Die Möbel fingen an zu knarren - Erdbeben im Eger-Graben
Der Eger-Graben im äußersten Nordwesten der Tschechischen Republik gilt als eines der seismisch aktivsten Gebiete Mitteleuropas. Im Durchschnitt alle drei Jahre treten in der geologischen Bruchzone Schwarmbeben auf. Die jüngste Bebenserie setzte am 6. Oktober dieses Jahres ein. Warum es zu den Beben kommt und wie sich die Bevölkerung damit zurechtfindet, das erfahren Sie im folgenden Beitrag.
Erdbeben – das sind in Tschechien keine zerstörerischen Naturphänomene. Doch mulmig kann einem schon werden, wie eine Frau aus Aš / Asch berichtet:
„Mich hat das Beben um halb eins in der Nacht geweckt, mein Herz begann heftig zu schlagen und ich hatte ein wirklich unangenehmes Gefühl. Ich habe alle Erschütterungen sehr intensiv gespürt. Und ich habe ein Tosen vernommen, eine Art Dröhnen.“Eine andere Frau erzählt:
„Wir haben ein altes Haus, ein älteres, renoviertes Gebäude, und ich hatte den Eindruck und bekam Angst, dass der Schornstein umbrechen und Risse in den Mauern entstehen könnten. Man bekommt in einer solchen Lage schon Angst um seinen Besitz. Es hörte sich an, als ob die alten Möbel anfangen würden zu knarren. Das hat sich dann wiederholt, und ich habe auch eine Art Brausen gehört, das hat mir einen immer größeren Schrecken eingejagt.“Einige Jahre war es ruhig gewesen am so genannten Eger-Graben. Seit Beginn der zweiten Oktoberwoche ist es aber immer wieder zu kleineren Erdbeben in dieser geologischen Bruchzone gekommen. Eine solche Erdbeben-Serie umschreiben die Fachleute mit dem Begriff „Schwarmbeben“. Die bisher stärksten Erdstöße traten in den Morgenstunden des 10. und 12. Oktober auf. Die Seismographen schlugen auf 4,3 der Richterskala aus. Der Eger-Graben zieht sich vom bayerischen Sechsämterland durch Nordwestböhmen bis ins sächsische Vogtland. Die Erschütterungen waren daher auch in Oberfranken und im Vogtland deutlich zu spüren.
„Als ich letzten Freitag in meinem Büro am Schreibtisch saß, nahm ich kurz nach zehn ein Grollen und eine leichte Erschütterung wahr. Spontan dachte ich an eine Explosion im Heizungskeller oder an einen Flugzeugabsturz in der Nähe“, berichtet ein Einwohner aus Hof an der Saale.Im oberfränkischen Selb, etwa 25 Kilometer vom Epizentrum beim tschechischen Dorf Nový Kostel (Neukirchen) entfernt, haben besonders viele Menschen das Beben gespürt. Ein Mann sagt:
„Das Erdbeben hier in Selb-Plößberg habe ich ziemlich stark miterlebt, zuerst mit einem starken Grollen, und dann als ob ein U-Bahn-Zug unter einem hinweg fährt. Es gibt dann einen richtigen Ruck, der einen richtig erschrecken lässt, und danach ist wieder Stille. Das war aber hier in Selb-Plößberg nicht nur einmal, das war mindestens drei- bis viermal der Fall, wo die Stärken so bei 4,1 oder 4,2 gelegen haben. Und ich habe das auch schon in den achtziger Jahren, 1985, miterlebt, da war es allerdings noch viel, viel stärker.“
Die jüngste Bebenserie ist den Angaben des Geophysikalischen Instituts zufolge die schwerste seit der Jahreswende 1985/86. Die seismische Aktivität im Eger-Graben hat periodischen Charakter. Im Durchschnitt alle drei Jahre treten schwächere Schwarmbeben auf. Die Energie entlädt sich bei Schwarmbeben nach und nach in Hunderten und Tausenden von schwachen Erschütterungen.„Das Besondere an dieser Tätigkeit ist: Man geht davon aus, dass es Fluide, also Flüssigkeiten, sind, die tief im Gestein, in mehreren Kilometern Tiefe migrieren; und das führt zu Impulsen. Das kommt alle paar Jahre mal vor, und das ist eben im Moment der Fall, wir haben es also mit Schwarmbeben zu tun. Deswegen ist auch davon auszugehen, dass nicht sofort Ruhe einkehrt, sondern auch in den nächsten Tagen oder Wochen noch mit seismischer Aktivität zu rechnen ist“, erläutert Heiner Igel, Professor für Geo- und Umweltwissenschaften der Universität München.
