Mehr Schutz für Kinder vor sexuellem Missbrauch und Entführung
Misshandlung, Missbrauch und die Entführung von Kindern sowie Kinderpornographie – auch in Tschechien berichten die Medien seit der Wende vermehrt über solche Fälle. Den Bürgern des Landes in Erinnerung, aber nach langen Monaten immer noch nicht geklärt, ist zum Beispiel der Fall des kleinen Jungen Ondra, der von seiner Mutter gequält und nur durch Zufall in einem Keller gefunden wurde. Ganz Tschechien kennt auch den Namen Honza Rokos. Nach der Entführung durch seine Mutter wurde der Junge Monate lang vermisst und erst vor kurzem tot aufgefunden, ermordet. Kindesentführungen ins Ausland durch einen Elternteil werden hingegen bereits als eher „banalere“ Fälle wahrgenommen und machen nur kurzzeitig Schlagzeilen. Nun will sich Tschechien drei von der Europäischen Kommission geförderten Projekten anschließen.
„Ein weiteres Projekt sieht die Entstehung eines nationalen Hilfszentrums für vermisste und auf kommerzieller Basis sexuell misshandelte Kinder vor, das unter der gut merkbaren Telefonnummer 116-000 erreichbar sein wird. Diese Nummer werden unmittelbar bedrohte Kinder wählen können oder Eltern, die ihr Kind vermissen. Durch die Kommunikation der einzelnen nationalen Zentren und bei gleichzeitiger Zusammenarbeit der Polizei der jeweiligen Länder könnten so die Voraussetzungen für eine schnelle Hilfe geschaffen werden könnten.“
Das dritte Projekt wird als „finanzielle Koalition“ bezeichnet, in der Bankhäuser, Anbieter von Finanz- und Internetdienstleistungen sowie Gerichtsorgane und Nichregierungsorganisationen kooperieren werden. Und was soll damit erreicht werden?
„Dass sowohl die Verbreitung von Kinderpornographie, als vor allem auch die Zahlungen für Kinderpornographie, die online im Internet getätigt werden, blockiert werden.“
Eine engagierte Befürworterin haben alle drei Projekte in der tschechischen Ministerin für Menschenrechte und nationale Minderheiten, Džamila Stehliková:
„Die Problematik der vermissten und zu kommerziellen Zwecken sexuell mißbrauchten Kinder gilt als globales Phänomen, das auch vor der Tschechischen Republik nicht Halt macht, und das vor allem nach ihrem Beitritt zum Schengen-Raum. In dieser Situation kommt der Koordinierung und Kooperation zwischen europäischen Institutionen große Bedeutung zu. Dies sind vor allem die Europäische Kommission und die Regierungen der einzelnen Nationalstaaten sowie die Öffentlichkeit, vertreten durch verschiedene Nichtregierungsorganisationen.“
Von einem Tag zum anderen sind die Projekte natürlich nicht umzusetzen. Allein das erwähnte Warnsystem ins Leben zu rufen, muss nicht reibungslos vonstatten gehen, vermutet Stehliková:
„Diese Situation erfordert eine Analyse. Beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen sehe ich kein Problem sein. Bei den kommerziellen Fernsehanstalten ist dies anders. Das müsste noch geregelt werden, damit sie sich auch an dem Alarmsystem beteiligen können. Ich denke aber auch an die regionalen Rundfunksender, von denen es hierzulande sehr viele gibt. Im Moment bin ich mir nicht sicher, ob die Zusammenarbeit auf freiwilliger Basis möglich ist oder ob sie auf irgendeine Weise verankert werden muss, wenn Sendungen mit aktuellen Meldungen unterbrochen werden sollen. Das muss mit Rechtsexperten konsultiert werden. Außerdem halte ich es für notwendig, dass auch die politische Führung des Landes die Bedeutung dieses Projektes einsieht.“
Zudem würden die Kosten nicht niedrig sein, sagt die Ministerin und ergänzt:
„Auch das Leben eines einzigen geretteten Kindes hat so hohen Wert, dass die Gesellschaft alle Mittel einsetzen sollte, um das Schlimmste zu verhindern.“Während Džamila Stehliková den Ausbau des Warnsystems als besonders kompliziert ansieht, vermutet die Leiterin der Stiftung „Naše dítě“, Zuzana Baudyšová, die größte Hürde anderswo. Im Jahr 2006 hatte das tschechische Innenministerium angekündigt, bis 2008 ein nationales Zentrum für vermisste und und sexuell missbrauchte Kinder zu errichten. Es ist jedoch nur beim Vorhaben geblieben. Das Innenministerium traue sich nicht zu, dieses Projekt zu realisieren, hieß vor kurzem. Das Anliegen wurde dem Ministerium für Arbeit zugespielt. Die Chefin der Stiftung Nase dite, die sich für die Entstehung des Hilfszentrums einsetzt, gibt jedoch nicht nach und sucht derzeit nach einem neuen Partner:
„Wir werden jetzt Verhandlungen mit der Organisation ´Linka bezpečí´ (Kinder-Sorgentelefon) fortsetzen, aber auch dort bestehen gewisse Zweifel, ob man sich der Aufgabe stellen soll. Falls die Kollegen endgültig ´Nein´ sagen, bin ich bereit, mich selbst ans Werk zu machen und eine neue Organisation zu gründen. Das wäre die einzige Möglichkeit. Man muss doch Schritt mit Europa halten, daher finde ich es sehr wichtig, dass hierzulande das Zentrum für vermisste und sexuell missbrauchte Kinder entsteht.“
Auch Baudyšová nennt als weiteren Grund, warum ein solches Zentrums gebraucht wird, den Beitritt Tschechiens zur Schengen-Zone.
Zuzana Baudyšová hofft, dass schon in diesem Jahr konkrete Maßnahmen zur Realisierung der Projekte von „Missing Children Europe“ ergriffen werden, zumal die Europäische Kommission diese finanziell unterstützt. Zuversichtlich ist auch Ministerin Stehliková:
„Jetzt haben wir gerade den ersten Schub erhalten, der fast zur selben Zeit kommt wie der Beitritt Tschechiens zum Schengen-Raum. Ich glaube, die Tschechische Republik sollte als ein Staat inmitten Europas zu jenen Ländern gehören, die sich als erste dem Projekt anschließen. Man kann nicht ausschließen, dass wir die Hilfe unserer Nachbarländer brauchen werden. Tschechien ist ein kleines Land, und in kurzer Zeit ist man bereits jenseits der Grenze. Wenn das neue System hierzulande schnell ins Leben gerufen wird, besteht die Chance, dass sich auch unsere Nachbarländer anschließen werden.“Stehlíkovás Mitstreiterin von der Stiftung „Naše dítě“ ist in ihrer Argumentation konkreter:
„Wenn sich jemand entschließt, ein Kind zu entführen, ist es kein Problem, es in den Kofferraum des Autos zu packen, und in zwei Stunden befindet es sich schon an einem anderen Ende Europas. Es ist also wichtig, dass man diese neuen Phänomene, genauer gesagt die pathologischen Erscheinungen nicht aus den Augen verliert und nicht nur gute Arbeit auf dem Gebiet der Prävention leistet, sondern bedrohten Kindern konkret hilft.“
Sie hoffe aber auch, dass die Fälle aus der jüngsten Zeit, so traurig sie seien, dazu beitragen könnten, so Baudyšová - zum Beispiel der Fall von Honza Rokos. Niemand wolle verantwortlich gewesen sein, aber nun sei das Kind tot.