Sturm in der Innenpolitik wirbelt auch im tschechischen Blätterwald

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Wie jeden Freitag versorgen wir Sie mit dem Neuesten aus der tschechischen Medienwelt. Unser Studiogast Katrin Materna hat in der zu Ende gehenden Woche vor allem die Berichterstattung der tschechischen Printmedien verfolgt.

Moderator: Hallo Katrin, Du hast in der letzten Woche die tschechischen Zeitungen gewälzt. Es ging ja hoch her in der tschechischen Innenpolitik diese Woche. Also: Thema Nummer eins im Blätterwald war sicher die Regierungskrise, oder Katrin?

K: Ja, Thema Nummer eins in dieser Woche war natürlich der Sturz des Ministerpräsidenten Mirek Topolánek am Dienstag.

Moderator: Kurz zur Erinnerung: Das tschechische Parlament hat der Regierung Topolaneks am Dienstagabend das Misstrauen ausgesprochen, und zwar mit einer äußerst knappen Mehrheit von 101 Stimmen. Genau diese Zahl war für den Sturz notwendig. Entscheidend waren die Stimmen von vier so genannten Überläufern aus den Reihen der Regierungskoalition. Eingebracht wurde das Misstrauensvotum von den Sozialdemokraten gemeinsam mit der Kommunistischen Partei. Als Grund hatten sie unter anderem die angeblichen „Mafiamethoden“ des Regierungsvorsitzenden genannt.

K: Ja, in diesem Fall kann man wohl sagen „aller guten Dinge sind fünf“, zumindest aus Sicht der Opposition, denn es war bereits das 5. Misstrauensvotum in zwei Jahren.

Viele Kommentatoren kritisiert die Opposition für ihr Timing. Der Regierung zur Zeit der EU-Ratspräsidentschaft das Misstrauen auszusprechen, dazu inmitten der Wirtschaftskrise halten viele für verantwortungslos.

Mirek Topolánek  (Foto: ČTK)
Der Chefredakteur der Mladá Fronta Dnes, Robert Čásenský hebt in seinem mit den Worten „Diktatur der Verantwortungslosen“ überschriebenem Kommentar folgenden Aspekt hervor:

„Die Regierung zu Fall zu bringen, in einer Zeit, da die Weltmärkte das Vertrauen in Mittel- und Osteuropa verlieren, zumal kurz nach dem Scheitern der Regierung Ungarns [...] an der Finanzkrise, ist sogar schlicht dumm."

Einige Medien spekulieren außerdem, dass der Chef der Sozialdemokraten selbst das Ergebnis seiner Kampfansage an Ministerpräsident Mirek Topolánek eigentlich gar nicht gewollt hat. Petr Kamberský vom Blatt Hospodářské noviny stellt dabei folgende These auf:

„Die Sozialdemokraten haben einen Gewinn ‚erlitten’, mit dem sie nicht wirklich gerechnet hatten, den sie sich nicht einmal wirklich gewünscht hatten und der ihnen eher zusätzliche Falten eingebracht hat als Freude.“

Paroubeks proklamierter Unwille, die Regierungsbildung zum jetzigen Zeitpunkt selbst zu übernehmen, lässt den Sturz der Regierung zum jetzigen Zeitpunkt als völlig sinnlos erscheinen, so die Kommentare.

Moderator: Doch nicht alle Zeitungen nehmen nur die Opposition und die vier Abtrünnigen in die Verantwortung, deren Stimmen maßgeblich waren für das Resultat des Misstrauensvotums, oder?

K: Nein, Peter Fischer, Kommentator der Zeitung Hospodářské noviny, kehrt sogar den Spieß um, indem er die Gegenfrage stellt:

Václav Klaus und Jiří Paroubek  (Foto: ČTK)
„War letztlich nicht vielmehr verantwortungslos, dass die Regierungskoalition, besonders Premier Topolánek, nicht in der Lage war, sich die Mehrheit im Parlament zu sichern und dass sie die Situation in den eigenen Reihen unterschätzt hat?“

Fischer zufolge sollte sich die Bevölkerung über die Ereignisse vom Dienstag freuen. Sie belegen, dass die demokratischen Prozesse in diesem Land funktionieren.

M: Die Frage, die jetzt brennt, ist jetzt, wie es weiter gehen soll. Wer soll die Republik künftig regieren?

