Špotáková: Mein Olympiasieg hat Welle der Emotionen in Tschechien ausgelöst

Olympiasiegerin Barbora Špotáková (Foto: ČTK)

Der tschechische Sport feiert seine Helden sowie ein rundes Jubiläum: Die Ehrung zum „Sportler des Jahres“ wurde am vergangenen Samstag zum 50. Male vorgenommen. Wie in den vergangenen beiden Jahren wurde auch diesmal eine Frau zur Königin des nationalen Sportvolks gekürt – die Speerwerferin Barbora Špotáková.

Barbora Špotáková - Sportlerin des Jahres  (Foto: ČTK)
Das Jahr 2008 war ein olympisches Jahr, das Jahr der Olympischen Sommerspiele in Peking. Bei diesen Spielen gewann die Tschechische Republik sechs Medaillen – drei goldene und drei silberne. Damit war klar, dass der „Sportler des Jahres“ in Tschechien nur aus dem Kreis der drei Olympiasieger kommen konnte. Die Wahl fiel auf Barbora Špotáková, die Olympiasiegerin im Speerwerfen der Damen.

„In der letzten Saison ist mir wirklich alles gelungen, was ich angepackt habe. Mehr war kaum drin. Die Sportlerwahl betrachte ich als einen Bonus nach der Saison. Man trainiert bereits für die neue Saison und auf einmal werden die besten Sportler des Vorjahres gekürt. Da erinnert man sich dann wieder, was einem im letzten Jahr so alles gelungen ist und was nicht“, sagte Špotáková.

Dank mehrerer Siege und Topweiten beherrschte die 27-jährige Leichtathletin aus Jablonec nad Nisou / Gablonz die gesamte Saison über die internationale Konkurrenz im Speerwerfen der Frauen. Von daher war die Weltmeisterin von 2007 auch die große Favoritin auf den Olympiasieg. Barbora Špotáková aber hatte dafür auch noch drei andere Konkurrentinnen auf der Rechnung: die Kubanerin Osleidys Menendez, die in Peking als Weltrekordlerin an den Start ging, sowie die beiden deutschen Speerwerferinnen Christina Obergföll und Steffi Nerius.

„Mit alle Dreien muss ich rechnen. Und ich muss alles daransetzen, dass ich meinen besten Wurf der Saison gerade dort machen werde“, äußerte Špotáková noch im Juni des Vorjahres. Die bei Dukla Prag unter Coach Rudolf Černý trainierende Speerwerferin wusste also genau, was auf sie zukommt. Um in Peking zu gewinnen, musste sie ihre bisherige Leistungsgrenze, die 70-Meter-Marke, durchbrechen und zu neuer Höchstform auflaufen. Das schien ihr mit dem ersten Wurf auch zu gelingen, als sie den Speer über 69 Meter schleuderte. Doch dann passierte das, was sie im Vorfeld der Spiele so beschrieben hatte:

„Es gibt immer wieder Überraschungen, erst recht bei den großen internationalen Meisterschaften. Bei der WM 2007 war es zum Beispiel eine Griechin, die mit einer persönlichen Bestleistung aufwartete. Und sicher wird auch in Peking jemand hervortreten.“

Barbora Špotáková  (Foto: ČTK)
Diese Überraschung war Maria Abakumowa. Die 22 Jahre alte Russin, die bis zur olympischen Konkurrenz in Peking kaum einer kannte, schockte die Konkurrenz gleich im ersten Durchgang mit der Weite von 69,32 Meter. Im vierten Durchgang steigerte sich Abakumowa sogar auf den neuen Europarekord von 70,78 Meter – eine Weite, die Barbora Špotáková zuvor nur im Training geschafft hatte. Um Gold zu gewinnen, musste sie also nun auch im Wettkampf einen Wurf über 70 Meter zeigen. Dazu blieb der 1,82 Meter großen Tschechin nur noch ein Versuch. Bei strömenden Regen nahm sie Anlauf und legte noch einmal alles in ihre letzte Chance. Was die internationale Sportwelt dann zu sehen bekam, kommentierten die begeisterten Kommentatoren des Tschechischen Fernsehens wie folgt:

Das tschechische „snad, snad“, zu deutsch soviel bedeutend wie „vielleicht“ oder „hoffentlich“, wurde schließlich zur goldenen Realität: Mit der neuen Europarekord-Weite von 71,42 Meter übertraf Špotaková tatsächlich die bis dahin führende Russin Abakumowa, die in ihrem letzten Versuch nicht mehr kontern konnte. Entsprechend ungläubig staunte Barbora Špotaková danach über den kurz zuvor abgefeuerten Speerwurf:

