Tätlichkeiten im Stadion und zu Hause – außerdem: Das Literaturmagazin „Host“
Die publizistischen Früchte am Ende einer Woche hat für Sie Christian Rühmkorf im Medienspiegel gesammelt. Aber nicht nur das. Heute stellt er ihnen ebenso die Literaturzeitschrift „Host“ und ihren Chefredakteur vor.
Am Montag kümmert sich das Volksblatt „Mladá fronta Dnes“ um ein schon zwei Wochen altes Ereignis und seine Folgen. Beim Prager Fußball-Derby zwischen den Klubs Slavia und Sparta ging so ziemlich alles zu Bruch, was nicht niet und nagelfest war, das Stadion entwickelte sich zu einem Rauchfang, es gab Verletzte und Verhaftungen. Die „Mladá fronta“ hat wieder Reporter ausgesandt und zwar ausgestattet mit einem Waffenarsenal in den Taschen: „Der Fan durchsucht – das Messer nicht gefunden“, macht die Zeitung fett auf. Und weiter geht´s: „Als Reaktion auf die Hooligans hat die „Mlada fronta Dnes“ die Sicherheitsmaßnahmen in Erst-Liga-Stadien getestet. Ergebnis? Das Einschleusen einer Waffe ist leicht. Die Fußballfunktionäre beunruhigt das nicht.“
Beunruhigt ist aber die „Hospodářské noviny“, eine Wirtschaftszeitung, die sonst mit Fußball nicht viel am Hut hat. Auch sie gibt dem Kravall Raum: „Die Tschechen denken nach, wie sie Ausschreitungen verhindern können.“ Die Zeitung blickt auch nach England, wo man unter anderem mit Kameras und empfindlichen Strafen die Situation angeblich unter Kontrolle bekommen hat.Und wir beleiben bei Tätlichkeiten. „Eine Ohrfeige schadet den Kindern nicht“, titelt die „Lidové noviny“ auf ihrer Schwerpunktseite am Dienstag. Ihre eigene Umfrage ergibt: „Verbietet nicht körperliche Strafen für Kinder, meint die Mehrheit der Tschechen“. An die 70 Prozent der Tschechen greifen zumindest ausnahmsweise zu diesem Erziehungsmittel. Am beliebtesten ist mit fast 78 Prozent der Klaps auf den Po. Die Ministerin für Menschenrechte, Dzamila Stehlikova, will per Gesetz körperliche Züchtigung verbieten. Gegenüber der „Lidové noviny“ gibt sie zu, auch ihrer eigene Tochter wegen schlechter Noten ab und zu eine verpasst zu haben. Damit soll nun Schluss sein. Eine Grundschuldirektorin, die auch zu Wort kommt, hält maßvolle körperliche Züchtigung jedoch für angemessen. Tschechen sind offenkundig Pragmatiker. So weit der Presseinblick für diese Woche.
„Host“ – das ist der Name der einzigen literarischen Monatszeitschrift in Tschechien. Sie ist ein Kind der ersten Tschechoslowakischen Republik. 1921 erschien die Zeitschrift zum ersten Mal als Bühne der bedeutendsten tschechischen Autoren und Literaturkritiker der Zwischenkriegszeit. Auch der spätere Literaturnobelpreisträger Jaroslav Seifert gehörte zu ihnen. 1929 wurde die Zeitschrit eingestellt und erschien erst wieder Mitte der 50er Jahre. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 waren der Zeitschrift Host nur noch knappe zwei Jahre Existenz beschert. Literatur war immer eine potentielle Gefahr für die kommunistischen Machthaber. Das galt umso mehr in der Zeit der so genannten Normalisierung. Erst 1985 taucht die Zeitschrift wieder aus der Versenkung auf – bleibt aber in Deckung als verbotene Samizdat-Ausgabe. Seit 1990 dann wieder legal, entwickelte sie sich zu einer anerkannten Literaturzeitschrift. Jetzt mit dem Namen „Host-Revue“.
