Gemeinsame Geschichte hautnah: Die Niederösterreichische Landesausstellung 2009

Österreich. Tschechien. Geteilt. Getrennt. Vereint. So lautet der Titel der niederösterreichischen Landessausstellung, die in den drei Städten Horn, Raabs und Telč zu sehen ist. Es ist die erste grenzüberschreitende Landeausstellung. Wir haben bereits über die Vorbereitungen und die Eröffnung der Ausstellung im April dieses Jahres berichtet. In unserem „Kapitel aus der Tschechischen Geschichte“ laden wir Sie nun zu einem Rundgang durch den Ausstellungsteil in Horn ein.

Alle zwei Jahre veranstaltet das Land Niederösterreich an einem Ort in der Region seine Landesausstellung. In diesem Jahr hat man sich allerdings etwas Besonderes einfallen lassen: Die Schau findet an drei Orten gleichzeitig statt und ist außerdem erstmals grenzüberschreitend: In den niederösterreichischen Städten Horn und Raabs an der Thaya und in Telč an der Nahtstelle zwischen Böhmen und Mähren. Auch das Thema überrascht nicht: 20 Jahre nach der politischen Wende im ehemaligen Ostblock und dem Fall des Eisernen Vorhanges steht die gemeinsame tschechisch-österreichische Geschichte im Mittelpunkt, wie Ausstellungskurator Stefan Karner erklärt.

„Wir haben eine spezielle Chronologie, die wir hier in Horn durchgezogen haben. Wir beginnen im Mittelalter und ziehen das dann herauf bis zum heutigen Tag: Die Geschichte von Österreich und Tschechien in den gegenseitigen Beziehungen. Die waren einmal schwierig und einmal vereint. Einmal waren sie besser, einmal schlechter. Wie es halt so ist im Lauf der Jahrhunderte.“

Doch der Schwerpunkt liege ganz eindeutig auf der Entwicklung während des vergangenen Jahrhunderts. Man habe bewusst einen Schwerpunkt setzen wollen, sagt Karner, dessen Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung auch seinen Arbeitschwerpunkt in eben dieser Epoche hat. Diese Selbstbeschränkung war aber mit Sicherheit auch notwendig, denn um die gemeinsame Geschichte Österreichs und Tschechiens in ihrer ganzen Bandbreite umfassend darzustellen, dazu hätte es wohl noch mindestens weitere fünf Ausstellungsorte gebraucht. Vieles in der jüngeren und jüngsten Geschichte der beiden Nachbarländer erschließt sich dem Besucher allerdings erst im Kontext mit der Entwicklung in früheren Jahrhunderten. Wie man diese Frage gelöst hat, das erklärt Ausstellungskurator Karner:

„Das Schwergewicht liegt hier in Horn ganz eindeutig auf dem 20. Jahrhundert. Nur im ersten Raum passieren Sie quasi in einem Aufwaschen ganz schnell 800 Jahre Geschichte. Und dann steigen Sie schon in unser 20. Jahrhundert ein.“

Tatsächlich, der erste Raum des Rundganges durch das Kunsthaus Horn hat es in sich: Ein bedeutendes Exponat reiht sich an das nächste; quasi von Schaustück zu Schaustück springt der Besucher durch die Jahrhunderte:

„In diesem Raum hier werden 800 Jahre gemeinsame Geschichte gezeigt. Und das mit tollen Exponaten: mit den Hussitenkriegen, mit der Goldenen Bulle. Die ist das erste Mal seit langem wieder einmal zu sehen. Schauen Sie, eine einfach aussehende kleine Schrift ist das. Dabei ist das die Wahl zum Deutschen Kaiser.“

Drei Dynastien waren es, die im Mittelalter um die erste Stelle im Reich kämpften: Die Habsburger in Österreich, die Wittelsbacher in Bayern und die Luxemburger in Böhmen. In der Zeit von 1316 bis 1378 residiert mit Karl IV. ein Luxemburger in Prag: Als König von Böhmen und ab 1355 als römisch-deutscher Kaiser. Er verhilft Prag zu einem ungeahnten Aufschwung; die Periode seiner Herrschaft gilt bis heute als Blütezeit Böhmens. 1356 bestätigt er mit der nun in Horn gezeigten „Goldenen Bulle“ die Rechte der sieben Kurfürsten, die den Kaiser wählten. Auch mit Karls Söhnen Wenzel und Sigismund bleibt der Kaiserthron in luxemburgischer Hand, bevor ab 1437 wieder die Habsburger den römisch-deutschen Kaiser stellen. In Horn sind auch weitere Exponate aus dieser Schlüssel-Epoche der gemeinsamen böhmisch-österreichischen Geschichte zu sehen:

