Übersetzer in Tschechien: „Schöne Arbeit unter erschwerten Bedingungen“
In Zusammenarbeit mit Radio Prag haben Studentinnen des Instituts für Übersetzungswissenschaft an der Prager Karlsuniversität zwei Beiträge gestaltet, in denen es um ihre eigene berufliche Zukunft geht. Wie sieht der Arbeitsalltag von Dolmetschern und Übersetzern aus? Welche organisatorischen Rahmenbedingungen gibt es, und wie sind die Job-Chancen im In- und Ausland? In Teil eins waren wir zu Gast bei den tschechischen Dolmetschern in Brüssel. Die haben zwar einen stressigen Job, verdienen dafür aber auch ganz gut. Ganz anders sieht es bei den Übersetzern von Belletristik in Tschechien aus. Zu denen führt uns nun der zweite Teil. Und zwar nach Prag in das Büro der Tschechischen Übersetzervereinigung. Diana Kutilová und Marie Šindelářová haben mit Hana Linhartová, der Vorsitzenden der Vereinigung, gesprochen.
„Vor kurzem wurde eine groβ angelegte, europaweite Studie über unseren Beruf erstellt. Daran haben 23 Länder teilgenommen, und es hat sich gezeigt, dass wir in Tschechien wirklich am allerschlechtesten in ganz Europa bezahlt werden - noch hinter Kroatien oder Litauen. So ist es.“
Dabei ist hierzulande besonders das Übersetzen schöngeistiger Literatur wenig lukrativ, erklärt Linhartová:
„Unsere Kollegen, die allgemeine Texte oder Fachtexte übersetzen, verdienen zwei bis drei Mal so viel wie wir. Seit Mitte der neunziger Jahre bleiben die Honorare immer die Gleichen. Das heiβt, das Lebensniveau von uns Übersetzern sinkt dadurch sehr stark. Momentan ist es so, dass wir 70 bis 80 Kronen pro Stunde verdienen. Das entspricht einem Monatsgehalt von etwa 9000 Kronen.“
Umgerechnet beläuft sich also der durchschnittliche Stundenlohn für einen tschechischen Übersetzer nur auf knapp drei Euro. Und damit beträgt er gerade einmal die Hälfte des Durchschnittslohns in der Tschechischen Republik. Weil davon kaum jemand leben kann, sind die meisten Übersetzer gezwungen, Nebenjobs auszuüben. Das reicht vom Unterrichten an Universitäten und Schulen bis zur Arbeit in den Redaktionen unterschiedlicher Medien. Allerdings würden auch diese Jobs nur schlecht bezahlt, gibt Linhartová zu bedenken. Ihre Organisation bemüht sich schon seit Jahren, die Situation der tschechischen Übersetzer zu verbessern – bislang leider ohne großen Erfolg. Schuld daran ist unter anderem das tschechische Urhebergesetz, unter das auch Übersetzungen fallen, wie Linhartová erklärt:
„Das tschechische Urhebergesetz, das im Jahre 2000 in Kraft getreten ist, ist zwar modern - das muss man sagen. Es beinhaltet die Vertragsfreiheit, was einerseits zwar positiv ist. Aber andererseits sind wir vom Gesetz her in der Position des Schwächeren. Die Verlage sind die Starken, die uns gewissermaßen ihre Bedingungen diktieren.“In nächster Zeit will man daher mit staatlichen Institutionen über eine Reform des Urhebergesetzes verhandeln. Die Erfolgsaussichten schätzt Linhartová allerdings nicht gerade rosig ein.
Angesichts der schwierigen Arbeitsbedingungen in der tschechischen Übersetzerbranche, schaut man schon einmal neidisch über die Grenze nach Deutschland, wo Übersetzer rechtlich in einer wesentlich besseren Position sind. Und das schlägt sich auch finanziell nieder. Ein deutscher Übersetzer verdient im Schnitt viermal so viel wie sein tschechischer Kollege. Hana Linhartová:
„Das ist ein Unterschied, der viel größer ist als der Unterschied im Lebensstandard zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik.“
Für Hana Linhartová ist das Übersetzen eine Herzensangelegenheit. Doch wenn man ständig Probleme hat, damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, hört der Spaß irgendwann auf.
„Die Konsequenzen aus den schlechten Arbeitsbedingungen für die Übersetzer treten in der letzen Zeit immer fataler zu Tage. Tschechien hat eine langjährige Übersetzungskultur, die immer schon hervorragend war. Aber unter solchen Bedingungen wie heute, könnte sie zugrunde gehen. Es gibt immer weniger Leute, die diese Arbeit systematisch betreiben und ausüben.“
Was die Zukunftsaussichten in ihrem Beruf angeht, tut Linhartová besonders der Nachwuchs leid:„Die jungen Leute beginnen mit groβer Begeisterung, weil es wirklich eine schöne Arbeit ist, aber die Bedingungen schrecken sie einfach ab.“
Dabei sei das Übersetzen nicht nur ein schöner Beruf, sondern auch durchaus ein verantwortungsvoller. Denn es reicht nicht nur die Ausgangssprache sehr gut zu beherrschen:
„Sehr wichtig ist die hervorragende Kenntnis der eigenen Muttersprache. Es ist anerkannt, dass ein Übersetzer einen wichtigen Beitrag zu Sprachkultur leistet. Er kultiviert die Sprache ständig. Aber ich kann mir vorstellen, das die Sprache des Übersetzens unter den heutigen Bedingungen mehr und mehr ins Mittelmäβige abrutscht.“
Das Desinteresse an hochwertigen Übersetzungen ist ein grundsätzliches Problem, glaubt Linhartová. Es gehe einher mit einem Desinteresse am Bücherlesen allgemein.
„Das spürt man auf Schritt und Tritt. Ich würde sogar noch hinzufügen, dass das mit einem Desinteresse an der Kultur im Allgemeinen in der Tschechischen Republik zusammenhängt.“
Angesichts solcher Schwarzmalerei, weist Linhartová aber auch auf die schönen Seiten des Übersetzerberufs hin:
„Wenn man ein gutes Buch in die Hand bekommt, ist man immer froh, dass man sich mit so einem Werk befassen darf. Und das macht einfach Spaß.“
Nach dem Interview zeigt uns Frau Linhartová Fotos von Preisträgern, die für besonders gute Übersetzungen ausgezeichnet wurden. Wir erfahren, dass die Anzahl der Sprachen, aus denen ins Tschechische übersetzt wird, ungefähr 90 beträgt. Darunter sind auch recht exotische Sprachen, wie z.B. Sanskrit. Und wir erfahren, dass Übersetzer im Durchschnitt ein langes Leben haben, weil sie ihr Gehirn ständig fit halten. Gut zu wissen.
Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit dem Institut für Übersetzungswissenschaft an der Karlsuniversität Prag und dem "Deutschen Akademischen Austausch Dienst" (DAAD).