Weltwirtschaftskrise der 30er: Die Tschechoslowakei traf es besonders hart

Vor fast genau 70 Jahren brach die Börse in New York zusammen. Am 24. Oktober 1929 begann damit die Weltwirtschaftskrise. Von der Krise besonders geschädigt wurde die damalige Tschechoslowakei. Warum war dies so? Was unternahm die damalige Regierung dagegen? Wie weit lässt sich die damalige Krise mit der heutigen Finanz- und Wirtschaftskrise vergleichen?

Die Weltwirtschaftskrise hielt die Tschechoslowakei die gesamten 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts im Griff. 1935 fasste der tschechoslowakische Innenminister Jan Černý für die deutschsprachigen Rundfunkhörer die Lage im Land so zusammen:

„Ein halbes Jahrzehnt härtester wirtschaftlicher Notzeit und bitterster Heimsuchung für die arbeitenden Schichten des Landes liegt hinter uns. Die Wirtschaftskrise, die an den Fundamenten der industriellen Produktion rüttelte und mit der schweren Krise der Landwirtschaft Hand in Hand ging, stellte die Regierung vor schicksalsschwere Aufgaben.“

Zu einem kleineren Teil war die Krise hausgemacht, aber eigentlicher Auslöser waren die Folgen des Börsensturzes an der Wall Street in New York. Der Schwarze Freitag an der Wall Street begann an einem Donnerstag. Am 24. Oktober 1929 kam es zum ersten Kursverfall des Dow-Jones-Index, es folgten weitere. Die Blase von Überproduktion und kreditfinanzierter Massenspekulation platzte. Europa wurde von der daraus folgenden Wirtschaftskrise erfasst, weil die europäischen Nationalwirtschaften nach dem Ende des Ersten Weltkriegs von amerikanischen Krediten abhängig geworden waren.

Im Frühjahr 1930 herrschte indes noch Eitel Sonnenschein auf dem tschechoslowakischen Arbeitsmarkt. Rekordbeschäftigungszahlen wurden gemeldet. Dabei schwante Regierungschef František Udržal bereits Mitte Dezember 1929 Böses:

„Auf die Regierung, an deren Spitze ich stehe, wartet die Lösung großer, vor allem wirtschaftlicher Probleme, die eng zusammenhängen mit der derzeitigen Weltwirtschaftslage, die erfüllt ist von Krisen…“

Welche weise Voraussicht. Der ganze Ernst der Lage wurde den meisten aber erst später bewusst. Zum Verhängnis wurde der Tschechoslowakei das, worauf sie eigentlich immer stolz gewesen war: ein industrielles Zentrum zu sein. Während der Habsburger Monarchie waren die Absatzmärkte gesichert, nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr. Der Wirtschaftshistoriker Vlastislav Lacina:

„Die Tschechoslowakei war zum einen ein Exportland und zum anderen ein kleiner Staat mit einem nur begrenzten eigenen Markt. Das waren die zwei wichtigsten Gründe, warum die Krise das Land so hart traf.“

Denn die Exportmärkte brachen weg. Auf tschechoslowakische Textilien, Glas und Porzellan konnte die Welt in Krisenzeiten am schnellsten verzichten. Besonders die tschechoslowakische Leichtindustrie wurde zutiefst erschüttert.

Die größten Einbrüche erlebte die Industrieproduktion des Landes im Frühjahr 1933, in anderen europäischen Ländern wurde da bereits die Talsohle durchschritten. Der Index der Industrieproduktion sank unter 60 Prozent des Niveaus vor der Krise. Fast eine Million Menschen wurden arbeitslos, das entsprach einem Schnitt von 17,5 Prozent. Selbst 1937 waren die Folgen noch zu spüren, wie der sudetendeutsche Sozialdemokrat Wenzel Jaksch mit Pathos in einer Rundfunk-Rede schilderte:

„Seht doch die verhärmten Gesichter derer, die ein halbes Jahrzehnt durch die Hölle der Krise gewandert sind. Seht doch die Bitternis der Alten, die von den gewohnten Arbeitsstätten verstoßen wurden, weil sie nicht mehr in der Vollkraft ihrer besten Jahre stehen.“

