„Wir haben euch gelehrt, dass Hass hässlich ist“ - der Kulturvermittler Paul Eisner
Im Juli war es 50 Jahre her, dass der Prager Kulturpublizist und Übersetzer Paul Eisner gestorben ist. Im Januar werden 120 Jahre seit seiner Geburt vergangen sein. Anlass genug, sich auf die Spuren des Vermittlers zwischen den Kulturen in der Tschechoslowakei zu begeben.
„Ich finde, Pavel Eisner hat schon vor sechzig Jahren sehr gut gespürt, was Tschechischlernenden Schwierigkeiten macht. Ich bin der Ansicht, dass sein Werk heute nach wie vor aktuell ist und würde eine Neuauflage seines Buches „Lebendes Tschechisch“ aus dem Jahr 1938 für angebracht halten. Als eines von wenigen bohemistischen Werken Eisners ist es in den neunziger Jahren nicht neu herausgebracht worden“, erklärt Dagmar Žídková von der Universität Salzburg.
Dagmar Žídková unterrichtet in der Mozart-Stadt Tschechisch und flicht dabei zur Auflockerung ab und zu eine von Pavel Eisners populärwissenschaftlichen Betrachtungen über das Tschechische ein. „Inspirierend“ findet Eisners linguistische Abhandlungen auch František Černý, Vorsitzender des Prager Literaturhauses, der als Gast an dem Symposium teilnahm:
„Als Inspiration für den Umgang mit unser Muttersprache, für den schöpferischen Umgang mit dem Tschechischen ist Eisner meiner Ansicht nach unübertroffen.“Geboren wurde Paul Eisner am 16. Januar 1889 in Prag. Er entstammte einem gutbürgerlichen Elternhaus mit jüdischen Wurzeln. Aufgewachsen ist Eisner zweisprachig. Er besuchte eine tschechische Realschule und studierte an der Prager deutschen Universität Germanistik, Slawistik und Romanistik. Bis 1939 war Eisner danach in der Tschechischen Handels- und Gewerbekammer beschäftigt. Nach dem Einmarsch der Nazis in Tschechien verlor er wegen seiner jüdischen Herkunft die Stelle in der Übersetzungsabteilung.
Zunächst trat Eisner als literarischer Übersetzer hervor. Er übertrug tschechische Lyrik und Prosa ins Deutsche und umgekehrt deutsche Literatur ins Tschechische. Der schöpferische Umgang mit Sprache, der Eisners schwärmerischen, figuralen und manchmal exaltierten persönlichen Sprachstil geprägt hat, fand auch in den Übersetzungen seinen Niederschlag.
„Er ging mit der Sprache auf so schöpferische Weise um, dass er es manchmal auch übertrieb. Wenn Sie zum Beispiel heute Eisners Übertragung von Kafkas ‚Das Schloss’ zur Hand nehmen – es war die erste Übersetzung –, dann sehen Sie, dass Eisner Kafka recht frei übersetzt hat. Kafka wird man jedoch nur durch eine getreue Übersetzung gerecht“, findet František Černý.
