Zwischen Toskana-Fraktion und Staatsbankrott
Die Staatsfinanzen bröckeln und die Politiker nutzen den Urlaub, um sich mit der Industrielobby zu treffen – von wegen Saure-Gurken-Zeit. Das und mehr jetzt im Medienspiegel. In den Zeitungen geblättert hat diesmal Till Janzer.
Moderator: Till, beginnen wir mit den Staatfinanzen. In Tschechien gibt es ja derzeit noch keine Anzeichen, dass sich die Wirtschaft von der Krise erholt. Also erstaunt auch nicht, dass die Staatsfinanzen am Boden liegen…
T. Janzer: Erstaunlich ist das sicher nicht. Finanzminister Eduard Janota rechnet im kommenden Jahr mit einer Neuverschuldung des Staates von 209 Milliarden Kronen oder – umgerechnet – acht Milliarden Euro, sollten nicht weitere Kürzungen vorgenommen werden. Janota will nun bis etwa Mitte August einen neuen Haushaltsentwurf für 2010 vorlegen.
Moderator: Das ist natürlich vor allem ein Thema für die wirtschaftlich ausgerichtete Tageszeitung „Hospodářské Noviny“…
T. Janzer: Genau, dort erschien am Dienstag ein ausgesprochen schwarzmalerischer Kommentar. Dessen Autor Petr Kamberský sieht nicht viel Hoffnung, dass die nächste Regierung, die aus den vorgezogenen Wahlen zum Abgeordnetenhaus Anfang Oktober hervorgeht, bereit ist, darauf mit den notwendigen Kürzungen zu reagieren. Kamberský schreibt wörtlich:
„Es sieht nicht gut aus. Wir nähern uns langsam aber unaufhaltsam dem ungarischen oder lettischen Szenario – dass also eine internationale Organisation den Staat retten muss. Oder hart gesagt: Schwingt sich das neue Parlament nach den vorgezogenen Neuwahlen nicht zu radikalen Änderungen in den Staatsaufgaben auf, dann ist der Staatsbankrott eine reale Variante in unserer Zukunft.“Moderator: Das ist ja ein düsteres Bild, das da Petr Kamberský von der „Hospodářské Noviny“ zeichnet. Sind das auch die Befürchtungen weiterer Kommentatoren?
T. Janzer: Eher nicht, oder zumindest stellen sie andere Aspekte in den Vordergrund. So zeigt sich Martin Hekrdla von der linksgerichteten Tageszeitung „Právo“ skeptisch gegenüber den möglichen Lösungsansätzen der aktuellen Regierung, die noch bis zu den Wahlen in einem parteilosen Übergangskabinett die Geschicke des Landes leitet. Er sagt, nun müssten eigentlich „alle zu den Pumpen“ gerufen werden, um den Kahn wieder flott zu bekommen. Und weiter heißt es in seinem Kommentar:
„Vieles deutet aber darauf hin, dass nicht wirklich alle werden pumpen müssen, und dass die aktuelle Regierung keine wirklich sozial gerechte Verteilung des Risikos auf alle Gesellschaftsschichten anstrebt. Die Löcher im Haushalt werden sicher mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer gestopft - und die ist von allen fiskalischen Instrumenten am weitesten von sozialer Gerechtigkeit entfernt.“
Moderator: Bisher ging es um die Löcher in den tschechischen Staatsfinanzen und die Frage, welche Folgen das haben kann. Till, welche weiteren Themen hast du gefunden?
T. Janzer: In Deutschland steht ja Gesundheitsministerin Ulla Schmidt stark in der Kritik, weil sie mit ihrem Dienst-Mercedes in den Urlaub nach Spanien gefahren ist.