K: Die Autoren sind sich im Grunde einig, dass so bald wie möglich vorgezogene Wahlen stattfinden müssen, um die Regierungskrise, die Tschechien zu der Finanz- und Wirtschaftskrise hinzubekommen hat, zu lösen. Treffend formuliert hat die Gründe hierfür Karel Steigerwald von der Mladá fronta Dnes:

„Was jetzt? Die Möglichkeit einer Expertenregierung ist illusorisch, jede Regierung in unserem Land ist eine politische. Trotz seines Rücktritts vorläufig weiter zu regieren ist für Topolánek ungünstig, er würde nichts durchsetzen und wäre auf Gedeih und Verderb Paroubeks Angriffen ausgeliefert. Und jede künftige Regierung ist auf die Stimmen der ODS angewiesen.“

Kritisch beäugt wird von vielen der Journalisten die gewichtige Rolle, die Václav Klaus für die Neubildung des Kabinetts spielt. Lukáš Macek bezeichnet sie wörtlich als „absoluten Irrsinn“. Er behauptet Klaus habe bereits nach den Parlamentswahlen 2006 gezeigt, dass er kein Problem damit hat, das Land über Wochen provisorisch regieren zu lassen. Die Theorie Topoláneks, hinter seinem Sturz stünde gerade Klaus, wird von vielen Kommentatoren unterstützt.

Václav Klaus mit Mirek Topolánek  (Foto: ČTK)
Moderator: Präsident Klaus hat inzwischen angekündigt, er werde denjenigen zum Ministerpräsidenten erklären, der ihm Unterschriften von mindestens 101 Abgeordneten vorlegt, die sich auf eine bestimmte Regierungskonstellation einigen. Die jetzige Situation will er so schnell wie möglich gelöst sehen, was bedeutet, dass Mirek Topolánek und seine Minister die EU-Ratspräsidentschaft möglicherweise nicht zu Ende bringen. Wie wahrscheinlich ist es, dass es jemandem gelingt, die 101 Abgeordneten tatsächlich bald zu vereinen.

K: Diese Forderung des Staatsoberhauptes hat nicht nur die Politiker erstaunt. Auch die Kommentatoren fragen sich, wie die 101 zusammen kommen sollen.

„101 Stimme hat hier niemand, hatte selbst nach den Wahlen niemand und wird auch bis zu den nächsten Wahlen niemand ergattern“, glaubt Karel Steigerwald. Es wird davon ausgegangen, dass Klaus eine große Koalition anstrebt.

Moderator: In welchen Bereichen werden Auswirkungen des möglichen Machtwechsels erwartet?

K: Außenpolitisch stehen vor allem die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags und der Bau des amerikanischen Radars auf dem Spiel. Der Senat, dem der Reformvertrag derzeit zur Abstimmung vorliegt, hat ihn gestern zunächst schlicht von der Tagesordnung gestrichen. Ondřej Neff schreibt in der Zeitung Lidové noviny, dass der Lissabon-Vertrag bestenfalls unter dem Tisch landen wird.

Moderator: Ich kann mir vorstellen, dass es aufgrund der politischen Lage nur wenig andere Themen gab, die erwähnenswert sind.

Flughafen Ruzyně
K: Nein, ganz so ist es nicht. Zum einen hat Premier Topolánek wegen seiner Kritik an den wirtschaftlichen Maßnahmen der USA, die er als "Weg in die Hölle" bezeichnet hatte, für Aufregung gesorgt. Kateřina Šafaříková von der Tageszeitung Lidové noviny, glaubt, dass damit der bisherige Erfolg Topoláneks auch auf europäischer Ebene dahin ist.

Am Dienstag war unter anderem in der Tageszeitung Hospodářské noviny zu lesen, dass am Vortag die Frist für diejenigen verstrichen ist, die die tschechische Airline ČSA kaufen wollen, sich für das Tenderverfahren anzumelden. Der Staat will 91,5 Prozent der Aktien verkaufen und erhofft sich dabei Einnahmen in Höhe von 4 bis 5 Milliarden Kronen. Der Mladá fronta Dnes zufolge ist die Zahl der Interessenten jedoch enttäuschend gering. Statt der eingangs angepeilten etwa 20 gehen letztlich nur vier Kandidaten ins Rennen: Das Konsortium Unimex und Travel Service, des Weiteren die Firma Odien, Air France-KLM und die russische Gesellschaft Darofan, die zu Aeroflot gehört. Entgegen der Erwartung einiger Politiker und des Aufsichtsratsvorsitzenden der Czech Airlines, Ivan Kočárník, ist auch kein Bewerber aus Asien dabei, der Touristen von dort ins Land holen sollte. Und jetzt komme ich doch wieder auf die politischen Ereignisse zurück, denn die Regierung Topoláneks hatte vor, auch den Prager Flughafen Ruzyně zu privatisieren. Die Sozialdemokraten unter Jiří Paroubek lehnen das entschieden ab. Auch hier herrscht folglich vorerst Unklarheit.

M: Unklarheit scheint also das Schlagwort der zu Ende gehenden Woche zu sein. Und das war es schon wieder vom Medienspiegel. Katrin Materna wird sie auch nächsten Freitag wieder darüber informieren, was die tschechischen Zeitungsseiten füllt.