Zeihsels Zusammenfassung
Diese Woche bekam die Deutsche Redaktion von Radio Prag wieder einmal Post aus Wien. Gerhard Zeihsel, der Bundesobmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Österreich, verschickte eine Presseerklärung zum Jahrestag der Auslöschung des Dorfes Lidice. Lidice war im Juni 1942 von den nationalsozialistischen Besatzern dem Erdboden gleichgemacht worden, als „Vergeltung“ für die Ermordung des stellvertretenden Reichsprotektors Reinhard Heydrich in Prag.
Das Attentat gegen Heydrich sei von der tschechoslowakischen Exilregierung in London „kaltblütig geplant“ worden, schreibt Zeihsel. Ein Attentat im ansonsten offenbar ruhigen und friedfertigen Protektorat, wie es scheint. Zeihsels Text beginnt nämlich mit dem folgenden Satz:
„Die Lage der Tschechen auf ihrem nationalen Gebiet im Protektorat Böhmen und Mähren in den Jahren 1939 – 1945 war zusammenfassend gesehen dadurch gekennzeichnet, dass bei Befolgung der oft sehr weitgehenden Gebote der deutschen Besatzung und bei politischer Abstinenz nur geringe persönliche Gefahr für Leib und Leben bestand.“
Das ist zunächst einmal schwammiges Deutsch. Was meint Zeihsel mit „weitgehenden Geboten“? Deutsche Anordnungen, die in alle Lebensbereiche der tschechischen Bevölkerung vordrangen? Oder doch eher weitgehende Freiheiten? Freiheiten lassen sich aber nur schwer befolgen, also müssen die „weitgehenden Gebote“ her – eine fast schon traumhaft originelle sprachliche Wendung.
Doch sehen wir uns die Sache von der inhaltlichen Seite her an: Ja, auch in Tschechien werden Diskussionen darüber geführt, inwieweit die Londoner Exilregierung unter Edvard Beneš die erwarteten Vergeltungsaktionen der Nazis bewusst in Kauf nahm – quasi als Kapital des Schreckens in den Verhandlungen mit den Alliierten nach Kriegsende. Es ist nicht verboten, über diese Fragen nachzudenken. In Deutschland nicht, in Österreich nicht, und auch nicht in Tschechien. Es sind Fragen, die zum Beispiel auch jene Sudetendeutschen interessieren, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Kinder vertrieben wurden und jetzt als Rentner wieder nach Tschechien kommen. Nicht, um irgendwelchem verlorenem Eigentum nachzutrauern, sondern um auf den Spuren ihrer Vergangenheit zu wandeln. Einfach so, aufgeschlossen, ausgeglichen und ohne eine Spur von Bitterkeit.
Es könnte aber auch das unscheinbare Wort „zusammenfassend“ sein, das in Zeihsels Zeilen besonders stört:
„Die Lage der Tschechen auf ihrem nationalen Gebiet im Protektorat Böhmen und Mähren in den Jahren 1939 – 1945 war zusammenfassend gesehen dadurch gekennzeichnet…“ usw.
Vielleicht sollte eine Zusammenfassung der Lage im Protektorat auch das Schicksal der jüdischen Bevölkerung erwähnen, all jene Menschen, die etwa in Theresienstadt ermordet oder von dort in Vernichtungslager abtransportiert wurden. Aber zur offenen Diskussion braucht man Mut. Und wer schon im ersten Satz zusammenfasst, der will vielleicht gar nicht mitdiskutieren.