„Soll ich es Ihnen buchstabieren, Herr Kollege?“ – Rundfunkgeschichte 1936
Oft dauert es nur wenige Minuten. Wenn irgendwo auf der Welt etwas passiert, können wir uns über das Ereignis kurze Zeit später auf Webseiten, im Fernsehen oder im Radio informieren. Nachrichtenagenturen verbreiten in Windeseile Meldungen über das Internet, die dann in den Zeitungen gedruckt werden. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Übermittlung von Nachrichten freilich etwas schwieriger. Damit die Verbreitung der Meldungen möglichst schnell ging, wurden sie per Telefon weitergegeben. Hören Sie nun eine solche Telefonübertragung von 1936 aus unserem Tonarchiv.
„Hallo?!“– „Ja, hier Reichenberg.“– „Grüß Gott, hier ist das Pressebüro in Prag. Habe die Ehre Herr Kollege!“– „Reichenberger Zeitung. Lieber Herr Kollege!“– „Also bitteschön Herr Kollege, ich hab da einige Nachrichten für Sie, ja?“ – „Bitteschön.“– „Also bitteschön – aus Prag.“
Im vergangenen Jahr feierte die tschechische Nachrichtenagentur ČTK ihren 90. Geburtstag. Wie überall, kommt heutzutage auch in der ČTK modernste Technik zum Einsatz. Wenn irgendwo auf der Welt etwas passiert, wird eine Meldung über das Ereignis vom lokalen Pressebüro sofort über das Internet an die Zentrale nach Prag geschickt. Als es noch keine Computer gab geschah dies meist per Telefon. Diese Art der Nachrichtenübertragung war nicht immer ganz einfach, wie aus dem Gespräch eines Prager ČTK-Mitarbeiters mit seinem Kollegen in Reichenberg hervorgeht:
„Dann hab ich hier aus Brüssel… Hans Seeland – kennen Sie?“– „Ja“– „Soll ich buchstabieren?“– „Nein, nein, geben Sie nur, Herr Kollege! Ich kenne ihn.“– „Also bitte Herr Doktor: erklärte den Journalisten heute Vormittag, dass er die Aufgabe der Kabinettsbildung, mit der der König ihn gestern beauftragt hat, übernommen habe.“
Nachdem der Mitarbeiter des Prager ČTK-Büros seine Nachrichten nach Reichenberg übermittelt hat, ruft er bei seinem Kollegen in Berlin an. Dieser berichtet sogleich von einer Reiseverkehrsmesse, die in der deutschen Hauptstadt stattfand. Die Namen der ausländischen Reisebüros machten unserem Prager ČTK-Mann allerdings ziemlich zu schaffen:
„Unter anderen werden die großen Büros anwesend sein: Čedok aus der Tschechoslowakei, CIT aus Italien – können Sie das, oder soll ich es buchstabieren?“ – „Buchstabieren bitte!“ – „C wie Cäsar, I wie Ida, T wie Therese. Ferner Ibusz Ungarn, ich buchstabiere ebenfalls: Ida, Bernhard, Ulrich, Siegfried, Zeppelin.“
Nach dem Wirtschaftsthema und nachdem er alle Reisebüros durchbuchstabiert hat, kann der Berliner Korrespondent noch mit einer ganz neuen Story aufwarten:
„Ich habe noch eine Meldung über einen Hochverratsprozess, von dem Sie noch nichts wissen werden, der hier im Saargebiet stattfindet.“ – „Ja, ja, ja… interessant! Also bitte!“ – „Vor dem in Frankfurt tagenden Senat des Volksgerichtshofes begann heute eine Verhandlung gegen…“
Ein weiterer längerer Bericht über den Prozessauftakt im Saargebiet folgt. Unser Mann aus Prag ist vom schnellen Mitschreiben schon ziemlich erschöpft. Sein Berliner Kollege ist aber noch lange nicht am Ende und würde gerne noch eine Geschichte loswerden. Dies weiß der Prager ČTK-Mitarbeiter dann jedoch freundlich aber bestimmt zu verhindern:
„Ist das alles?“– „Also ich hätte noch eine Familienkatastrophe…“– „Naja, das geben Sie mir dann abends!“– „Ja, gut.“– „Also auf Wiederhören! Grüß Gott!“