Priester, Theologe und Philosoph Tomáš Halík spricht über Angst und Religion in der heutigen Welt
Ex-Präsident Václav Havel nannte ihn einst als einen seiner eventuellen Nachfolger im Präsidentenamt - Tomáš Halík, Priester, Theologe, Hochschulpädagoge, Rektor der Universitätskirche St.Salvator in Prag und Präsident der Tschechischen Christlichen Akademie. Staatspräsident ist er zwar nicht geworden, sein Name ist trotzdem nicht nur hierzulande zum Begriff geworden. Zu aktuellen Themen der heutigen Welt hat Tomáš Halík vieles zu sagen und er wird auch gehört. Jitka Mládková hat mit ihm in dieser Woche auf der internationalen Konferenz „Forum 2000“ gesprochen.
Jahre lang engagiert sich Tomáš Halík im interreligiösen Dialog und bei der Erneuerung der katholischen Kirche in Tschechien. Auf der 12. internationalen Konferenz „Forum 2000“, die dieser Tage in Prag unter Beteiligung renommierter Intellektueller, Expolitiker, Philosophen und Kirchenvertreter aus aller Welt in Prag stattfand, konnte er nicht fehlen: Als Teilnehmer an der Diskussionsreihe „Interreligiöser Dialog“, aber auch als aufmerksamer Zuhörer. So war es auch bei der Debatte zum Thema „Angst“. Jedoch nicht die Angst als individuelle Gemütslage des Menschen, ausgelöst durch persönliche Tragödien jeder Art. Die Angst ist auch zum wirksamen Instrument in der internationalen Politik und Wirtschaft geworden. Sei es in Form von Terrorismus und Extremismus, oder durch die Unberechenbarkeit der Märkte. Auf „Angst“ haben sich auch meine Fragen bezogen, die ich Tomáš Halík auf dem „Forum 2000“ stellen durfte.
Das Hauptmotto hier war Angst. Angst in der heutigen globalen Welt. Gibt es so etwas wie globale Angst?
„Ja, bestimmt. Das Leben in einer globalen Gesellschaft ist natürlich kompliziert und beschwört manchmal auch fundamentalistische Antworten herauf. Viele Probleme haben heute weltweite Auswirkungen, werden zu weltweiten Problemen. Das sehen wir zum Beispiel an der derzeitigen Finanzkrise.“
Gab es nicht immer Angst in der Welt? Wodurch ist die Angst heute eine andere?
„Angst ist etwas, das zum Menschen dazugehört. Überhaupt keine Angst zu haben, das käme eher einer Störung gleich. Die Angst hat eine gewisse Signalwirkung, sie macht auf Gefahren aufmerksam, und deshalb ist es wichtig, dass der Mensch manchmal Angst empfindet. Genauso wichtig ist es aber, dass die Angst das Handeln des Menschen nicht bestimmt und auch seine Wahrnehmung nicht verzerrt. Auf Tschechisch gibt es das Sprichwort ‚Strach má velké oči’ – Angst hat große Augen. Das soll heißen, dass wir Dinge, die wir angsterfüllt beobachten, nicht realistisch sehen. Deshalb gibt es gerade im religiösen Bereich viele Mittel, die es dem Menschen ermöglichen, sich von seiner Furcht zu befreien. Zum Beispiel durch Meditation, die uns dabei hilft, die Probleme in unserem eigenen Leben und die Probleme um uns herum aus einer gewissen Distanz zu betrachten.“
Bei der heutigen Diskussion waren Vertreter aus verschiedenen Ländern anwesend. Haben Ängste in den verschiedenen Ländern etwas gemeinsam?
