„Die ewige Sehnsucht des schaffenden Menschen“ - Wenzel Jaksch am 1. Mai 1937

Wenzel Jaksch (Foto: ČTK)

Am 1. Mai 1890 gehen erstmals auch in Prag die Arbeiter auf die Straße, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Aus Angst verbarrikadieren sich damals die Bürger in ihren Häusern. Ganz anders im Jahr 1937, aus dem unser heutiges Tondokument kommt: Da sind die Mai-Demonstrationen bereits etabliert. Der deutschböhmische Sozialdemokrat Wenzel Jaksch hält damals für die deutschen Sendungen des Tschechoslowakischen Rundfunks eine Ansprache.

Wenzel Jaksch  (Foto: ČTK)
In seiner Ansprache thematisiert Wenzel Jaksch vor 72 Jahren die Folgen der Weltwirtschaftskrise und die Angst vor faschistischer Kriegstreiberei. Den Einstieg gestaltet der damalige stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakei (DSAP) jedoch klassisch: mit allgemeinen Worten zur Arbeiterbewegung:

„Mächtige Gefühlsströme rauschen auf, wenn der Weckruf des Ersten Mai durch die Länder der freien Erde erklingt. Unlösbar ist der Sinn dieses Feiertages verbunden mit dem opferreichen und ruhmvollen Aufstiegsringen der werktätigen Menschen.“

Auis dem Aufstiegsringen der Werktätigen leitet Jaksch ihren politischen Vertretungsanspruch ab. In der Tschechoslowakei ist dieser damals erfüllt. Tschechische Sozialdemokraten und auch ein Mitglied der DSAP sitzen in der Regierung von Ministerpräsident Hodža. Allerdings ist die Lage angespannt. Weiterhin kämpft das Land mit den Folgen der Weltwirtschaftskrise, besonders die deutsch besiedelten Gebiete leiden unter hoher Arbeitslosigkeit. Jaksch warnt davor, dies einfach hinzunehmen:

„Aus ungelösten sozialen Spannungen entsteht der Wahnsinn der Selbstzerfleischung. Spanien, dessen gesegnete Fluren von der Furie des Bürgerkrieges gepeitscht werden, sollte allen denkenden und fühlenden Menschen, die dieses Schauspiel schaudernd miterleben, eine Warnung sein.“

Jaksch wendet sich hier wohl in zwei Richtungen – zum einen sind seine Worte ein Aufruf an den tschechischen Teil der Regierung, mehr zu Lösung der sozialen Probleme zu tun. Zum anderen ist es ein Appell an seine sudetendeutschen Landsleute. Diese hatten sich bereits 1935 großteils von den Sozialdemokraten abgewandt und mehrheitlich die Sudetendeutsche Partei von Konrad Henlein gewählt. Und Henlein nutzte die soziale Notlage der deutschen Bevölkerung zu immer aggressiverer Propaganda gegen den tschechoslowakischen Staat. Jaksch setzt dem seine Worte entgegen:

„Seht doch die verhärmten Gesichter derer, die ein halbes Jahrzehnt durch die Hölle der Krise gewandert sind! (…). Dieses Volk, das wirkliche Volk, lechzt nicht nach dem mörderischen Zusammenprall der Waffen. Es will nicht Zielscheibe der Fliegerbomben sein. Dieses Volk, das wahre Volk dürstet nach Menschlichkeit und sozialer Gerechtigkeit.“

Indem Jaksch den Begriff „Volk“ für die Arbeiterbewegung reklamiert, stellt er sich gegen die Sicht von Henlein und dessen völkisch orientierter Sudetendeutscher Partei. Und damit leitet der Sozialdemokrat zum lyrischen Schlusspunkt seiner Rede über:

„Kraftvoll regt sich wieder die ewige Sehnsucht des schaffenden Menschen nach einem menschenwürdigen, freien, durchsonnten Dasein ihres Schwingens. Und was unsere Arbeitersinger als Botschaft sandten in den Frühlingstag, werde zum Massenschwur der Freien, Aufrechten und Ungebeugten aller Völker: Der Erde Glück, der Sonne Pracht, dem ganzen Volks sei´s gegeben, das ist das Ziel, das wir erstreben.“

Es war ein Zitat aus dem „Sozialistenmarsch“, mit dem der sudetendeutsche Sozialdemokrat Wenzel Jaksch seine Ansprache zum 1. Mai 1937 beendete. Doch der Aufruf wirkte nicht. Im Oktober marschierte Hitler in die Sudetengebiete ein, begleitet vom Jubel vieler Deutscher. Für die Sozialdemokraten – und auch Jaksch – selbst begann die Zeit von Flucht, Verfolgung und Exil.

Autor: Till Janzer
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