Kaiser Franz Joseph
„Eines der Highlights der Ausstellung ist sicher die böhmische Wenzelskrone in der Replik. Dann haben Sie hier den Funeralschatz des böhmischen Königs. Zuletzt wurden diese Funeralinsignien 1916 beim Begräbnis von Kaiser Franz Joseph verwendet. Das Foto dazu, wo Kaiser Franz Joseph im Sarg liegt, das sehen Sie auf der anderen Seite.“

1918, zwei Jahre nach dem Tod Kaiser Franz Josephs, kam das Ende der Habsburger-Monarchie und damit des Zusammenlebens von Tschechen, Österreichern und vielen weiteren Nationalitäten in einem gemeinsamen Staat. Eine große Landkarte, die den Boden des Ausstellungsraumes bedeckt, erinnert an die Zeiten des Vielvölkerstaates:

„Hier haben wir auch eine alte Karte aus dem 17. Jahrhundert mit den deutschen Namen genommen und auf den Boden gegeben. Dabei sehen Sie jeden Ort mit seinem alten Namen. Sie haben also Telč hier – geschrieben Teltsch, mit „T“ und „Sch“, Raabs haben Sie noch mit hartem „p“ geschrieben. Können Sie hier etwas erkennen? Fratzing, Pischen, Teschen. Genau! Wo haben wir denn Telč? Ja, hier oben ist Telč. Wo ist Raabs? Ja, hier! Und Horn müsste hier sein. Ja, genau hier. Sie stehen genau auf Horn.“

Es war der Erste Weltkrieg, ausgelöst durch das Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo, der das Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie brachte. Neben zahlreichen Originalexponaten zu diesem folgenschweren Anschlag ist auch die besondere Rolle der Tschechen im Ersten Weltkrieg dokumentiert. Sie kämpften nämlich an beiden Fronten, wie der Co-Kurator der Ausstellung, Armin Laussegger erklärt:

„Das war die Tschechische Legion. Viele Tschechen, die damals schon außerhalb der K.u.k.-Monarchie gelebt haben, haben sich freiwillig in die Armeen der Entente-Mächte gemeldet. Die Exil-Politiker Masaryk und Beneš haben das als Instrument benützt. Dazu haben wir einige Uniformen von tschechischen Legionären in der russischen Armee ausgegraben, auch einige dieser typischen Hüte sind dabei. Wichtig dabei zu erwähnen ist, dass gerade die russische Armee die Tschechische Legion bevorzugt dort eingesetzt hat, wo sie böhmische Regimenter in der K.u.k.-Monarchie vermutet haben. Damit sollten die böhmischen Brüder quasi zur Desertion überredet werden.“

Der nächste Raum in der Ausstellung ist der Entwicklung der beiden neuen selbstständigen Nachbarstaaten in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen gewidmet, wie Professor Karner erklärt:

„Links und rechts haben Sie einige Highlights der Entwicklung von Österreich und der Tschechoslowakei in diesen 20er-Jahren. Wir beginnen mit der wirtschaftlichen Not nach dem Krieg, die in der Tschechoslowakei nicht so stark war, wie in Österreich. Hunderttausend Tschechen wandern aus Wien ab, weil es der Tschechoslowakei damals wirtschaftlich viel besser gegangen ist. Das darf man nicht vergessen. Die Tschechoslowakei war wirtschaftlich viel, viel stärker aufgestellt, hatte viel, viel mehr Industrie als Österreich. Der Außenhandel zwischen Österreich und der Tschechoslowakei ist in der Zwischenkriegszeit praktisch immer negativ für Österreich.“