Barbora Špotáková  (Foto: ČTK)
„Ich habe eigentlich nicht mehr so recht daran geglaubt, denn ich hatte den Kontakt zu ihr schon etwas verloren. Und vor dem sechsten Durchgang zu wissen, dass man um Gold zu gewinnen über 70,5 Meter werfen muss, das ist einfach unglaublich. Ich denke daher, es ist wie ein Wunder, was da geschehen ist. Mit normalen Überlegungen nicht zu beschreiben. Ich weiß wirklich nicht, wie ich das geschafft habe, es ist einfach schön!“

Das Wunder, das Barbora Špotáková in Peking gelungen ist, wurde von den Sportjournalisten des Landes nun noch einmal honoriert. In der von ihnen seit 50 Jahren durchgeführten Wahl zum „Sportler des Jahres“ setzten sie die Olympiasiegerin und mittlerweile auch neue Weltrekordlerin im Speerwerfen der Damen mit 1778 Punkten auf Platz 1. Nach ihr belegten die Olympiasiegerin im Sportschießen Kateřina Emmons sowie der Tour de Ski- und Weltcupgewinner im Skilanglauf, Lukáš Bauer, die Ehrenplätze. Zur besten Mannschaft des Jahres wurden die Fußballer von Slavia Prag gekürt.

Barbora Špotáková ist nach einhelliger Meinung zu Recht zur besten tschechischen Sportlerin des Jahres 2008 gewählt worden. Es waren nämlich nicht nur der Olympiasieg und der im September beim Weltcup-Finale in Stuttgart erzielte Weltrekord alleine, die sie hierzulande überaus populär gemacht haben. Vor allem durch die Art und Weise, wie sie ihren Olympiasieg erkämpfte, hat sie unzählige Sympathien gewonnen.

„Wenn man Olympiasieger wird, ist man innerlich aufgewühlt vor lauter Freude. Die Freude wird jedoch umso größer, wenn man wie ich später Leuten begegnet, die einem immer wieder sagen, wie emotional nahe ihnen mein Sieg während der Fernsehübertragung gegangen ist. Weil der olympische Wettkampf so irrsinnig spannend war, hat mein Sieg danach eine Welle der Emotionen in Tschechien ausgelöst, wie ich sie noch nicht kannte. Und das ist vielleicht noch höher einzustufen als der Gewinn der Goldmedaille – ein sportliches Erlebnis, das die Menschen in ganz Tschechien emotional bewegt hat. Ein Erlebnis, von dem ich zuvor nicht einmal ahnte, dass ich es auslösen könnte.“

Olympiasiegerin Barbora Špotáková  (Foto: ČTK)
Und noch ein Gesichtspunkt hat ihren Erfolg in Peking in den Augen der tschechischen Öffentlichkeit aufgewertet: Sie hat ihn am 21. August 2008 errungen, am 40. Jahrestag der Okkupation der ehemaligen Tschechoslowakei durch die Sowjetarmee. Dass dabei eine junge Russin, die sie mit dem letzten Wurf geschlagen hat, ihre ernsthafteste Gegnerin war, gab dem Ausgang des Wettkampfes noch eine besondere Note. Das war die Story, die Špotákovás Olympiasieg vermutlich in Tschechien für immer unvergessen macht. Barbora Špotáková betrachtet das Ganze jedoch mehr aus dem sportlichen Blickwinkel:

„Wir schauen doch alle fern, um ein Ereignis zu sehen. Da dieses Ereignis noch dazu mit einer interessanten Geschichte verknüpft war, ist die Popularität meines Sieges noch gestiegen. Für dieses Glück kann ich nur dankbar sein. Noch bevor der Wettkampf begonnen hatte, war mir klar geworden, dass er genau am 40. Jahrestag der Okkupation der Tschechoslowakei stattfindet. Nicht ahnen aber konnte ich, dass es gerade eine vorher unbekannte Russin sein wird, die mich im Kampf um den Olympiasieg herausfordert. Das hat mir in meiner Motivation sehr geholfen. Das kann man vielleicht mit Kateřina Neumannovás Olympiasieg im Skilanglauf vergleichen. Als es auf die Zielgeraden ging, hatte sie noch einen großen Rückstand auf die führende Russin, und auf einmal lief sie neben ihr. Das eben ist es, was den Sport so einzigartig macht und weshalb er gern von vielen Leuten verfolgt wird – wegen der überraschenden Wendungen in den letzten Minuten, wegen der Tore in der 92. Minute und dergleichen.“

Autor: Lothar Martin
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