Die dreizehnte Karlsbader Quelle: 200 Jahre Becherovka
Bier, Knödel... und Becherovka! Kein Zweifel: der leicht weihnachtlich nach Anis und Lebkuchen duftende Likör in der traditionsreichen grünen Flasche ist fester Bestandteil des kulinarischen Nationalstolzes der Tschechen. Dabei hat der berühmteste Magenbitter des Landes eigentlich deutschböhmische Wurzeln. Vor genau 200 Jahren kam er als "Carlsbader English Bitter" erstmals auf den Markt.
Der blau-weiße Becherovka-Schriftzug und die charakteristische grüne Flasche mit dem roten Siegel sind in Tschechien allgegenwärtig - in der Becherovka-Heimat Karlsbad gilt das noch mehr, als sonst in der Republik. Am Ende der alten Hauptstraße, des Masaryk-Boulevards, steht der Stammsitz der Likördynastie:
"Das ist ein sehr altes Gebäude - an der Stelle, an der wir uns jetzt gerade befinden, ist vor 140 Jahren die erste Fabrik für die Becherovka-Herstellung enstanden",
erklärt Martina Lucovicova vom Becherovka-Museum, das seine Heimat in den historischen Räumen gefunden hat. Seit nunmehr 200 Jahren wird der "Carlsbader Becher Bitter", so die alte deutsche Bezeichnung, hier in der Kurstadt hergestellt - ein stolzes Jubiläum. Durch eine schwere Holztür tritt man ein in die Geschichte des Becherovka:
"Die hat eigentlich nicht vor 200, sondern genau vor 202 Jahren angefangen. Damals, im Jahre 1805, kam der Reichsgraf zu Plettenberg-Mietingen nach Karlsbad, und das in Begleitung seines englischen Arztes Dr. Frobrig. Gewohnt haben sie im Haus des späteren Firmengründers Josef Becher, gegenüber von der Sprudel-Kolonnade. Josef Becher - er war Apotheker - und der englische Arzt machten dort Experimente mit Heilkräutern, mit Heilpflanzen und natürlich auch mit Alkohol. Und gerade dabei wurde die Originalrezeptur aufgeschrieben."
"Damit war ich recht zufrieden", hatte Dr. Frobrig mit britischem Understatement auf dem Rezept notiert, das er seinem Gastgeber als Dank für die herzliche Aufnahme zurückließ. Zwei Jahre experimentierte Josef Becher noch, dann war es so weit. Auf den Erfolg seiner Rezeptur dürfte der Apotheker allerdings mit nicht mit Becherovka angestoßen haben, erinnert Martina Lucovicova:
"1807 fing Josef Becher, der Firmengründer, an, den Becherovka als Medizin zu verkaufen - in ganz kleinen Flaschen! Er verkaufte den Becherovka nur in seiner Apotheke und nur gegen ärztliche Verschreibung. Ursprünglich war der Becherovka also kein Likör, sondern eine Medizin - es waren Magentropfen."Von der Medizin, die, dem Namen zum Trotz, so ganz und gar nicht bitter war, waren die Karlsbader Kurgäste rasch angetan, und mancher hat wohl auch die vorgeschriebene Dosis überschritten. Im mondänen Weltkurort wurde der Becher-Bitter rasch populär. Bereits 1810 gab Josef Becher daher seinen Likör auch in Halbliterflaschen ab:
"Es gibt in Karlsbad viele Heil- und Mineralquellen. Zwölf davon werden von den Kurärzten verordnet, zwölf kann man auch im Stadtzentrum verkosten. Und die beste Quelle, die so genannte dreizehnte, das ist unser Becherovka."
Gerade die Karlsbader Kurgäste waren es denn auch, die dem Becherovka zu seiner weltweiten Bekanntheit verhalfen, erzählt Martina Lucovicova weiter:
"Nach Karlsbad kamen nicht nur tschechische Gäste, hier gab es auch viele Ausländer, die hier den Becherovka zum ersten Mal getrunken haben und dann auch eine Flasche mit nach Hause nehmen wollten. Aber das erste aus der Familie, der den Becherovka exportiert hat, war Rudolf Becher, und er fing damit zu Beginn des 20. Jahrhunderts an."Nach Frankreich, Italien und Spanien, aber auch nach Ägypten wurde der Likör zu Anfang ausgeführt. Inzwischen steht die halbe Welt auf der Lieferliste. Im laufenden Jubiläumsjahr wurde sogar die erste Lieferung nach China geschickt. Hergestellt aber wird der Becherovka wie eh und je in Karlsbad:
"Wir gehen jetzt zu unserem ältesten Keller. Er ist über 100 Jahre alt, und schon damals reifte der Becherovka hier."