Doch der Aufschwung war bekanntlich nur von kurzer Dauer. Die unermessliche Tragödie des Zweiten Weltkriegs setzte dieser Entwicklung ein jähes Ende. Nach dem Krieg herrschte unbeschreibliches Leid – auf beiden Seiten der Grenze. In der Tschechoslowakei folgte mit der Machtübernahme der Kommunisten im Jahr 1948 eine neuerliche Zäsur. Für die nächsten rund vierzig Jahre war es vorbei mit dem nachbarschaftlichen Austausch, Österreich und die Tschechoslowakei lagen in verschiedenen weltpolitischen Machtsphären. Der Eiserne Vorhang schloss die Grenze zwischen den beiden Staaten hermetisch. Um diese Trennung zu veranschaulichen, haben die Ausstellungsmacher auch im Kunsthaus Horn eine künstliche Barriere geschaffen:

„Wir haben hier versucht, den Eisernen Vorhang so zu zeigen, dass man sich entscheiden kann: Gehst man auf dieser Seite, auf der österreichischen oder auf der anderen, der tschechoslowakischen Seite weiter. Geht man so, sieht man nur mehr ungefähr, was in Österreich vor sich geht. Geht man auf dieser Seite, sieht man nur mehr ungefähr, was auf drüben in der Tschechoslowakei passiert“, erklärt der Ausstellungskurator Stefan Karner.

Eingelassen in den fiktiven Eisernen Vorhang sind Gucklöcher, mit denen man auf die andere Seite hinüberspähen kann. Doch in diesen Schaukästen wird nicht die Realität abgebildet, sondern das – oft erheblich verzerrte – Selbstbild der damaligen Regime.

An einer Stelle ist die Wand, die in der Ausstellung den Eisernen Vorhang symbolisieren soll, plötzlich unterbrochen:

„Hier wird der Eiserne Vorhang kurz durchtrennt. Und zwar deshalb, weil er 1968 aufgeht. Wir haben diesem Jahr, dem Prager Frühling, einen ganzen Raum gewidmet. Hier haben wir die tschechoslowakische Entwicklung mit Dubček, Breschnew und so weiter. Wir haben die Invasion der Warschauer-Pakt-Truppen illustriert: Sehen Sie, hier, den sowjetischen Panzer und drauf ein tschechoslowakischer Freiheitskämpfer. Und hier haben wir die österreichische Entwicklung in diesem Jahr. Mit den Abwehrmaßnahmen des Bundesheeres, den politischen Maßnahmen von Bundeskanzler Klaus aber auch der ORF mit dem wichtigen politischen Redakteur Hugo Portisch und seinem Bericht von der Karlsbrücke in Prag.“

Illustriert werden die dramatischen Ereignisse vom August 1968 durch zahlreiche Ton- und Filmdokumente. Nach dieser kurzen Unterbrechung verläuft der Eiserne Vorhang wieder dicht geschlossen bis zum Spätherbst 1989, als mit der Samtenen Revolution die Phase der Trennung endgültig überwunden ist. Den vorläufigen Abschluss dieser Entwicklung markieren zwei Dokumente, deren Entstehung sich in den 1960er und 1970er-Jahren wohl niemand auch nur zu Träumen gewagt hätte:

„Man sieht hier den Beitrittsvertrag der Republik Österreich zur Europäischen Union und hier den Beitrittsvertrag der Tschechischen Republik, beide im Original“, so Professor Stefan Karner, der einer der Kuratoren der Niederösterreichischen Landesausstellung 2009.

Durch den EU-Beitritt Tschechiens am 1. Mai 2004 und den Wegfall der Grenzkontrollen im Dezember 2007 sind die letzten sichtbaren Barrieren zwischen den beiden Ländern gefallen. Und spätestens, wenn die letzten ehemaligen Grenzhäuschen verschwunden sind und Tschechien in einigen Jahren den Euro eingeführt haben wird, dann wird man wohl schon sehr genau hinschauen müssen, um zu wissen, auf welcher Seite der Grenze man sich eigentlich gerade befindet. Dort, wo noch vor 20, 25 Jahren alles mit Stacheldraht und Minen verbarrikadiert war.

Soweit unser Ausflug in die Bezirksstadt Horn zur Niederöstererichischen Landesausstellung begleitet. Falls Sie neugierig geworden sind: Zu sehen ist die Schau noch bis zum 1.November. Alle Informationen dazu finden Sie unter der Adresse: http://www.noe-landesausstellung.at. Und schon demnächst werden wir Sie auch auf einen akustischen Rundgang durch die Ausstellungsteile in Raabs und Telč begleiten. Mehr dazu in einer der nächsten Ausgaben unserer Rubriken „Kapitel aus der Tschechischen Geschichte“ und „Kultursalon“.