110 Jahre tschechische Kinos

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Am 8. Juni 1907 wurde im südmährischen Brünn das erste ständige Kino in den Ländern der Bömischen Krone eröffnet. Es war ein deusches Kino und sein Betreiber hieß Dominik Morgenstern. Etwa drei Monate später, genau am 15. September, eröffnete ein tschechisches Kino seine Tore in Prag. Am 15. September 2007 wurde dieses historischen Ereignisses auf einer feierlichen Versammlung im Prager Kino Lucerna gedacht. Jitka Mladkova war dabei.

"100 Jahre tschechische Kinos" war das Motto der Versammlung, doch nicht nur über die Geschichte des Kulturphänomens namens Kino wurde bei dieser Gelegenheit gesprochen. Denn im Kino Lucerna trafen nicht nur Filmschaffende zusammen, sondern auch viele Mitarbeiter des Kinobetriebes. Von Filmvorführern bis zu Kinoleitern aus verschiedenen Orten Tschechiens. Es sollte allerdings nicht nur an die alten Kinozeiten erinnert werden. Viel geredet wurde auch über die Gegenwart und die Zukunft des Kinos, dessen Stellung sich im Laufe der Zeit durch die zunehmende Konkurrenz neuer Kulturangebote verändert hat. Blicken wir aber zunächst kurz in die Vergangenheit zurück. Über das erste ständige tschechische Kino hierzulande unterhielt ich mich mit Jan Jira, ein Kinomann mit Leib und Seele:

"Das erste tschechische Kino begann mit seinen Filmprojektionen genau am 15. September 1907 und wurde von Dismas Slambor alias Viktor Ponrepo gegründet. Es befand sich im Haus zum Blauen Hecht an der Ecke von Karlsgasse und Liliengasse im ersten Stockwerk."

Dieses Kino hieß damals noch nicht Kino, sondern "Theater lebendiger Photografien". Was es bei der Uraufführung zu sehen gab, ist nicht bekant. Wer war eigentlich der Mann mit dem kunstvollen Namen Viktor Ponrepo?

"Er war Zauberkünstler von Beruf und ein Mann mit einem durchaus unternehmerischen Geist. Er war sehr darum bemüht, eine Kinolizenz zu erhalten, was ihm lange Zeit nicht gelang. Ponrepo liess sich einen Trick einfallen: Er ersuchte den Prager Magistrat um die Genehmigung, einen Werbe - Kinematografen zu betreiben. Wenn es dunkel war, projizierte er Reklamedias auf eine Hausfassade. Später erlangte Herr Ponrepo auch eine Kinolizenz, nachdem er damit argumentiert hatte, seine Werbungsserien seien langweilig und er wolle sie durch kurze unterhaltsame Filmsequenzen interessanter machen."

Kino Světozor
Seit den Zeiten Viktor Ponrepos hat sich in der tschechische Kinolandschaft vieles verändert. Die Kinobranche hat Höhen und Tiefen erlebt. Derzeit gibt es in Tschechien rund 600 Kinosäle in etwa 450 Kinohäusern, die regelmässige Vorstellungen im Programm haben. Vieles über die neuesten Trends in der Kinobranche kann Premysl Soba erzählen, der Leiter des Kulturhauses in Teplice, in dem es auch einen Kinosaal gibt. In dieser Stadt gab es einst fünf Kinos, vier von ihnen existieren nicht mehr. Auch die kleineren Gemeinden in der Umgebung von Teplice haben heutzutage keine Kinohäuser mehr. Ähnliches gilt für viele andere Städte hierzulande. Die Entwicklung der zurückliegenden Jahrzehte fasste Premysl Soba bei unserem Gespräch in wenigen Worten zusammen:

"In den 50-er und später noch einmal in den 70-er Jahren waren die Zahlen der Kinobesucher unvergleichlich höher als heute. Im Jahr 1993 haben die Kinos einen enormen Rückgang der Besucher verzeichnet. Logischerweise musste auch die Zahl der Kinosäle sinken."

In Teplice entfallen auf den einzigen übrig gebliebenen Kinosaal 50 000 Einwohner. Die landesweit kontinuierlich sinkende Zahl der Kinohäuser hat eine ganze Reihe von Ursachen. Premysl Soba:

"Dem Kino hat, wenn man so will, das Fernsehen den ersten Schlag versetzt. Danach kamen die Videogeräte und wieder wurde gesagt, das sei das Ende des Kinos. Die Kinos haben es aber überlebt, wenn auch nicht ohne Kratzer. Dann kamen das Internet, die DVDs, Filmverleih, Pay-TV, kurzum, all das hatte natürlich Auswirkungen auf die Kinolandschaft."

