Krisenpatriotismus
Montag früh in einem Prager Fahrstuhl. Das Wochenende war einfach klasse, erzählt die junge Tschechin ihrem Begleiter. In den Bergen war sie. Toller Schnee, Sonnenschein, das ganze Drum und Dran. Nur eines hat sie gestört: dass so viele Ausländer da waren. Die sollten gefälligst zu Hause bleiben, schließlich hätten sie doch ihre eigenen Berge.
Kurz darauf wurde ich beim Durchblättern der Zeitungen jedoch wieder an mein Fahrstuhlerlebnis erinnert. Ein tschechischer Politiker meinte nämlich allen Ernstes, dass es in Zeiten der Wirtschaftskrise patriotische Bürgerpflicht sei, nur tschechische Waren zu kaufen. Schwierig, in Zeiten der Globalisierung. Ist der in Tschechien abgepackte Käse nun tschechischer Käse, wenn die Milch aus der Slowakei kommt, und der Hersteller die Tochterfirma eines niederländischen Unternehmens ist? Ist ein Škoda ein tschechisches Auto, oder doch eher ein Produkt des deutschen VW-Konzerns? Und was ist überhaupt mit mir? Bezieht sich die Mahnung des Politikers auch auf mich, wo ich doch gar keinen tschechischen Pass habe?
Aber nehmen wir an, wir haben diese Fragen gelöst, und alle kommen brav ihrer patriotischen Bürgerpflicht nach. Tschechen kaufen nur bei Tschechen, Deutsche nur bei Deutschen, Niederländer nur bei Niederländern. Die Exportwirtschaft kommt völlig zum Erliegen. Dasselbe gilt natürlich auch für den Tourismus, denn ab sofort fahren keine Tschechen mehr nach Österreich, und keine Deutschen mehr in die tschechischen Berge. Ein eher bizarrer Vorschlag zur Bewältigung der Krise, insbesondere im europäischen Binnenmarkt. Und weil es meist nicht so leicht ist, Politikern direkt zu antworten, fasse ich einen verspäteten Neujahrsvorsatz: Das nächste Mal mische ich mich wenigstens im Aufzug ein. Wir Europäer können nämlich Käse kaufen und Skilaufen und Fahrstuhl fahren, wo es uns passt. Ja, das können wir!