„Ich glaube, die konkreten Aspekte sind sehr unterschiedlich. Aber das betrifft nicht nur einzelne Länder, sondern auch Gruppen von Menschen innerhalb eines Landes. Es gibt Leute, die sich vor allem um ihre soziale Situation Sorgen machen. Andere wiederum sind davon weniger betroffen, aber dafür sind sie sich vielleicht anderer Probleme der Gegenwart bewusst. Das hängt auch damit zusammen, ob jemand die Möglichkeit hat zu reisen, andere Kulturen kennen zu lernen und die Dinge aus einem etwas weiteren Blickwinkel zu betrachten. Die konkreten Ursachen für Angst sind also oft unterschiedlich. Aber wir sehen auch die Zunahme von Gewalt und Terrorismus. Mit diesen Problemen ist heute praktisch jede Kultur konfrontiert.“
Ist es sinnvoll über diese Themen zu diskutieren? Lässt sich hier ein Ausweg finden?
„Ganz bestimmt. Aber andererseits kann man von so einer Konferenz natürlich nicht erwarten, dass sie die Welt ändert. Das ist kein Ärztekongress, wo es um ein konkretes Heilmittel etwa gegen Krebs geht. Aber es ist eine Möglichkeit, dass Menschen, die die öffentliche Meinung beeinflussen – es sind etwa Schriftsteller hier, Wissenschaftler, Politiker und so weiter – auf gewisse Dinge einen anderen Blickwinkel bekommen, die Meinung und Probleme anderer kennen lernen. All das kann dann in ihre Bücher, ihre Vorlesungen, ihre konkrete Tätigkeit einfließen. Die Wirkung solcher Konferenzen kann somit breiter und tiefer werden. Wir glauben daher, dass diese Treffen sehr wohl ihren Sinn haben. Auch, wenn sich dieser Sinn nicht gleich unmittelbar zeigt.“
Wie stark ist der Dialog zwischen den Religionen und wie stark sollte er sein?
„Jeder vernünftige Mensch weiß wahrscheinlich, dass dieser Dialog heute zu den wichtigsten Dingen überhaupt zählt. Es gibt keinen Frieden zwischen den Völkern ohne Frieden zwischen den Religionen. Die Religionen formulieren die grundlegenden menschlichen Werte und formen damit die Kulturen von Millionen von Menschen. Wenn die globale Welt ohne einen Minimalkonsens bezüglich der wichtigsten Wertvorstellungen entstehen würde, dann wäre sie ein Minenfeld. Missverständnisse zwischen den Religionen und die Unfähigkeit, die Andersartigkeit des anderen zu verstehen, können deshalb sehr gefährlich sein.
Religion stellt eine Dimension des menschlichen Lebens dar, deren Wichtigkeit sich heute mehr denn je zeigt. Aber sie hat Potential zum Guten und zum Bösen gleichzeitig. Es kommt darauf an, ob sie ihr friedliches Potential zur Geltung bringen kann, oder ob sie missbraucht wird. Dabei ist aber die Hauptfrage meiner Meinung nach nicht, warum Religion zu Gewalt führen kann, sondern warum manche Konflikte sakralisiert werden, warum sie hochstilisiert werden zum großen Krieg zwischen Gut und Böse.
Wenn solche Metaphern, religiöse Terminologie, religiöse Emotionen, religiöse Symbole verwendet werden, dann sind solche Konflikte nur noch schwer zu lösen. Es geht dann scheinbar nicht mehr um einen Konflikt zwischen Menschen, der auch menschlich geführt werden kann, sondern die Menschen begreifen sich dann als Botschafter einer höheren Macht, die ihnen aufträgt, die andere Seite zu vernichten. Das war etwa oft zwischen Christen und Moslems der Fall. Heute, zu Beginn unserer Konferenz, haben wir uns mit den moslemischen Teilnehmern getroffen, sie haben am katholischen Gottesdienst teilgenommen, und wir hatten die Möglichkeit, uns gegenseitig Fragen zu stellen. Solche Dinge sind ein Zeichnen der Hoffnung. Aber es ist nötig, sie ständig zu kultivieren und weiterzuentwickeln.“