Das soziale Elend schuf auch ein politisches Problem: Antidemokratische Parteien erhielten massenweise Zulauf. In den Wahlen von 1935 wählten über 43 Prozent der tschechoslowakischen Bürger entweder rechts- oder linksradikal. Das größte politische Problem dabei war, dass die deutschen Siedlungsgebiete von der Krise besonders betroffen waren, hier befand sich das Zentrum der Leichtindustrie. Die Sudetendeutsche Partei von Konrad Henlein benutzte die Krise und warf der Regierung in Prag vor, die Sudetengebiete wissentlich aushungern zu wollen.

Die tschechoslowakische Regierung strampelte sich nach Kräften ab, um gegen die Krise anzukämpfen. Innenminister Černý zählte vor den Wahlen 1935 für die deutschen Wähler auf, was alles unternommen wurde – etwa im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit:

„Die Regierung hat in den Jahren 1930 bis 1935 insgesamt drei Milliarden Kronen für Arbeitslosenzwecke aufgewendet, ohne dass die Arbeitgeber – anders als in den übrigen industriellen Staaten – hierzu auch nur einen einzigen Heller beigesteuert hätten.“

Gerade in der Sozialpolitik scheiterte der Staat aber. Vor dem Ausbruch der Krise sei die tschechoslowakische Sozialgesetzgebung eine der modernsten in Europa gewesen, urteilt der Historiker Jakub Rákosník. In den 30er Jahren aber begann die Tschechoslowakei immer weiter hinterherzuhinken, so Rákosník vor kurzem in einem Fachaufsatz. Um die wirtschaftspolitischen Maßnahmen war es kaum besser bestellt, wie Wirtschaftshistoriker Lacina urteilt:

„Die Maßnahmen zeigten nur teilweise Wirkung. Vor allem gelang, das Finanzsystem am Laufen zu halten. Die Krone wurde abgewertet, was wieder die Tür zu den Weltmärkten etwas öffnete.“

Nur wenige Wirtschaftszweige entwickelten sich gut, dies waren die Schwerindustrie und - damit zusammenhängend - die Bauindustrie. Denn der tschechoslowakische Staat investierte in die Rüstung, um sich gegen Hitler-Deutschland schützen zu können. Aus Sicherheitsgründen wurde aber im Binnenland produziert, den krisengeschüttelten Sudetengebieten kam dies nicht zu gute.

Insgesamt entstand kein wirklich effektives Krisenprogramm. Zwar bestand von 1929 bis 1938 praktisch ein und dieselbe Koalition, doch sie war zusammengeschustert aus Parteien von Rechts und Links, die untereinander zerstritten waren. Vlastislav Lacina resümiert:

„Es gelang nicht, die Gesamtwirtschaftsleistung bis zur Zerschlagung des tschechoslowakischen Staates durch das Münchner Abkommen voll zu erneuern. Die Tschechoslowakei war eines der wenigen Länder in Europa, deren Industrieproduktion nicht das Niveau aus dem Vorkrisenjahr 1929 erreichte.“


Bereits im vergangenen Jahr wurde allerseits an die Weltwirtschaftskrise der 30er erinnert. Doch was haben die heutige Finanz- und Wirtschaftskrise und die damalige miteinander gemein? Wirtschaftshistoriker Lacina glaubt, Ähnlichkeiten bestehen nur darin, dass beide Krisen alle Wirtschaftszweige beeinträchtigt haben:

„Im Unterschied zu damals hat die derzeitige Krise im Finanzsystem begonnen. Die Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929 ist hingegen aus der Überproduktion heraus entstanden, das Bankenwesen wurde erst zwei Jahre später in Mitleidenschaft gezogen. Einen weiteren Hauptunterschied sehe ich darin, dass damals auch die Landwirtschaft in eine tiefe Krise rutschte, was derzeit bisher nicht der Fall ist“, so Lacina

Die Worte „derzeit“ und „bisher“ deuten es an: Heute wie damals ist der Blick in die Zukunft selbst für Fachleute, wie der gang über einen Wackelpudding.