Hitziger Gasstreit bei klirrender Kälte: Tschechischer EU-Vorsitz startet rasant
Am Mittwoch vergangener Woche kam hoher Besuch. Gleich die gesamte Europäische Kommission war in Prag zu Gast. Hintergrund: Tschechien hatte Anfang des Jahres den Vorsitz im Rat der Europäischen Union übernommen und lenkt nun für sechs Monate die Geschicke der EU. Der Besuch der Kommission am Beginn jeder Ratspräsidentschaft gehört zum Routineprogramm. Doch darüber hinaus gab es diesmal akuten Gesprächsbedarf: Die Prager Pressekonferenz von Premier Topolánek und Kommissionspräsident Barroso stand fast ausschließlich im Zeichen der Gaskrise. Sogar der Konflikt im Nahen Osten spielte da nur eine untergeordnete Rolle.
Das Thema Gas sollte Topolánek in den Tagen darauf dann um einiges intensiver beschäftigen als der Konflikt im Gazastreifen. Der Streit zwischen Russland und der Ukraine um die Gaslieferungen nach Zentral- und Westeuropa zeigte rasch unmittelbare Auswirkungen auf Bürger und Wirtschaft mehrer EU-Mitgliedstaaten. Russland hatte die Ukraine beschuldigt, illegal Gas abzuzweigen, das eigentlich weiter nach Westen strömen sollte, und den Hahn deshalb ganz zugedreht. Die Ukraine wiederum hat die Vorwürfe aus Moskau stets zurückgewiesen. Ein Streit, bei dem letztlich die Glaubwürdigkeit beider Parteien auf dem Spiel steht, meinte José Manuel Barroso auf der Pressekonferenz in Prag:
„Für einen Bulgaren, einen Slowaken oder sonst irgendjemanden von uns ist es egal, ob das Problem aus Russland oder aus der Ukraine kommt. Das Problem besteht darin, dass das Gas von Gazprom bei den europäischen Konsumenten nicht ankommt. Diese Angelegenheit muss geklärt werden, damit wir Russland als Gaslieferant und der Ukraine als Transitland auch weiterhin vertrauen können. Für Russland sind wir bei weitem die wichtigsten Gasabnehmer. Und die Ukraine sollte keine Probleme bei den Gasliefrungen in die EU verursachen, wenn sie sich selbst der EU annähern will.“
In dieselbe Kerbe schlug auch EU-Ratspräsident Mirek Topolánek:
„Beide Länder, Russland und die Ukraine, wollen in diesem Streit etwas gewinnen. Aber sie könnten dabei auch etwas verlieren. Russland kann seine Glaubwürdigkeit als verlässlicher Lieferant einbüßen und verliert durch den Lieferausfall jeden Tag viel Geld. Die Ukraine wiederum könnte ihre Position als Transitland verlieren, denn es beschleunigen sich nun die Diskussionen rund um den Ausbau von alternativen Pipelines, die quasi als Bypass für Mitteleuropa dienen können.“Mit konkreten Konsequenzen für Moskau und Kiew wollte Topolánek nicht drohen. Der Verhandlungsspielraum sei noch lange nicht ausgeschöpft, sagte der tschechische Regierungschef am Mittwoch, noch vor Beginn seiner jüngsten Vermittlungsreise. Doch egal, wie die Verhandlungen ausgehen würden: die europäische Energiepolitik müsse in jedem Fall ihre Abhängigkeit von Öl und Gas verringern und für eine Verbindung der Energienetze untereinander sorgen. Interkonnektivität heißt das neue Zauberwort, also der Ausbau von Energietransportkapazitäten innerhalb der Europäischen Union. Kommissionspräsident José Manuel Barroso:
„Ich glaube, eine Lektion, die wir in dieser Situation gelernt haben ist: Wir müssen unbedingt konkrete und effektive Mechanismen einführen, um Interkonnektivität zu schaffen. Nur so können wir im Bedarfsfall untereinander solidarisch sein.“