Auch für den Tschechischen Rundfunk arbeitete Eisner. Er gestaltete dort die Sendereihe „Lebendes Tschechisch“. Eisner stellte sein Wirken als Kulturpublizist und Übersetzer in den Dienst ausgeprägter bildungs- und kulturpolitischer Vorstellungen, die er in zahlreichen Beiträgen für die Presse formulierte und unermüdlich vertrat. Die meisten der mehrere Hundert Feuilletons, Glossen und Kommentare aus Eisners Feder erschienen auf Deutsch in der „Prager Presse“. Einige wenige Texte veröffentlichte Eisner auf Tschechisch in der Tageszeitung „Lidové noviny“ (Volkszeitung).Eisners Kultur vermittelnde Tätigkeit folgt einem zweifachen Impetus: der ethischen Maxime des friedlichen Zusammenlebens der Menschen auf der Grundlage religiöser und ethnischer Toleranz sowie der realpolitischen Notwendigkeit des Dialogs zwischen den Kulturen der Tschechoslowakei. Auf dem Hintergrund seiner multiplen kulturellen Identität vertrat Eisner einen böhmischen Landespatriotismus. Nach 1918 setzte sich dieser Patriotismus in Eisners Loyalität gegenüber dem tschechoslowakischen Staat fort. Aus den Werken der deutschen Landsleute unter den Schriftstellern, die ein- und denselben Lebensraum mit den Tschechen teilten, spreche die „gemeinsame Heimat“, schreibt Eisner 1930 im Vorwort zu einem deutschen Lesebuch und führt weiter aus:
„Oft ergänzt ihre Aussage von der heimatlichen Scholle, den Menschen und der Seele des Landes geradezu gesetzmäßig und schicksalhaft die Aussagen und Gestaltungen tschechischer Dichter.“
Die Koexistenz innerhalb der böhmischen Landesgrenzen, so Eisner, habe eine Symbiose bewirkt, eine gegenseitige Bereicherung und Durchdringung der tschechischen und deutschen Kultur. Eisner findet in der einheimischen deutschen und tschechischen Literatur zahlreiche Beispiele, die diese Symbiose seiner Ansicht nach dokumentierten. Er war davon überzeugt, dass die Pflege der Symbiose unabdingbar sei, damit der tschechoslowakische Staat, von dem erst das äußere Mauerwerk aufgerichtet sei, mit Leben gefüllt werde.
Mit der Ernnennung Hitlers zum Reichskanzler 1933 und den wachsenden politischen Erfolgen der Sudetendeutschen Partei Konrad Henleins zeichnete sich ab, dass Eisners Modell der Symbiose zum Scheitern verurteilt sein würde. Peter Becher, der Geschäftsführer des Adalbert-Stifter-Vereins in München:
„Eisner hat dem Konzept der Zugehörigkeit durch die Verwendung der Sprache ein anderes Konzept entgegengestellt, nämlich das Konzept einer lokal gebundenen Kulturgemeinschaft, also einer Kulturgemeinschaft, die einfach die Zugehörigkeit zu dieser Kultur höher bewertet als die sprachlichen Differenzen. Und ich denke, in dem Sinn kann man das Engagement von Eisner eben als ein lebenslanges Engagement für diese Idee bezeichnen, eine Idee, die dann letztlich durch die Polarisierung der politischen Entwicklung immer schwieriger geworden ist. Sie scheiterte dann spätestens mit dem Münchner Abkommen, dem Einmarsch der deutschen Truppen in Prag und schließlich der Vertreibung der Deutschen aus Prag.“
Die Vorstellung von der Verwobenheit der Kulturen hat Eisner nie aufgegeben. Anderseits entwickelte er mit Blick auf die Prager Juden das Modell vom dreifachen Ghetto.
„Bei Paul Eisner gibt es einen interessanten Gegensatz zwischen zwei Modellen. Zum einen hat er dieses sehr versöhnliche Modell der Symbiose, einer gemeinsamen Koexistenz, zum anderen spricht er aber auch in Bezug auf Kafka immer von einem dreifachen Ghetto. Die deutsch-jüdischen Autoren seien isoliert gewesen durch Sprache, durch ihr religiöses oder ethnisches Bekenntnis und durch ihren sozialen Status“, erklärt Georg Escher von der Universität Basel.
Am 25. September 1938, also vier Tage vor dem Münchner Abkommen, veröffentlichte Eisner ein Feuilleton mit dem Titel „Den Kindern“:
„Wir haben euch gelehrt, das Hass hässlich ist, dass der Mensch Bruder und Schwester sein soll dem Menschen, allen Menschen, dass alles Leben heilig ist“, heißt es darin.
Während der Kriegsjahre hielt sich Eisner in der Wohnung seiner nichtjüdischen Frau versteckt. Er blieb von der Deportation verschont. Die zahlreichen Übersetzungen aus den romanischen Literaturen und dem Englischen, die er während der Kriegsjahre schuf, veröffentlichte Eisner unter Pseudonymen oder schrieb sie für die Schublade. Auch nach dem Krieg fuhr Eisner fort zu übersetzen, bis zu seinem Tod 1958. Heute wird seine Stimme wieder gehört. Schon 1930 hatte der Europäer Eisner mit Blick auf die Kultur vermittelnde Rolle der Literatur geschrieben:
„Das Europa von heute und jenes werdende von morgen brauchen Dokumente.“