Arbeitsmarkt: EU-Kommissar Špidla im Interview

Foto: Europäische Kommission

Das Thema sorgt seit geraumer Zeit für Verstimmung zwischen Tschechien und seinen beiden Nachbarländern Deutschland und Österreich: Die Rede ist von den Zugangsbeschränkungen auf dem Arbeitsmarkt, die diese beiden Länder weiterhin aufrecht halten. Vergangene Woche hat die Europäische Kommission eine Studie über die Situation auf dem europäischen Arbeitsmarkt veröffentlicht. Das Ergebnis bestätigt den Tschechischen Standpunkt. Radio Prag hat sich um Stellungnahmen zu diesem heiklen Thema bemüht:

„Seit 2000 haben die Einwanderer einen wichtigen Beitrag zum EU-weiten Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum geleistet, indem sie Arbeitskräfte- und Qualifikationslücken füllten und die Arbeitsmarktflexibilität erhöhten.“ Dies ist eine der Kernaussagen des 20. Berichts über die Beschäftigung in Europa, den die Europäische Kommission am Dienstag vergangener Woche veröffentlicht hat. Und weiter heißt es in dem Papier: „Die seit der Erweiterung 2004 gesammelten Wirtschaftsdaten lassen darauf schließen, dass sich die jüngste EU-Mobilität generell positiv auf die Wirtschaft ausgewirkt und keine größeren Arbeitsmarktstörungen hervor gerufen hat.“

Tschechien hat gemeinsam mit den meisten anderen 2004 beziehungsweise 2007 der EU beigetretenen Staaten die von einigen Ländern verhängten Zugangsbeschränkungen für Arbeitskräfte aus den neuen EU-Mitgliedsländern stets kritisiert und wiederholt deren rasche Abschaffung gefordert. Durch das Ergebnis der jüngsten Arbeitsmarktstudie sieht man sich bestätigt.

„Dieser Report der Europäischen Kommission wurde auf der Grundlage einer Initiative der Tschechischen Republik und weiterer sieben ost- und mitteleuropäischer Staaten ausgearbeitet. Wir wollen weiterhin gemeinsam vorgehen und dazu die tschechische EU-Ratspräsidentschaft nützen,“ so der tschechische Arbeits- und Sozialminister Petr Nečas unmittelbar nach der Präsentation der Studie im Tschechischen Fernsehen.


Vladimír Špidla | Foto: Freddy Valverde,  Radio Prague International
In der Europäischen Kommission zuständig für die Bereiche Arbeit und Soziales ist Vladimír Špidla. Wir haben den tschechischen EU-Kommissar vergangene Woche in Brüssel erreicht und mit ihm über den Arbeitsmarkt-Report gesprochen:

Herr Kommissar, die Europäische Kommission hat vergangene Woche einen Report über den Arbeitsmarkt veröffentlicht. Wer hat diese Studie in Auftrag gegeben?

„Also, das waren acht Mitgliedsstaaten, welche diese Studie verlangt haben. Aber man muss ein wenig unterscheiden. Zwei Jahre nach dem Beitritt von Rumänien und Bulgarien hat die Kommission die Verpflichtung, einen Report vorzubereiten. Das steht so im Vertrag. Gleichzeitig ist das Ende der zweiten Phase des Transitionsprozesses nach der Erweiterung von 2004. Für diese zweite Periode braucht man keinen Bericht. Aber, wenn einige Mitgliesstaaten dies verlagen, dann müssen wir einen Bericht machen. Es handelt sich also um zwei Berichte in einem. Als ob man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen würde, könnte man sagen.“

Diese Stude befasst sich vor allem mit der Freizügigkeit der Arbeitskräfte. Einige Mitgliedsstaaten haben im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung 2004 und 2007 Befürchtungen geäußert, sie könnten durch Arbeitskräfte aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten regelrecht überschwemmt werden. Hat sich dieses Szenario erfüllt? Was ist das Ergebnis dieser Untersuchung?

Foto: Europäische Kommission
„Na, sicher gar nicht. Sicher gar nicht. Es gab keine Welle von Arbeitskräften. Natürlich sind Leute in andere Länder gegangen, um zu arbeiten. Keine Frage. Aber das waren weniger als zwei Prozent. Es gibt nur eine einzige Ausnahme: Das ist Irland. Dort gibt es ungefähr 5,8 Prozent. Alle anderen Länder stehen unter 2 Prozent. Es ist wirklich zu keinen Problemen gekommen. Es gab keine Katastrophe auf dem Arbeitsmarkt, das Schreckensszenario hat sich nicht erfüllt.“

Einige Staaten, konkret Belgien, Dänemark, Österreich und Deutschland haben ihre Arbeitsmärkte bisher noch nicht vollständig geöffnet. Wird die Europäische Kommission nun auf den Abbau dieser Beschränkungen drängen?