Miroslav Balaštík hat bereits als Student für Host geschrieben. Seit 1995 ist er ihr Chefredakteur. Bei einer Auflage von 1400 Stück kann bei Host von finanziellem Gewinn nicht die Rede sein. Aber Miroslav Balaštík ist froh über diese Zahl. Vor fünf Jahren druckte man gerade mal 1000 Stück pro Ausgabe:
„Natürlich bin ich froh. Ich quäle mich ganz sicher nicht mit der Hoffnung, dass die Zeitschrift eine Auflage im 10-tausender Bereich haben müsste. Diese Zeiten sind vorbei. Mit der jetzigen Auflage bin ich zufrieden, weil bei solchen Zeitschriften die Leserquote an sich in der Regel immer vier mal so hoch ist. Also um die 6000 Leser, was für mich eine gute Quote ist.“
Ende der 60er Jahre erlebte die Zeitschrift Host eine Hochzeit. 10-tausender Auflagen waren die Regel. Sie war ein Begriff nicht nur in der eingeweihten Literaturgemeinde. Warum heute dieses Schattendasein? Miroslav Balaštík:
„Die Zeit war eine andere und die Erwartungen der Leser auch. Ob wir wollen oder nicht - in der damaligen Zeit erfüllte die Literatur eine Vielzahl von gesellschaftlichen Funktionen. Eine davon war eine politische Funktion. Man las eine literarische Zeitschrift oder Zeitung, weil man aus ihr auch etwas über den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft erfuhr. Die Literatur hat dem Prager Frühling gewaltig Schwung gegeben. Die Menschen haben eben in den 60ern auch andere Sachen aus der Zeitschrift gezogen.“
Chefredakteur Balaštík sieht es pragmatisch. Natürlich wünsche man sich einen größeren gesellschaftlichen Einfluss, höhere Auflagen, so wie damals, in der Zeit der Unfreiheit. Aber gerade die Unfreiheit habe auf einer Reihe von anderen Gebieten wiederum fatale Folgen gehabt. Also:
„Ich kann da nicht in Tränen ausbrechen, darüber, dass die Literatur in Tschechien nicht mehr diese Funktion hat. Das würde einfach signalisieren, dass etwas nicht in Ordnung ist.“
Eine literarische Zeitschrift wie Host – soll sie den Lesern ein Geländer sein bei der Frage, was sie von ihrer Lektüre halten sollen?
„Nein, das glaube ich nicht, dass Zeitschriften so eine Macht haben, dass sie Meinungen so stark formen. Es ist eher so, dass sie den lesenden Leuten helfen sollen, sich auf dem Büchermarkt zu orientieren, die Leser auf gute Bücher aufmerksam zu machen und andere Sichtweisen als die eigenen anzubieten. Darüber hinaus bringen literarische Zeitschriften Hintergrundinformationen über die Autoren.“
Warum ist das Leseinteresse in Tschechien so gering, wie vielfach beklagt wird?
„Es steht um die tschechische Gegenwartsliteratur nicht übermäßig gut. Das liegt zum einen daran, dass die Lesergemeinde nicht sehr groß ist. Aber es sind auch die Autoren, die eine Mitverantwortung tragen. Beides bedingt einander. Denn in den letzten Jahren ist eigentlich kein Werk erschienen, dass eine Massen-Leserschaft verdient hätte. Masse verstanden im guten Sinne des Wortes. Ich spreche also nicht von irgendwelchen Groschen- oder Frauenromanen. Es fehlt der große Roman. Genauso gilt aber, dass man in Tschechien nicht imstande ist, aus Büchern Ereignisse zu machen. Vor allem mediale Ereignisse.“
Vielleicht erkennen viele Menschen in der heutigen Gesellschaft keinen Sinn mehr im Lesen. Was bringt einem das Lesen?
„Ich glaube, Lesen ist eine anthropologische Gegebenheit. Es bewirkt eine Art von Denken, das dabei hilft, die Welt zu verstehen. Und diese Art zu denken können wir meiner Meinung nach nur durch das Lesen erlernen. Also, um uns selbst zu verstehen, sollten wir das Lesen lernen. Aber nicht nur das Lesen, sondern vor allem das Lesen von Geschichten“, sagt Miroslav Balaštík, Chefredakteur der Zeitschrift „Host“, dem einzigen literarischen Monatsmagazin in Tschechien.