Rückblick: 12. Prager Theaterfestival deutscher Sprache ist zu Ende
Genau vor einer Woche ist das Prager Theaterfestival deutscher Sprache zu Ende gegangen, das bereits zum 12. Mal in der tschechischen Hauptstadt veranstaltet wurde. Über sein Programm haben wir bereits einigermaßen informiert. Um noch weitere Einzelheiten zu erfahren, hat sich Jitka Mladkova schon vor dem Festival, aber auch unmittelbar danach, bei denen umgehört, die dazu etwas zu sagen haben.
„Traum und Erwachen“, das war das Leitmotto des diesjährigen Prager Theaterfestivals deutscher Sprache. Nach Meinung der Festivaldramaturgie ist es in fast allen Theaterstücken aufzuspüren, die diesmal auf dem Spielplan standen. Wie man die Wahl so einer Leitidee, des Leitmottos also, trifft und wie überhaupt so ein Festivalprogramm vorbereitet wird, wollte ich von einem seiner drei Dramaturgen wissen. Petr Štědroň:
Was ist am Anfang, das Leitmotto oder ein bis zwei Theaterinszenierungen, die Sie dann zu einem Leitmotto inspirieren?
„Das Leitmotto steht ganz bestimmt nicht am Anfang. Es entwickelt sich erst im Laufe der Zeit. Wir müssen sehr viele Vorstellungen sehen. Es ist wirklich eine aufwendige und ziemlich harte Arbeit. Wir müssen halt sehr viel reisen, um viele Theater zu besuchen und die Wahl treffen zu können.“
Wie unterscheidet sich die Festivaldramaturgie in diesem Jahr von der im vorjährigen?
„Unterschiede gibt es jedes Jahr, denn jede Theatersaison ist im deutschen Sprachraum auch anders. Im Unterschied zum vorletzten Jahrgang mit dem Schwerpunkt auf Shakespeare-Inszenierungen, gibt es diesmal keinen Autor als gemeinamen Nenner. In diesem Jahr haben wir, glaube ich, eine reichhaltigere Dramaturgie.“
Was Sie aber vielleicht nicht haben, ist ein Stück mit Skandalpotential!?
„Sie meinen jetzt wahrscheinlich den vorjährigen so genannten ‚nackten Macbeth’ aus Düsseldorf, eine der besten und interessantensten Inszenierungen von Jürgen Gosch. Wir müssen uns natürlich von einem Stück angesprochen fühlen. Das heißt, es muss schauspielerisch gut sein, ein interessantes Bühnenbild haben, oder zum Beispiel gute Musikbegleitung, kurzum alle Elemente der Theaterarbeiten sollten sozusagen in ‚der erste Liga’ spielen“.
Wenn das Stück aber für unsere Theaterverhältnisse etwas ungewöhnlich ist, lassen Sie sich davon trotzdem nicht wegscheuchen?
„Das dürfen wir auch nicht. Es eine gute Gelegenheit auch für tschechische Theatermacher, eine andere Theatertradition kennenzulernen und sich mit anderen Möglichkeiten moderner Theaterkunst vertraut zu machen. Außerdem ist es auch eine Gelegenheit der Konfrontation für das tschechische Theater insgesamt.“
Die Veranstaltung des Prager Theaterfestivals, zu dem Ensembles, zum Teil zahlreich besetzt, zugleich aus mehreren Ländern kommen, stellen nicht selten hohe Ansprüche an den Spielraum und die technische Ausstattung. In dem Sinne muss bei der Vorbereitung ein riesiges Arbeitspensum geleistet werden. Dann aber kommt große Erleichterung, weiß Festivaldirektorin Jitka Jílková:
Sie haben beinahe Glück ausgestrahlt, als Sie darüber gesprochen haben, dass das Festival auch auf den Bühnen des Nationaltheaters in diesem und sogar auch im kommenden Jahr untergebracht werden kann.
„Richtig. Was die Spielstätten anbelangt, da sind wir wirklich glücklich, mit dem Nationaltheater so eng zusammenarbeiten zu können. Für uns ist das eine ganz große Hilfe. Im Laufe der Zeit ist es nämlich in diesem Bereich komplizierter geworden. Im Prinzip planen heute alle Prager Theater langfristig im Voraus. Für uns bedeutet es, dass wir auch im Voraus planen müssen. Daher ist es für uns sehr wichtig, solche Stützpunkte zu haben, und damit auch ganz konkret festgelegte Spieltermine im Nationaltheater sowie im Ständetheater auch für das nächste Jahr.“
Man könnte also sagen, dass Herr Černý als Chef des Nationaltheaters ein Geschenk für das Theaterfestival ist.
