielerin bis zum Minister, als begeisterte Pilzer und geben ihre geheimen Sammel- und Rezepttipps preis. Gemeinsames Prominentenpilzen wird zum TV-Event, einsames Individualpilzen zum nationalen Symbol ernährungstechnischer Privatsphäre. Da dürfen natürlich die historisch-soziologisch-politischen Erklärungsversuche nicht fehlen: Der Wald als ideologiefreier Raum, unberührt von der kommunistischen Propaganda? Der Pilz als beständige Gabe der Natur, abseits von sozialistischer Kollektivierung und kapitalistischer Massenproduktion?
Vielleicht ist da sogar was dran. Auf den Speisekarten in den meisten Prager Restaurants sucht man Pilze nämlich vergeblich – selbst wenn „sie“ gerade wachsen. Die selbst gepilzten Pilze sind den Pilzern offenbar so heilig, dass sie sie nicht einmal verkaufen.