„Ich muss ganz klar sagen, dass unsere Studie klar gezeigt hat, dass diese Welle nicht gekommen ist. Es war zum Vorteil jener Länder, die ihren Arbeitsmarkt geöffnet haben. Klar ist auch, dass die Übergangsfristen nicht effizient sind. Es gibt fast keinen Unterschied unter den Ländern, welche irgendeine Übergangsfrist in Anspruch nehmen und solchen, die das nicht tun. Natürlich ist mir die Freizügigkeit lieber. Das bedeutet Freiheit. Und Freiheit ist der Wert der Europäischen Union. Wenn Sie diese Werte beschränken wollen, und manchmal ist das sicher notwendig, dann brauchen sie dazu wirklich gute Gründe. Daher ist die Europäische Komission ist bestrebt, diese Übergangsfristen so rasch wie möglich zu annullieren.“

Foto: Europäische Kommission
Gerade Deutschland und Österreich wollen eben diese Übergangsregelungen, die Sie angesprochen haben, noch einmal verlängern und zumindest für gering qualifizierte Beschäftigte noch bis 2011 aufrecht erhalten. Wird EU-Kommission dem zustimmen? Oder lehnen Sie dies ab?

„Nun, die Europäische Kommission muss natürlich nach dem Vertrag handeln. Und im Vertrag steht, dass es möglich ist, wenn es zu schwerwiegenden Problemen auf dem Arbeitsmarkt kommt. Die Mitgliedstaaten müssen dazu die Informationen und Beweise liefern. Also ich muss abwarten, was kommt.“

Wie lange haben diese Mitgliedsstaaten, konkret Österreich und Deutschland, dafür Zeit? Bis wann erwarten Sie diesen Bericht?

„Diese zweite Phase der Übergangsfristen endet mit dem ersten Mai. Die Notifizierung muss also vor dem 1.Mai kommen.“

In Österreich argumentiert man etwa in jüngster Zeit mit den Folgen der weltweiten Finanzkrise. Dadurch drohten im eigenen Land Massenentlassungen und man könnte jetzt den Arbeitsmarkt unmöglich öffnen. Sehen Sie das auch so?

Foto: Europäische Kommission
„Wenn man die aktuelle Situation und die Geschichte der Migration betrachtet, dann sieht man ganz klar, dass es, wenn es keine Arbeit gibt, auch die Leute nicht kommen. Die Leute gehen schließlich in ein anderes Land, um zu arbeiten. Nicht, um in Deutschland oder in Großbritannien arbeitslos zu sein. Das ist klar. Und es wird auch gerade jetzt sichtbar: Wenn es in Großbritannien Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt gibt, dann kehren Tausende, womöglich Zehntausende Arbeitskräfte in ihre Herkunftsländer zurück. Es besteht also eine gewisse Selbtsregulierung. Diese Schwarzmalerei, die einige Länder betreiben, ist meiner Meinung nach nicht begründet.“

Soweit der EU-Kommissar für Arbeit und Soziales, Vladimír Špidla im Radio-Prag-Exklusivinterview.


Und was sagt man nun in Deutschland in Österreich zu den Ergebnissen der Studie? Nichts. Zumindest gegenüber Radio Prag. Im Berliner Bundesministerium für Arbeit und Soziales lehnte man eine Stellungnahme zu den Ergebnissen des Arbeitsmarktreports ab. „Zu einer einer vollständigen Öffnung des Arbeitsmarktes wird es 2009 aber sicher nicht kommen“, bekräftigte Heike Helfer, die Sprecherin des Ressorts auf Nachfrage. Nur für höher qualifizierte Schlüsselkräfte werde es wie geplant ab 1. Jänner nächsten Jahres Erleichterungen geben.

Im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit in Wien gab man sich trotz mehrfacher Nachfragen ebenfalls zugeknöpft. Zwar versprachen das Ministerkabinett und die Pressestelle eine „schnellstmögliche Bearbeitung der Anfrage“. Doch der mehrmals zugesagte Rückruf blieb bislang aus. Aus früheren Stellungnahmen und verschiedenen Medienberichten geht allerdings hervor, dass man auch in Österreich nicht gedenkt, den Arbeitsmarkt völlig freizugeben. Ob es wie in Deutschland Erleichterungen für besser ausgebildete Arbeitskräfte geben wird, ist derzeit unklar.

Es scheint als ganz so, als gestalte sich die Suche nach den von Kommissar Špidla mit Nachdruck eingeforderten „guten Gründen“ für die Beibehaltung der Arbeitsmarkt-Beschränkungen für Bürger aus den neuen EU-Mitgliedsländern recht schwierig. Auf den Inhalt des Ende April fälligen Berichts an die EU-Kommission darf man also gespannt sein. Und auf deren Reaktion natürlich ebenfalls.