„Ganz eindeutig!“
Ondřej Černý war mehrere Jahre auch Dramaturg des Prager Festivals deutscher Sprache. Vor einem Jahr etwa ist er aber Chef des Prager Nationaltheaters geworden und musste wegen neuer Arbeitspflichten auf diese Art Zusammenarbeit mit dem Festival verzichten. Im Rahmen seiner Kompetenzen kann er aber auch anders helfen, und das tut er auch:
„Ja, so ist es eigentlich. Mein Interesse am Festival deutscher Sprache ist eine Lieblingssache, oder sagen wir, persönliche Sache. Eine andere Sache ist, ganz objektiv gesehen, dass dieses Festival die wichtigste Veranstaltung dieser Art im Schauspielbereich hier in Prag ist. Seine Verknüpfung mit dem Nationaltheater ist logisch und natürlich. Diese Partnerschaft wollen wir in Zukunft weiter ausbauen.“
Versprechen Sie sich davon, dass auch junges Publikum herangezogen wird?
„Das ist ein ganz spezielles Thema, das zurzeit bei uns im Theater intensiv diskutiert wird. Wir haben da eine Pflicht zu erfüllen, durch die ‚Marke Nationaltheater’ junge Leute ins Theater zu bringen. Deswegen hat sich das Nationaltheater entschlossen, Frank Wedekinds Stück ‚Das Frühlingserwachen’ auf seinen Spielplan zu setzen. Das ist ein Signal, dass wir im Nationaltheater auch ein Repertoir für junge Leute anbieten wollen.“
Jeder Jahrgang des Prager Festivals deutscher Sprache wird auch mit „kritischen Augen“ beobachtet und ausgewertet, nämlich mit den Augen tschechischer Theaterkritiker. Einen von ihnen, Jiri Pavel Kriz, bat ich um seine Einschätzung des Festivals, das sich im Laufe seiner zwölfjährigen Existenz als Höhepunkt des Theaterlebens hierzulande etabliert hat:
„Hier kommt es im nach und nach zu einer Vernetzung des traditionell mehrsprachigen Mitteleuropas, zu der auch gegenseitige Inspirationen gehören. Ich glaube, das tschechische Theater hat durch seine Spitzenhäuser auch der europäischen Kultur etwas zu sagen. Und umgekehrt, nach Tschechien ist eine Kultur zurückgekehrt, die neben der tschechischen und der jüdischen Kultur seit jeher zu dieser Stadt gehörte und nur durch die gewaltsamen Umbrüche im 20. Jahrhundert von hier ausgewiesen wurde.“
Aller Anfang sei schwer, sagt man, und das hat sich bei den ersten Jahrgängen des Prager Theaterfestivals auch im Bereich der sprachlichen Verständigung erwiesen:
„Ganze Generationen wurden daran gehindert, gute Kenntnisse sowohl in Deutsch als auch in Englisch zu erwerben. Lange Zeit war hierzulande bekanntlich die russische Sprache dominant. Nichts gegen Russisch, es ist auch eine europäische Sprache und zudem auch eine Weltsprache. In den ersten Jahren des Festivals war das Publikum zum Großteil auf die Kopfhörer und die Simultanübersetzung angewiesen. Auf diese Weise geht aber ein Teil davon, was auf der Bühne präsentiert wird, verloren. In den zurückliegenden 13 Jahren haben Kritiker und Publikum schon etwas dazu gelernt. Ich persönlich wage es nicht deutsch zu sprechen, aber für die deutschsprachigen Stücke benutze ich keine Kopfhörer mehr. Und das ist erst das richtige Erlebnis.“
Seit einer Woche gehört der 12. Jahrgang des Theaterfestivals deutscher Sprache der Vergangenheit an. Um einen Kurzen Rückblick bat Radio Prag seine Direktorin Jitka Jílková:
„Ich war wirklich sehr zufrieden, das muss ich offen sagen. Ich war mit den Leistungen zufrieden, die von den einzelnen Ensembles auf dem Festival gezeigt wurden, und ich war auch ganz begeistert von der Reaktion des Publikums. Die Zuschauer haben sehr schön und sehr erfreulich reagiert und die Aufführungen sehr gut angenommen.“
Was wohl völlig unerwartet mit dem 12. Festivaljahrgang kam, war der Rückzug des Festivalmitbegründers und Mentors, Pavel Kohout. Frau Jilkova, hatte von der Entscheidung des international bekannten Schriftstellers und Dramatikers nur wenige Tage zuvor erfahren:
„Es ist eine Entscheidung, die von Pavel Kohout persönlich getroffen wurde und auf die die Festivalleitung keinen Einfluss hatte. Es ist ein Entscheidung, über die wir nicht begeistert sind, die aber sein gutes Recht ist.“
Wie geht es nun mit dem Festival weiter? Diese Frage stellen sich im Moment viele. Manche fragen sich, ob das Prager Theaterfestival deutscher Sprache, dessen Zustandekommen Jahr ein Jahr aus keineswegs reibungslos verläuft, nicht am Anfang seines Endes steht. Jitka Jilkova ist aber zuversichtlich:
„An einen Anfang vom Ende denke ich überhaupt nicht. Es kann aber natürlich sein, dass es für uns jetzt ein bisschen schwieriger sein wird, Finanzquellen zu finden. Soweit ich es heute schon beurteilen kann, sehe ich keine große Gefahr, dass unser Festival jetzt nicht mehr zu finanzieren sein wird.“