Man schreitet zwischen alten, dunklen, rot gerandeten Fässer hindurch, mit weißen Ziffern durchnummeriert und von verschiedener Größe. Sind alle voll?
"Entweder sind sie voll oder sie trocknen, denn nachdem der Likör gereift ist, müssen die Fässer wieder eine bestimmte Zeit trocknen. Ansonsten ist es hier ein ganz normaler Raum, in dem der Becherovka reift - kein Museum, sondern ein Teil der Herstellung."
Einmal in der Woche wird in der so genannten "Drogikamr", der Drogenkammer, dem Herz der Fabrik, die Kräutermischung für den Likör zusammengestellt - bis heute nach dem unveränderten Originalrezept.
"Das Rezept befindet sich in einem Tresor in diesem Gebäude, und es ist natürlich geheim! Es gibt nur zwei Leute im Betrieb, die die Rezeptur kennen, und zwar der Haupttechnologe und der Produktionsdirektor - nur diese zwei Männer kennen diese alte Rezeptur."
Eine alte Tradition haben auch die kleinen Prozellantässchen, aus denen man den aromatischen Becherbitter am stilvollsten trinkt - nicht zufällig angelehnt an die charakteristischen Schnabeltassen, aus denen die Karlsbader Kurgäste seit jeher das Heilwasser schlürfen:
"Man kann den Becherovka natürlich auch aus dem Glas trinken, aber diese Tassen oder Becher sind sehr typisch für die Firma. Sie werden seit rund 130 Jahren verwendet und sind sehr wichtig, weil sie genau angeben, wie viel Becherovka man trinken soll, falls man ihn als Medizin verwenden will. Der Inhalt beträgt rund zwei Zentiliter, und die gesunde Menge sind zwei dieser Tässchen am Tag."
200 Jahre Becherovka, das ist aber nicht nur eine Geschichte aus sonnigen Tagen, weiß Museumsmitarbeiterin Martina Lucovicova. Im zweiten Weltkrieg wurde vorübergehend zum ersten und einzigen Mal die Rezeptur verändert - die benötigten Gewürze konnten im Ausland nicht mehr beschafft werden. Nach dem Krieg kam dann der schärfste Einschnitt: Mit der Vertreibung der Sudetendeutschen musste auch Firmenchefin Hedda Becher mit der Familie das Land verlassen."Die Originalrezeptur ist hier geblieben, und Hedda Becher musste aussiedeln, wie schon gesagt. Aber sie hatte die Rezeptur im Kopf und hat sie dann aufgeschrieben. Es gab also zwei Rezepturen - unsere alte und dann ihre."
In Westdeutschland und der Tschechoslowakei wurde daraufhin der aromatische Likör parallel hergestellt. Wenig später hätte beinahe die sozialistische Planwirtschaft das Aus für das traditionsreiche Karlsbader Unternehmen gebracht:
"Es war für den Staat nicht wichtig, so ein historisches Unternehmen weiter zu halten. Damals gab es aber hier einen Direktor, Herrn Lupinek, der sich dafür eingesetzt hat, dass die Firma weiter bestehen bleibt. Und dank ihm und später seinem Sohn ist der Betrieb so geblieben."
Schließungspläne gibt es heute keine mehr, und sogar die Teilung der Becherovka-Fertigung ist überwunden: Beide Unternehmen sind inzwischen unter dem Dach des französischen Spirituosen-Giganten Pernot Ricard vereint. Auch zu den ehemaligen Eigentümern, der Familie Becher, gibt es gute Kontakte, versichert Martina Lucovicova:
"Vor allem als das Museum entstand, hat uns die Familie sehr geholfen. Wie sie im Ausstellungsraum gesehen haben, gibt es dort viele historische Exponate von der Familie Becher - Bücher, historische Flaschen und so weiter. Sie haben und damals sehr geholfen, als wir das Museum gegründet haben."
Trotz Becherovka-Museum in Karlsbad: Die beste Art, die 200-jährige Geschichte des böhmischen Nationallikörs zu erleben ist sicherlich immer noch, selbst ein Gläschen zu versuchen. Seine Kräfte jedenfalls, da ist sich Martina Lucovicova sicher, hat der Becherbitter über die Jahrhunderte nicht verloren.
"Abends beruhigt der Becherovka auch die Nerven. Er ist also nicht nur gut für Verdauung und Magenschwierigkeiten, sondern auch für die Nerven. Und außerdem: fast alle Mitglieder der Familie Becher haben sehr lange gelebt - vielleicht auch dank dem Becherovka."