Auch Topolánek wünscht sich intensivere Diskussion über eine gemeinsame europäische Energiepolitik. In seiner Partei, der Demokratischen Bürgerpartei (ODS), ist das keine Selbstverständlichkeit. Dort wird gerne mal die Nase gerümpft, wenn es um gemeinsame Politikbereiche geht, das Schlagwort der nationalen Souveränität steht bei vielen ODS-Politikern eindeutig höher im Kurs. Doch in Krisenzeiten, da rückt man dann doch enger zusammen. Und gerade im Zusammenhang mit dem Gasstreit habe sein Team die Zeichen der Zeit schon vorher erkannt, meint Topolánek:„Die ungenügende Vernetzung ist wirklich ein wunder Punkt – nicht nur beim Gas, sondern auch bei elektrischer Energie. Dass die Interkonnektivität und der Energie-Binnenmarkt zu den wichtigsten Prioritäten des tschechischen EU-Vorsitzes zählen, das zeigt, dass wir die Situation richtig eingeschätzt haben. Die europäischen Energieminister werden also noch intensiv über dieses Problem beraten.“
Aus den Reihen der sozialdemokratischen Opposition in Tschechien gibt es für so viel Eigenlob vor allem Häme. Die Regierung habe die politische Dimension des Gasstreits nicht schnell genug erkannt und viel zu spät gehandelt. Ein Vorwurf, den Topolánek am Sonntag im Tschechischen Fernsehen vehement zurückwies. Doch abseits von den innenpolitischen Scharmützeln in Tschechien ist für Beobachter in ganz Europa klar: Die momentane Gaskrise ist nicht die erste ihrer Art, sondern lediglich die bisher schlimmste. Und sie hat mit der Weltfinanzkrise zu tun, die längst auch die Ukraine und Russland erreicht hat. Der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, wünscht sich dennoch mehr Optimismus, auch für die Zeit der tschechischen Präsidentschaft:
„Wir wissen, dass die Prognosen sehr pessimistisch sind. Jeder will pessimistischer sein als der andere. Aber wir können auch dazu beitragen, die Situation zu ändern. 2009 wird unter anderem das sein, was wir daraus machen. Wir werden Gemeinschaftsgeist benötigen, das Engagement Tschechiens und die Kreativität der Kommission. Dann werden wir in der Lage sein, die Ziele zu erreichen, die wir uns für die kommenden sechs Monate gesetzt haben.“Konjunkturbelebende Maßnahmen sollten nicht nur von den einzelnen Mitgliedstaaten finanziert werden, sondern auch aus Mitteln des EU-Gemeinschaftsbudgets, meint Barroso:
„Der Vorschlag der Kommission, fünf Milliarden Euro aus den vorhandenen Fonds für strategisch wichtige Initiativen zu verwenden, sollte also umgesetzt werden. Und die Europäische Union sollte eine gemeinsame Position für das G20-Treffen in London am 2. April vorbereiten. Es ist sehr wichtig, dass die EU an einem Strang zieht und die Reform des Finanzsystems entschlossen vorantreibt – als globale Antwort auf die globale Krise.“
Und was meint EU-Ratspräsident Topolánek zum stürmischen Beginn des tschechischen Vorsitzes?
„Wir haben die tschechische Präsidentschaft gleich in der ersten Woche des neuen Jahres sehr aktiv eingeläutet. Vielleicht wurden wir zu dieser Aktivität auch ein bisschen gezwungen. Aber ich bin froh darüber, und ich hoffe, dass wir die Situation gemeinsam mit der Kommission gut bewältigen werden.“
Dass Tschechiens Präsidentschaft eine ruhige sein würde, hatte angesichts der Finanzkrise, des unsicheren Schicksals des Lissabonner Vertrags und der im Juni bevorstehenden Europawahlen ohnehin niemand erwartet.