Hinzu kommt noch ein anderes Phänomen hinzu, das erst in jüngster Zeit aufgetaucht ist: das Multiplexkino. Diesen Konkurrenzeinrichtungen gelingt es, Kinofans aus einer weit größeren Umgebung zu locken, als es bei kleineren Häusern mit nur einem Kinosaal der Fall ist. so der Leiter des Teplicer Kulturhauses,

"Früher konkurrierten die Kinos in Teplice, Most oder Usti nad Labem eher in geringem Maße miteinander. Wenn in absehbarer Zeit ein neues Multiplexkino in Mlada Boleslav fertig gebaut ist, wird sein Aktionsradius kilometerweit reichen. Für die Kinozwerge in der Stadt und der Umgebung wird es daher viel schwerer werden. Das Multiplexkino wird eigentlich als eine Art Supermarkt mit Filmprodukten wahrgenommen, in den gerade Familien gerne abends oder am Wochenende pilgern."

Dass, trotz der für sie unerfreulichen Trends, immer noch Kinos von früher bis in die heutige Zeit überlebt haben, ist ohne Zweifel auch das Verdienst derer, die ihr persönliches Leben im wahrsten Sinne des Wortes diesen Kinos gewidmet haben. Auch Jan Jira gehörte zu diesen Kinoenthusiasten:

"Ins Kino gehe ich schon seit 65 Jahren. Zum ersten Mal war ich mit fünf Jahren gemeinsam mit meiner Mutter im Kino. "Schneewittchen und die sieben Zwerge". Der Film als solcher wurde dann mein Hobby. Gemeinsam mit ein paar Freunden habe ich einen Film-Artklub in Louny gegründet und wollte auch Regie an der Prager Filmakademie studieren, aber wurde nicht aufgenommen. 1965 suchte man einen neuen Chef der Kinoverwaltung und ich stand zur Verfügung. Das war genau das, was ich machen wollte. Diesen Job habe ich dann 45 Jahre lang gemacht. Jetzt bin ich schon Rentner, bin aber immer noch als Berater in der Kinobranche tätig. Ohne Kino könnte ich nicht leben."

Bereits 55 Jahre geht Herr Mohasi seinem Beruf als Filmvorführer im nordböhmischen Teplice nach. Als ich ihn fragte, wann er die beste Kinozeit in den zurückliegenden 55 Jahren erlebt habe, kam prompt die Antwort:

"Für mich sind das die besten Zeiten ohne Pause. Ich bin ein Kinofan und habe Fotoapparate, Kameras, Filmstreifen oder Filmfotos, kurzum alles gesammelt, was mit dem Film etwas zu tun hatte. Auch viele Bücher, alles Fachliteratur. Im Hauptberuf arbeitete ich als Autofahrer bei einer Baumaschinenfirma. Um zwei Uhr endete die Arbeitszeit und um halb fünf konnte ich schon ins Kino gehen. Ich war fast nie zu Hause. Ich war bis zu 28 Tage im Monat im Kino."

Die Filmvorführungen haben ihm zwar auch Spaß gemacht, noch attraktiver war für den eingefleischten Kinomann aber etwas Anderes, nämlich die Technik. Wie hat sie sich in seiner Branche verändert?

"Mit einem Wort gesagt, enorm! Früher mussten die Projektionsgeräte mit einer Klinke angekurbelt werden. Jeden Tag musste man sie reinigen und einölen. Kaum zu vergleichen mit der heutigen Technik. Man kann aber nicht sagen, dass die alten Apparate schlechter waren. Außerdem hatten sie auch etwas Romantisches an sich."

In unserem Gespräch sagte mir Herr Mohasi, er müsse weinen, wenn er daran denke, dass in Teplice gerade ein Kino, das vorletzte und schönste von den ehemaligen Kinohäusern, abgerissen werde, um einem Kaufhaus Platz zu machen. Sein Chef Premysl Soba steuerte aber abschließend eine positive Nachricht bei:

"In den letzten Monaten oder sogar im letzten Jahr haben wir aber auch einen neuen Trend verzeichnet. Ins Kino finden langsam "ältere Jahrgänge" zurück, also Leute über 40, 50 oder auch ältere Kinogänger. Im Publikum sieht man nicht mehr überwiegend Teenager. Die finden ihre Wege zu einem Film auch im Internet oder brennen sich DVDs. Die Älteren, die in den Zeiten des größten Kinobooms gewöhnt waren ins Kino zu gehen, entdecken es jetzt von neuem."