Prag und Wien verbessern gemeinsam den Bürgerservice

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Wien und Prag haben viel gemeinsam. Nicht nur, dass gerade einmal 350 Kilometer die beiden europäischen Hauptstädte voneinander trennen. Jahrhunderte lang liefen in der Kaiserstadt Wien die Fäden der Macht zusammen; alle wesentlichen Entscheidungen über das, was in Böhmen, Mähren und Schlesien geschah, wurden dort getroffen. Mit der Industrialisierung kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert wuchs die alte Hauptstadt Wien zu einer Metropole mit über zwei Millionen Einwohnern an. Eine Zahl, die bis heute nicht mehr erreicht wurde. Viele der zugewanderten Arbeiten stammten aus den Kronländern auf dem Gebiet des heutigen Tschechien. Sie übten einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Sprache und die Kultur in Wien aus. Nach der Machtübernahme der Kommunisten im Jahr 1948 und der blutigen Niederschlagung des Prager Frühlings zwanzig Jahre später kamen erneut viele Tschechen nach Wien. Bis heute leben Zehntausende von ihnen in der österreichischen Bundeshauptstadt.

Den vielen Misstönen zwischen den beiden Nachbarländern entwickelten sich die Beziehungen zwischen Prag und Wien nach dem Fall des Eisernen Vorhanges im November 1989 sehr gut. Zunächst wurden alte wirtschaftliche Kontakte wieder belebt und zahlreiche neue geknüpft. Die politischen Beziehungen folgten. Heute arbeitet man auf vielen Ebenen zusammen. Besonders intensiv sind die Kontakte zwischen den beiden Stadtverwaltungen. Die Stadt Wien unterhält sogar ein eigenes Kontaktbüro in der tschechischen Hauptstadt. Jüngstes Beispiel der fruchtbaren Zusammenarbeit ist der Bereich des Bürgerservice. Vergangene Woche war eine Delegation des Bürgerdienstes der Stadt Wien in Prag zu Gast.

"Dein Problem? Mein Problem! Kein Problem!"

So lautet der Slogan der Magistratsabteilung 55. In einem Werbe-Video präsentieren ihn die leitenden Mitarbeiter dieser Abteilung der Wiener Stadtverwaltung. Hinter dieser typisch Wienerischen Bezeichnung verbirgt sich der Bürgerdienst der Stadt Wien. Zu seinen Aufgaben gehören unter anderem der Betrieb der Telefonzentrale der Stadtverwaltung, ein Call-Center für alle möglichen Anliegen und das Stadtinformationszentrum im Rathaus. Hinzu kommen ein gutes Dutzend Außenstellen in den einzelnen Stadtbezirken. Leiter der Abteilung ist Peter Kozel, Berufstitel Ingenieur, Amtstitel Senatsrat. Er veranschaulicht die Tätigkeit seiner Mitarbeiter anhand einiger Zahlen

„Nur damit man sich die Größenordnung ein bisschen vorstellen kann: Am Montag in der Zeit von 8 bis circa 14 Uhr erreichen uns 18.000 Anrufe, die vermittelt werden. In der Woche sind es circa 60.000 Anrufe. Insgesamt wurde der Bürgerdienst im letzten Jahr 3.116.000 Mal in Anspruch genommen und kontaktiert.“

Alleine für die Telefonvermittlung und das Call Center sind 70 Mitarbeiter an zwei Standorten zuständig. Zahlreiche weitere Beamte des Bürgerdienstes kümmern sich um die Alltagsprobleme der Wiener:

„Wir sind nicht nur dazu da, um zu warten, dass die Menschen zu uns kommen uns ihre Sorgen und Probleme erzählen beziehungsweise, dass wir ihnen Informationen geben, sondern wir schauen auch gezielt nach Missständen in der Stadt. In einer Stadt dieser Größenordnung – in Wien wohnen 1,8 Millionen Menschen – gibt es immer wieder Unzulänglichkeiten und Missstände. Die versuchen wir von uns aus gleich wahrzunehmen und zu beseitigen, um die Bezirke Wiens schön zu halten und das Stadtbild sauber erscheinen zu lassen. Ein paar Beispiele: Einkaufswagerl, umgeworfene Plakatständer. So sind wir für Rat und Tat zuständig bei Verunreinigungen, bei Schäden, bei Baustellenproblemen, bei sanitären Übelständen, bei allgemeinen Missständen und bei Anfragen an die Magistratsabteilungen und die Behörden der Stadt.“

Die Magistratsabteilung 55 der Stadt Wien bietet aber noch ein ganz besonderes Service: Den mobilen Bürgerdienst. Zehn Mitarbeiter sind mit drei mobilen Büros in den Wiener Bezirken unterwegs. Untergebracht ist das mobile Bürgerdienst-Büro in einem silbernen Anhänger, der aussieht wie ein größerer Wohnanhänger. Einen davon konnten die Prager vergangene Woche vor dem Neuen Rathaus in der Altstadt besichtigen. Andreas Eipeltauer vom Bürgerdienst erklärt die Einzelheiten des Fahrzeugs:

„Wir haben zwei Bildschirme, wo wir verschiedene Sendungen abspielen und den Bürgern Informationen anbieten können. Und das von jeder Quelle aus: DVD, Video, Computer. Wir sind teilweise autonom: Das heißt, wir haben einen Gasgenerator, wir haben Solarpaneele, die zwei große Lkw-Batterien speisen. Und wir können uns an das Stromnetz anschließen, wenn die Möglichkeit dazu besteht.“

Damit sind die Mitarbeiter des Bürgerdienstes immer dort im Einsatz, wo sie gerade gebraucht werden. Bei Veranstaltungen, bei Bauvorhaben aber auch in akuten Fällen wie etwa bei Bränden und anderen Unglücksfällen. Ein Team ist dazu rund um die Uhr einsatzbereit. Herr Eipeltauer berichtet von seinem letzten Einsatz:

„Das Letzte was wir hatten, war eine Gasexplosion in einem Wohnhaus, wo die restlichen Wohnungen nicht mehr bewohnbar waren, weil das Haus massiv einsturzgefährdet war. In diesem Fall waren wir dann mit dem Mobilbüro vor Ort. Wir wurden vom Krisenmanagement angefordert und waren praktisch die Schnittstelle zwischen eben Bewohnern, der Hausverwaltung, den verschiedenen Organisationen, dem Gaswerk und so weiter. Bei uns sind also alle Informationen zusammen gelaufen. Wir haben dann auch versucht, für die Betroffenen Ersatzunterkünfte zu besorgen. In erster Linie schauen wir, dass die Leute bei Verwandten und Bekannten unterkommen. Wenn das nicht möglich ist, stellt die Stadt Wien Unterkünfte in kleineren Hotels zur Verfügung.“

Auch der Direktor des Prager Stadtmagistrats, Martin Trnka hat das mobile Bürgerdienst-Büro interessiert besichtigt. Die Stadt Prag denkt über den Ankauf eines ähnlichen Fahrzeugs nach:

„Das ist sehr interessant, wie die Stadt Wien den Bürgerdienst organisiert. In Prag ist die Situation zwar ganz anders: Der Großteil der Kompetenzen liegt nämlich bei den einzelnen Stadtbezirken. Dennoch werden wir überlegen, ob der Ankauf eines solchen Mobils nicht sinnvoll wäre; für diejenigen Aufgaben, die der Magistrat erledigt.“

Vorreiter in Sachen Bürgerservice ist der Stadtbezirk Prag 6. Amtsleiterin Lenka Pokorná ist stolz auf die Angebote für die Bürger:

„Der Stadtbezirk Prag 6 baut gerade ein neues Rathaus. Wir wollen es Ende dieses Jahres eröffnen. Wir bauen Genau so wie in Wien ruht das Konzept auf vier Pfeilern: Ein Call Centrum, das wir als wahrscheinlich einziges Amt in Tschechien im Vorjahr eingerichtet haben. Weiters eine großzügige Schalterhalle und Informationsbüros in den einzelnen Stadtbezirken. Und außerdem ein mobiles Büro, das wir seit August des vergangenen Jahres im Einsatz haben.“

Untergebracht ist dieses mobile Rathaus in einem Kleinbus. Ausgestattet ist er mit modernster Kommunikationstechnik. Die Bürger können dort alle Dienstleistungen der Stadtverwaltung in Anspruch nehmen. Auch mit dem Online-Verwaltungsdienst „Czech Point“ der tschechischen Regierung ist man verbunden. So sind auch Auszüge aus dem Strafregister und dem Grundbuch in wenigen Minuten erledigt.

Eigentlich sei das mobile Rathaus aus einer Art Notlage heraus entstanden, berichtet Amtsleiterin Pokorná: Man musste die durch den Rathausumbau auf den ganzen Stadtbezirk verteilten Ämter ersetzten. Sie selbst habe ihr Büro zum Beispiel im Moment im feuchten Keller der städtischen Poliklinik. Mittlerweile werde das fahrende Rathaus aber so gut angenommen, dass man bereits an eine Ausweitung des Angebotes denke. Wie in Wien denkt man auch in Prag 6 an die kleinen Probleme des Alltags: Beschmierte Straßenbahnhaltestellen, abgelagerter Sperrmüll, entwendete Kanaldeckel, Schlaglöcher. Auch in diesem Punkt sind sich die beiden Hauptstädte sehr ähnlich. So ähnlich, dass man sogar einen gemeinsamen Begriff für derartige Missstände hat „Schlendrian“, eines der vielen Worte, die die tschechische Umgangssprache aus dem Deutschen entlehnt hat. In Prag 6 hat der Schlendrian keine Chance, erklärt Lenka Pokorná:

„Das System funktioniert so: Der Bürger geht durch die Straßen und sieht so einen Schlendrian. Er macht ein Foto mit seinem Handy und schickt es per MMS-Nachricht an uns. Dort nimmt sich sofort ein Mitarbeiter des Problems an und leitet es an die zuständige Abteilung weiter. Und ab dem Moment, wo die Nachricht bei uns eingeht, ist die Angelegenheit auch im Internet zu sehen. Die Bürger können die Erledigung online verfolgen.“

Die Kosten für die per Multimedia-Nachricht gesendeten Bilder übernimmt Prag 6. Senatsrat Peter Kozel aus Wien zeigte sich beeindruckt von diesem System. Er ließ sich von seiner Kollegin die Unterlagen dazu geben und meinte, das müsse man in Wien unbedingt nachmachen.