Moderator: Das wurde im Übrigen bekannt, weil ihr das Auto gestohlen wurde…
T. Janzer: Genau, aber nicht nur Deutschland beschäftigt sich mit Urlaubsskandalen von Politikern. In Tschechien wurde bekannt, dass Ex-Premier Mirek Topolánek von den Bürgerdemokraten und Spitzenpolitiker der Sozialdemokraten sich im Urlaub in der Toskana mit den Vertretern des größten tschechischen Energiekonzerns ČEZ rumgetrieben haben. Man muss es rumtreiben nennen, denn ein Treffen mit Arbeitscharakter hatte es ja angeblich nicht. Zurückgewiesen hat Topolánek danach sehr schnell, dass sein Urlaub etwa von der Wirtschaftslobby bezahlt würde. Da hatte er sich nämlich bereits vergangenes Jahr einen dicken Fehltritt erlaubt, als er sich von Berlusconi auf dessen Villa nach Italien einladen lies.Moderator: Dieses Jahr kochte das ja noch einmal hoch, weil ein spanischer Fotograf nicht nur Berlusconi fotografierte, sondern den damaligen tschechischen Ministerpräsidenten sogar nackt erwischte…
T. Janzer: Ja, und kurz vor den Europawahlen wurden dann diese pikanten Fotos veröffentlicht. In jedem Fall geht es diesmal vor allem um die große Nähe des damaligen Premiers, der jetzt nur mehr Chef der Bürgerdemokraten ist, zu einflussreichen Großindustriellen. Kommentator Martin Komárek schreibt dazu in der Zeitung „Mladá Fronta Dnes“:
„Topolánek behauptet immer: ´Dies sind meine Freunde und basta. In meiner Freizeit kann ich machen, was ich will.´ Das mag wahr sein, aber jedem Politiker wird unter die Nase gerieben, was er in seiner Freizeit macht. Zumal sich Topolánek auf den Jachten nicht nur mit seinen Freunden, sondern auch mit dem Chef der allmächtigen Firma ČEZ getroffen hat. Und das auch nur kurze Zeit, nachdem Politiker für den ČEZ-Chef einen höchst lukrativen Handel mit Emissionsrechten eingefädelt haben.“
Moderator: Diesen Emissionsrechtehandel hatte ČEZ im Frühjahr mit Japan abgeschlossen, als noch das Kabinett von Topolánek die Regierungsgeschäfte geführt hat. Nun haben wir in Tschechien also diesen Fall und in Deutschland die Dienstwagenaffäre von Ulla Schmidt. Da haben doch sicher auch die tschechischen Journalisten Verbindungen hergestellt?
T. Janzer: Durchaus, zum Beispiel Zbyněk Petráček in der Lidové Noviny. Er findet dass die Affäre Schmidt im Vergleich ein – so wörtlich – „Vorbild an Transparenz“ sei. Er hält also das Urlaubsgebaren tschechischer Politiker in der Toskana für ziemlich undurchsichtig. Seine Schlussfolgerung lautet:
„Vor Jahren hat sich im Deutschen der Begriff ´Toskana-Fraktion´ eingenistet. Er bezeichnet Alt-Achtundsechziger, die zu bürgerlichem Wohlstand gekommen sind und sich Häuser in der Toskana gekauft haben. Der Begriff ist aber im Deutschen auch als Vorwurf von Faulheit und Selbstgefälligkeit zu verstehen. Wir sollten uns lieber nicht überlegen, was und wen Toskana-Fraktion im Tschechischen bezeichnen könnte.“
Moderator: Till, ein bisschen Zeit haben wir noch für ein weiteres Thema und einen Kommentar dazu…
T. Janzer: Die Medien beschäftigt hat auch die Diskussion um den Bau einer zweiten Moschee in Brünn. Die Moslems in Tschechien wünschen sich den Bau und sagen, die bisherige Moschee stoße an ihre Kapazitätsgrenze. Darauf haben die Christdemokraten sich zu Wort gemeldet und warnen, dass die örtliche Kultur durch den Bau einer weiteren Moschee – so wörtlich – „von fremder Kultur und Religion an den Rand gedrängt“ werden könnte. In der Zeitung „Právo“ weist dies Kommentator Petr Uhl entschieden zurück:
„Es verhält sich anders, als die Christdemokraten behaupten. Die Tradition dieses Landes ist der schrittweise Übergang von der bloßen Duldung zur vollen Glaubensfreiheit und zum Verfassungsgrundsatz, dass der Staat sich nicht an eine einzige Ideologie und auch nicht an ein einziges Glaubensbekenntnis binden darf. Europa beruht auf der christlichen Tradition, aber auch auf dem Erbe der Antike, des Judentums und ist zudem vom Islam beeinflusst. Europas Tradition ist die Offenheit. Auf tschechischem Gebiet wissen wir das nur allzu gut, von Jan Hus und den tschechischen Brüdern, über Palacký und Masaryk bis zur Brünner evangelischen Philosophin Božena Komárková. Die Ausschließlichkeit katholischer Tradition zu verkünden ist rückwärtsgewandter Provinzialismus der Christdemokraten.“
Moderator: Und mit diesem Zitat aus der Zeitung „Právo“ geht unserer Blick in die Kommentarspalten der tschechischen Zeitungen zu Ende. Ich bedanke mich bei Till Janzer und verabschiede mich.