Das Epizentrum des Schwarmbebens lag bei dem Dorf Nový Kostel, (Neukirchen) etwa 20 Kilometer nordöstlich von Cheb (Eger). Dort befindet sich eine in Nordsüdrichtung verlaufende, etwa zehn Kilometer lange tektonische Bruchfläche. Nový Kostel zählt rund 500 Einwohner. Unruhe und Stress verursachen die Schwarmbeben den Menschen im Epizentrum. Richtig Angst haben die meisten aber nicht, erklärt der Bürgermeister der Gemeinde, Oto Teuber:„Einige Frauen haben Kopfschmerzen, einige klagen über Migräne, aber ansonsten haben wir uns, glaube ich, im Großen und Ganzen hier im Epizentrum schon an die Beben gewöhnt.“
Um die Jahreswende 1985/86 allerdings klafften plötzlich Risse in den Mauern der Kirche von Nový Kostel und der Schornstein des Kindergartens brach um. In vielen Brunnen versickerte vorübergehend das Wasser. Schon im Juli setzten damals schwache Vorbeben ein. Erst nach einem halben Jahr erreichte die Bebenserie den Höhepunkt. Am 21. Dezember 1985 wurde der stärkste Erdstoß mit einem Wert von 4,6 auf der Richterskala gemessen. Bestehen bei den Schwarmbeben in diesem Jahr Risiken von Sachschäden oder gar Gefahren für Leib und Leben? Professor Heiner Igel:
„Historisch sind eigentlich dort die Beben nie über die Magnitude fünf hinausgegangen, deshalb gehen wir davon aus, dass es auch keine größeren Beben geben kann. Und bei Magnitude fünf direkt am Epizentrum kann es sehr wohl zu Schäden kommen, nicht zu Personenschäden, das ist äußerst unwahrscheinlich, aber es kann schon in der Region um das Epizentrum und auch bis ein paar Dutzend Kilometer weg davon zu - sagen wir - leichteren Gebäudeschäden kommen.“
1908, also vor 100 Jahren, ereignete sich das schwerste Beben in der Geschichte des Eger-Grabens. Damals wurden Erdstöße von 5 auf der Richterskala verzeichnet. Der Wert 5 markiert die Grenze zwischen leichten und mittleren Beben. Sächsische Geophysiker prägten damals den Begriff „Bebenschwarm“. Der Begriff bezeichnet eine Serie von Beben ohne dominante schwere Erschütterung. Heute sind die Begriffe „Bebenschwarm“ und „Schwarmbeben“ den Seismologen auf der ganzen Welt geläufig.
1908 wurde dann auch im Keller des Gymnasiums von Cheb (Eger) das älteste Erdbeben-Messgerät installiert. Der Seismometer trug die Bezeichnung „Mainka“ und war über zwei Meter hoch. Er stellte die erste Erdbeben-Beobachtungsstation in Böhmen dar und die fünfte auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie.Die älteste überlieferte Nachricht von einem Erdbeben in Westböhmen stammt aus dem 16. Jahrhundert. Zuverlässige Aufzeichnungen über die Häufigkeit und Intensität werden seit etwa 200 Jahren geführt. Die geologischen Eigenarten des Gebiets um den Eger-Graben ziehen also die Neugier der Forscher schon ein halbes Jahrtausend auf sich. Das war auch zu Goethes Zeiten nicht anders. Rund ein Dutzend Mal brach der Hobbygeologe Goethe zum Vulkankegel Kammerbühl zwischen Františkovy Lázně / Franzensbad und Eger auf.
Der Kammerbühl spielte im Diskurs über die Entstehung der Welt eine Rolle. Die Gemüter der Gelehrten erhitzte im 18. Jahrhundert die folgende Frage: Sind die Erde und ihre Gesteine aus dem Meer oder aus dem Feuer, also durch vulkanische Aktivität, entstanden? Die Auseinandersetzung wurde auch „Basaltstreit“ genannt und gipfelte im Jahrzehnt nach 1780. Von Goethe kam die Anregung, einen Forschungsstollen in den Kammerbühl zu treiben, um das Berginnere zu erforschen. Verwirklicht wurde der Stollen erst nach Goethes Tod. Er erbrachte den Beweis, dass der Kammerbühl vulkanischen Ursprungs ist. In Nový Kostel denkt man mehr über praktische Fragen nach. Für Krisensituationen hat die kleine Gemeinde in knapp 500 Metern Seehöhe vorgesorgt. Bürgermeister Oto Teuber:
„Das Gemeindeamt verfügt über einen Krisenplan, der Lösungen für die Situation noch einem Erdbeben enthält. Praktisch geht es darum, wo wir Personen unterbringen könnten, deren Wohnhäuser beschädigt worden sind, und welche materielle Hilfe ihnen gewährt werden müsste. Unser Krisenstab befasst sich auch damit, wie sich die Leute vor, während und nach einem Erdbeben verhalten sollen.“